Lieblingsstück 2022: Comic-Katze Willis und der blaue BH

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigte Kunst des „Arabischen Frühlings“. Die Ausstellung verdeutlicht, welche Kraft Street-Art entfesselt.

Zu sehen ist ein maskuliner weißer Oberkörper vor gelbem Hintergrund. Die Augen sind mit einer roten Maske verdeckt. Im Mund steckt ein Ball.

Die „Mask of Freedom“ des Künstlers Ganzeer Foto: Ganzeer

An den Beginn der Proteste in Tunesien erinnere ich mich noch vage: Unentwegt telefonierte mein Vater mit seinen Geschwistern. Mal fluchend, mal zitternd und stets in Sorge, es könnten schlechte Nachrichten sein, die ihn aus seiner Heimat erreichen.

Elf Jahre später stehe ich mit ihm in einem schmalen Flur im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G). Der Arabische Frühling ist angekommen: „Be with the Revolution“ steht an der Wand, darunter Erklärtexte auf Arabisch, Deutsch und Englisch.

Zentrales Thema der Ausstellung: Wie sich Kunst politisierte, sich im urbanen Raum verbreitete, aber gerade auch im Internet verbreitet – und welche Rolle sie dabei hatte, die bestehenden Herrschaftssysteme zu stürzen.

Zu sehen sein wird „Be with the Revolution“ nur hier im MK&G, es ist keine irgendwo konzipierte Wechselausstellung. Kurator Tobias Mörike hat dafür Arbeiten nicht nur aus der arabischen Welt zusammengetragen, von Künstlern aus Ägypten, dem Libanon, Frankreich, Tunesien – aber auch aus Palästina, Hamburg und Berlin.

Streetart und Grafikdesign in den arabischen Protesten seit 2011: bis 31. 3. 24, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe

Ein Teil der Street-Art ist als Foto präsentiert, fotografiert an Wänden in Kairo zum Beispiel. Einen weiteren Teil reproduzierten Hamburger Künstler nun in Absprache mit den Erschaffern der Originale.

Etwa die „Mask of Freedom“: ein Aufkleber, auf dem ein maskuliner Oberkörper abgebildet ist; ein geknebelter Mund, verbundene Augen. Dazu Text auf Arabisch, frei ins Deutsche übersetzt: „Neu! DIE MASKE DER FREIHEIT! Der Oberste Rat der Streitkräfte grüßt die Söhne der geliebten Nation. Jetzt zeitlich unbegrenzt verfügbar.“ Für das Kleben des Stickers, schreibt Künstler Ganzeer auf seiner Internetseite, sei er im Mai 2011 von der ägyptischen Militärpolizei verhaftet worden.

Oder der „Blue Bra“. Ebenfalls 2011 misshandelten ägyptische Militärs eine Demonstrantin und wurden dabei fotografiert: Zwei Soldaten schleiften die Demonstrantin über den Tahrir-Platz in Kairo, ihr Kleid verrutschte, ihren Oberkörper bedeckte nur noch ein blauer BH. Der wurde in Ägypten zu einem Symbol, das Foto befeuerte den Feminismus, inspirierte Künstlerinnen und Künstler.

So wie Bahia Shehab: Sie bezieht sich mit ihrem Graffito auf das weltbekannt gewordene Foto. Für das MK&G fertigte der Hamburger Künstler Tona eine Schablone ihres Graffitos an.

Mich beeindruckt, welche Kraft Street-Art entfesselt hat. Diktatoren wurden entmachtet durch Protest, der im Kleinen begann: mit Graffiti, Internet-Memes oder Witzen im Comicstil. Nehmen wir Willis, eine Comic-Katze der tunesischen Illustratorin Nadia Khiari.

Geboren wurde das Tier auf dem Papier im Januar 2011 während der Ausgangssperren, die Diktator Zine el-Abidine Ben Ali verhängt hatte. Sie sagt zu einer deprimierten Katze: „Il faut faire confiance à l’état“, übersetzt: „Es braucht Vertrauen in den Staat.“ Die Katze lacht. Mein Vater, der Museumsmuffel, auch.

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Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

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