Maßregelvollzug Berlin: Untragbare Zustände

Die Zuweisungszahlen in das Krankenhaus des Maßregelvollzugs sind in allen Bereichen stark gestiegen. Eine Erweiterung des Standorts wird lange dauern.

Der Schutzzaun am Gelände der Karl Bonhoeffer Nervenklinik

Hinter diesem hohen Zaun beginnt der Maßregelvollzug Foto: Jürgen Ritter/imago

BERLIN taz | Schon seit Jahren schlagen Fachleute Alarm: Der Maßregelvollzug ist hoffnungslos überbelegt. In fast allen Bundesländern ist das so, allerdings hat Berlin in den vergangenen Jahren im Unterschied zu anderen überhaupt nicht in eine bauliche Erweiterung des Krankenhauses für Maßregelvollzug (KMV) investiert.

Der Maßregelvollzug ist eine freiheitsentziehende Unterbringung für verurteilte Straftäter, die nicht oder nur vermindert schuldfähig sind. Das KMV hat in Berlin zwei Standorte. Auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Reinickendorf gibt es 17 Stationen, im Krankenhaus Buch sind es drei. Stand Juli waren im KMV 613 Patienten untergebracht, es gibt aber nur 541 ordnungsbehördlich genehmigte Betten.

10 Prozent der Untergebrachten sind Frauen. Es gibt zwei gemischte Stationen und eine reine Frauenstation. Letztere sei inzwischen aber ebenso überbelegt, da auch bei Frauen die Zuweisungszahlen steigen, teilte die für das KMV zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit der taz mit.

Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat in Erfahrung gebracht, dass die angespannte Belegungssituation bundesweit häufig zu einer Mehrfach- beziehungsweise Überbelegung der Patientenzimmer führt. Selbst bei ausreichender Zimmergröße sei eine Belegung mit drei und mehr psychisch oder suchtkranken Personen problematisch, heißt es im Jahresbericht der Nationalen Stelle, der im Juni 2023 vorgestellt wurde. Die mangelnde Privatsphäre könne Aggressionen auslösen und Zwischenfälle provozieren.

Keine angemessene Versorgung

Die Unterbringung sei zum Teil menschenunwürdig und die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter untragbar, hatte der Präsident der Berliner Ärztekammer Peter Bobbert moniert, nachdem er das KMV im Januar besucht hatte. Das zentrale Problem sei der mangelnde Platz in den veralteten Gebäuden und zu wenig Personal. Die Patienten könnten so nicht angemessen versorgt werden, und das vor dem Hintergrund, dass sie im Durchschnitt acht Jahre im KMV verblieben. Die schwierige Situation habe dazu geführt, dass zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte in den vergangenen Jahren gekündigt hätten.

Die Überbelegung führt auch immer wieder dazu, dass Verurteilte die Maßregel nur mit Verspätung antreten können. Einige mussten wegen Platzmangels auch aus der Übergangshaft freigelassen werden.

Die gerichtliche Einweisung in das KMV erfolgt auf Grundlage von drei Paragrafen: nach § 64 StGB, wenn eine Person wegen einer Drogen- oder Alkoholsucht straffällig geworden und therapiebereit ist. Nach § 63 StGB, wenn sie aufgrund einer psychischen Krankheit eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Oder nach § 126a StPO, der eine Art Untersuchungshaft im KMV ermöglicht, wenn der Beschuldigte psychisch krank ist.

Die Gründe für die Überbelegung sind komplex. Bundesweit haben vor allem Einweisungen nach § 64 stark zugenommen. Hintergrund: Verteidiger machen bei ihren Mandaten zunehmend eine Drogenabhängigkeit geltend, möglicherweise auch, weil man aus dem Maßregelvollzug eher freikommen kann als aus der Strafhaft. Im Oktober tritt deshalb ein neues Gesetz in Kraft, in dem die Anordnungsvoraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungungsanstalt enger gefasst sind. Ein Anstieg an Zuweisungen zeigt sich aber auch nach § 63 StGB und § 126a StPO.

Für die Sanierung des Hauses 8 auf dem Gelände in Reinickendorf stehen laut Gesundheitsverwaltung nun bis 2027 insgesamt 53,3 Millionen Euro zur Verfügung. Auch investive Mittel zur Ertüchtigung neuer Platzkapazitäten an einem weiteren Standort seien „noch“ für 2023 zugesagt, heißt es.

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