Linkes Café in Georgien: Wenn aus Theorie Praxis wird

Das Café „Praxis“ in Tbilissi ist ein Ort des Austausches und des günstigen Essens. Und einer der Orte, wo sich Einheimische und Migranten begegnen.

Grafitto, zeigt ein junges Paar beim Essen, typische georgische Speisen in Tiflis

Graffito in Tbilissi: Das „linke“ Café in Georgiens Hauptstadt ist in Finanznot Foto: Gabriele Thielmann/picture alliance

„Soll ich dich ins ‚Praxis‘ einführen?“ Das ist ein Angebot, das man unmöglich ausschlagen kann. Den Ausdruck „linkes Café“ umgibt ja ein Hauch von romantischer Unanständigkeit, von beginnendem 20. Jahrhundert und Weltrevolution. Und dabei ist ganz und gar unwichtig, dass wir längst im 21. Jahrhundert angekommen sind und der erste Versuch einer Weltrevolution, vorsichtig ausgedrückt, gescheitert ist.

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Mehr als hundert Mal hat der Planet die Sonne umkreist und ist, so will es scheinen, zum Ausgangspunkt zurückgekehrt. Im Südkaukasus und den angrenzenden Regionen ist mal wieder die Hölle los, und das ganz schön abgehalfterte, aber unverwüstliche „Gespenst des Kommunismus“ steht rauchend auf dem Balkon des Cafés „Praxis“ und mampft ein Sandwich aus dem Brot, das hier selbst gebacken wird.

Die linke georgische Bewegung Chma (dt. die Stimme) kümmert sich um soziale Probleme und Arbeitnehmerrechte. Seit ihrer Entstehung vor ein paar Jahren hat sie schon eine ganze Reihe öffentlichkeitswirksamer Kampagnen umgesetzt. Zum Beispiel für die Nationalisierung der strategischen Ressourcen Georgiens, die aktuell Russland oder kremlnahen Oligarchen gehören. Oder für die Einführung von kostenlosem Schulessen in Mittelschulen.

Daneben haben die Aktivisten von Chma immer davon geträumt, ein „Café für die Arbeiterklasse“ zu eröffnen, das Studierenden und Arbeitnehmern hochwertigen Service bei maximal niedrigen Preisen bietet. Daneben sollte es auch ein politisches Café sein, wo Menschen, die gegen Krieg und Imperialismus sind, sich mit andersdenkenden Menschen austauschen, dabei auf neue Ideen kommen und diese praktisch umsetzen können.

Aber erst, als ein Freund ihnen einen nicht mehr benötigten Brotbackofen anbot, beschlossen die Leute von Chma, dass jetzt die Zeit reif sei. Und so wurde aus der Theorie des Cafés das „Praxis“.

Das Café wurde am 7. August 2022 eröffnet, mitten im Krieg gegen die Ukraine. Zu dieser Zeit gab es in Tbilissi schon Dutzende Orte, an denen Anti-Kriegs-Veranstaltungen stattfanden. Aber Einheimische und Migranten sind sich in diesen Einrichtungen fast nie begegnet. Ins Praxis kamen nach und nach sowohl Georgier als auch Russen, Ukrainer und sogar Armenier, Aserbaidschaner, Inguschen …

„… und aus irgendeinem Grund auch sehr viele Deutsche“, erzählt Giorgi etwas verwundert. Er ist einer der Gründer vom Praxis.

Und so hat sich das Café zu einem beliebten Ort mit eigener Atmosphäre entwickelt, wo man preiswert zu Abend essen oder hausgemachten Wein trinken, an Diskussionen teilnehmen oder selbst welche organisieren, politische Filme sehen, Folklore aus verschiedenen kaukasischen Ländern hören kann …

„Das ist kein kommerzielles Projekt. Wir machen keinen Gewinn. Am Ende eines Monats sind wir im Idealfall immer bei plus/minus null. Und im Sommer waren wir wegen Ferien und Urlaub schlechter besucht und sind im Minus gelandet“, erklärt Giorgi.

Darum ist das Café jetzt auch in der Krise. Und um die zu überwinden, haben die Chmas zu einer Spendenaktion aufgerufen. Teilnehmen daran können sowohl die, die hier schon regelmäßig ein und aus gehen, als auch die, die noch nie zuvor die Frage gehört haben „Soll ich dich ins Praxis einführen?“

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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