Manja Schreiners (CDU) Radwegestopp: „Ich bin entsetzt“

ADFC-Landesvorstand Eberhard Brodhage über die Kommunikationspolitik der Verkehrsverwaltung und seine Befürchtungen für die Zukunft.

Zwei Menschen auf der Friedrichstraße mit Manja-Schreiner- und Kai-Wegner-Maske

Manja Schreiner? Kai Wegner? Manche in der Mobilitäts-Szene kriegen da das Gruseln Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl

taz: Herr Brodhage, am Mittwochmorgen gab es ein Gesprächsrunde bei der Verkehrssenatorin, zu der Sie eingeladen waren – worum ging es da?

Eberhard Brodhage: Frau Schreiner hatte VertreterInnen von rund 25 Verbänden, die sich mit dem Thema Mobilität befassen, zu einem „Runden Tisch Radwege“ eingeladen. An diesem Tisch saßen auch ADAC, Polizei und Feuerwehr, Organisationen für Menschen mit Behinderungen, Wissenschaft und Forschung oder die Fahrradwirtschaft.

Vermutlich ging es auch um den aktuellen Radwegestopp.

Die Senatorin bat mehrfach darum, das Wort „Stopp“ nicht zu verwenden, weil es ja nur eine Prüfungsphase sei. Für mich ist das Haarspalterei. Man könnte den Vorgang auch als „rechtswidrige Haushaltssperre“ bezeichnen, wie einige Bezirksämter es tun.

Eberhard Brodhage, 65, leitet seit vergangenem April zusammen mit Hannelore Lingen den Berliner Landesverband des ADFC.

Die Stimmung war also angespannt?

Wir haben durchaus begrüßt, dass es eine Gelegenheit zum Dialog gab. Frau Schreiner und ihre Staatssekretärin Claudia Stutz haben sich allerlei notiert, nur konkrete Fragen zur Zukunft der Radinfrastruktur wurden nicht beantwortet. Am Ende des Tages stellte sich das Ganze leider als Farce heraus.

Wieso?

Ohne dass wir im Gespräch davon erfahren hätten, teilte die Senatsverwaltung eine Stunde danach per Pressemitteilung mit, dass sie fünf Projekte tatsächlich vorerst gestoppt habe. Das war eine maßlose Enttäuschung. Zumal bei unserem Treffen ganz konkret nach der Planung für die Sonnenallee südlich des S-Bahnhofs Köllnischen Heide gefragt wurde. Da hieß es: „Wir prüfen.“ Ganz offensichtlich stand die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt aber schon fest, wahrscheinlich war sogar schon die Mitteilung geschrieben.

Sechs Maßnahmen wurden ja auch „genehmigt“.

Viele davon befinden sich in einem Planungs- oder Baufortschritt, bei dem es eigentlich nichts mehr zu genehmigen gab. Insofern ist hier für mich kein echter Fortschritt erkennbar.

Ärgert Sie dieser Umgang?

Endlos! Ich bin entsetzt über die Form der Kommunikation und die vergebene Chance von der Verkehrssenatorin, sich dieser Entscheidung in einer Diskussion zu stellen. Inhaltlich handelt es sich um einen klaren Bruch mit dem Mobilitätsgesetz, das gerade sein fünftes Jubiläum gefeiert hat. Unsere große Demonstration am letzten Sonntag hat ja wieder gezeigt, dass die Breite der Gesellschaft hinter diesem Gesetz steht, dass es keine kleine Blase ist, die sichere Rad- und Schulwege fordert und die will, dass im Straßenverkehr niemand mehr getötet wird. Diese Ziele sollen jetzt dem Erhalt von Parkplätzen und der Flüssigkeit des Autoverkehrs untergeordnet werden.

Können Sie denn in irgendeiner Weise nachvollziehen, warum einige Projekte einer vertieften Prüfung bedürfen sollen?

Nein. Sie basieren auf dem Mobilitätsgesetz und dem Radverkehrsplan, ihnen liegen teilweise extrem langwierige Untersuchungen und Vorplanungen zugrunde. Dass sie auf eine Neuverteilung der Fläche zugunsten des Radverkehrs abzielen, ist in den Prioritäten des Mobilitätsgesetzes begründet, das ja aus einem Volksentscheid-Prozess hervorgegangen ist. Nach welchen Kriterien die Senatsverwaltung diese Entscheidungen getroffen hat, ist völlig unklar. Nehmen Sie die Schöneberger Hauptstraße: Deren Umbau wurde auf breitester Basis abgestimmt, mit Polizei und Feuerwehr, mit den Gewerbetreibenden, mit dem Fußverkehr. Auch nach unseren Vorstellungen war die Lösung vielleicht nicht das Beste vom Besten, aber eben ein umsetzbarer Kompromiss. Wahrscheinlich geht es jetzt darum, dass einige Parkplätze an der Straße wegfallen sollen. Aber wir können die dahinter liegenden fachlichen Kriterien höchstens versuchen zu rekonstruieren – die werden nicht transparent gemacht.

Haben Sie einen Überblick, wie viele Projekte jetzt noch auf Eis liegen?

Wir haben versucht, diese Informationen zusammenzuführen, wobei die Projektkarte der infravelo eine große Hilfestellung ist. Daraus ergeben sich rund 60 Maßnahmen, die noch gestoppt sind, es gibt aber noch andere, die diese Datenbank nicht enthält. So weit ist die angebliche smart city doch noch nicht, dass wirklich alles, was zwischen dem Senat und den zwölf Bezirken geschieht, transparent wäre. Immerhin hat der Regierende Bürgermeister mittlerweile signalisiert, dass alle von den Bezirken verantworteten Maßnahmen freigegeben sind – das betrifft also das Nebenstraßennetz.

Rechnen Sie damit, dass die Standards für künftige Planungen abgesenkt werden?

Im Moment wird über administrative Maßnahmen in die Umsetzung des Radverkehrsplans eingegriffen – wobei wir einige Schritte für rechtswidrig halten. Angesichts von Aussagen, die Frau Schreiner und Herr Wegner gemacht haben, erwarten wir aber leider, dass das Mobilitätsgesetz in seinen Kernaussagen angepasst werden soll. Wobei „Anpassung“ ein viel zu höfliches Wort ist: Wir befürchten, dass es in Bezug auf Klima- und Menschenfreundlichkeit entkernt wird. Wir sagen da ganz klar: Nicht mit uns. Wir werden Öffentlichkeit schaffen, wir werden kämpfen und demonstrieren – aber wir werden leider auch weitere im Verkehr Getötete zu beklagen haben.

Der Initiator des Volksentscheids Fahrrad, Heinrich Strößenreuther, verwettet mittlerweile Bierkisten darauf, dass seine Partei – die CDU – in drei Jahren mehr Radwege bauen wird als die Grünen in sieben Jahren. Wetten Sie dagegen?

Natürlich sind unter der letzten Regierungskoalition zu wenige Radwege gebaut worden, aber der Radverkehrsplan sieht ja einen Hochlauf bei der Infrastruktur vor. Und mittlerweile gibt es rund 100 Menschen in den Verwaltungen, die Radwege planen. Es geht nicht einfach um mehr oder weniger, sondern darum, die Vorgaben des Mobilitätsgesetzes und des Radverkehrsplans einzuhalten. Was das Wetten angeht – bei diesem Thema ist mir nicht zum Spaßen zumute. Eine Kiste Bier auf etwas zu wetten, was ein Hauptanliegen der Berliner Politik sein sollte, ist für mich unterhalb der Gürtellinie.

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