Nach Bootsunglück vor Italiens Küste: 8.000 Euro für die Fahrt in den Tod

Nach der Flüchtlingstragödie vom Sonntag werden Vorwürfe gegen Italiens Regierung laut. Die reagiert mit der Androhung einer Verleumdungsklage.

Ein Schiffswrack

Die Reste eines Bootswracks am 27. Februar am Strand von Cutro Foto: Giovanni Isolino/LaPresse/ap

ROM taz | Sie hatten das rettende Ufer schon fast erreicht, waren nur noch etwa 100 Meter vom Strand des kalabrischen Dorfes Steccato di Cutro entfernt, als ihr Holzkahn bei schwerem Wellengang zerbarst, womöglich weil er auf eine Sandbank oder auf einen Felsen gelaufen war. Und damit wurde die Schiffsreise der Flüchtlinge zur Tragödie. Bis zum Montagmittag wurden 62 Tote geborgen, während 81 Menschen das rettende Ufer erreichten; bis zu 30 Personen werden noch vermisst.

Die Flüchtlinge an Bord stammten aus Afghanistan, Pakistan, Iran, Somalia und den palästinensischen Gebieten. Sie sollen für die Überfahrt Beträge zwischen 5.000 und 8.000 Euro bezahlt haben. Ihre Reise begann am Donnerstag im türkischen Izmir und führte an der griechischen Küste entlang hin zur süditalienischen Region Kalabrien, wo sie am Sonntag um 4 Uhr morgens ihr tragisches Ende nahm.

Zwar gelangt weiterhin das Gros der Flüchtlinge von Libyen und Tunesien aus nach Italien, doch die Türkei-Route hat in den letzten Monaten ein wachsendes Gewicht. 2022 sind von der Türkei aus etwa 29.000 Flüchtlinge Richtung Europa abgefahren, und immerhin 18.000 von ihnen hatten Italien als Ziel, kamen an den Küsten Kalabriens und Apuliens an.

Die Route gilt gemeinhin als einigermaßen sicher, da das Gros der Reise in Küstennähe erfolgt. Vor allem aber dürften viele Italien als Ziel bevorzugen, weil die Aufnahmebedingungen in Griechenland oft genug katastrophal sind und auch weil es von Italien aus wesentlich leichter ist, sich in andere EU-Länder weiterzubewegen, als von Griechenland aus. Dort nämlich bleibt nur die Balkanroute.

Überlebende saßen in Schockstarre am Strand

Italiens Öffentlichkeit ist jetzt mit dramatischen Zeugenaussagen von Menschen konfrontiert, die am Sonntag in Steccato di Cutro vor Ort waren. „Ich habe drei, vier Kinder gesehen, die leblos von den Wellen an den Strand getrieben wurden, nackt, da die Wellen ihnen die Kleider vom Leib gerissen hatten“, berichtete der örtliche Bürgermeister dem Corriere della Sera. 14 der 62 Toten sind Heranwachsende und Kinder, das kleinste von ihnen nur wenige Monate alt.

14 der 62 Toten sind Heranwachsende und Kinder, das kleinste nur wenige Monate alt

Andere Zeugen nahmen entsetzt zur Kenntnis, dass die Überlebenden in völliger Schockstarre, ohne auch nur ein Wort zu sagen, auf dem Strand sitzend auf ihren Abtransport warteten. 21 Personen wurden ins Krankenhaus eingeliefert, die anderen in eine Aufnahmeeinrichtung gebracht. Zwei Türken und ein Afghane wiederum wurden als mutmaßliche Schleuser von der Polizei festgenommen.

Schwere Vorwürfe erhob derweil in einer TV-Sendung am Sonntagabend der Arzt und Seenotretter Orlando Amodeo, der früher in Polizeidiensten gestanden hatte. Er beschuldigt die Behörden der unterlassenen Hilfeleistung, erklärt, dass die Tragödie „fast gewollt“ erscheint.

Schließlich war das Flüchtlingsschiff schon am Samstag von einem Flugzeug der EU-Grenzagentur Frontex gesichtet worden, hatten die italienischen Behörden daraufhin zwei Schiffe mit einem Suchauftrag ausgesandt – sie dann allerdings des schweren Seegangs wegen wieder zurückgerufen. Es sei schlicht nicht wahr, dass bei diesem Seegang nicht gerettet werden könne, er sei selbst habe Einsätze bei noch höheren Wellen durchgeführt, erklärte der Arzt.

Aus dem Innenministerium kam darauf keine Antwort, sondern eine Klageandrohung. „Die schwerwiegenden Falschbehauptungen“ würden einer Prüfung unterzogen, um „den guten Ruf der Regierung, des Innenministers Matteo Piantedosi sowie aller Abteilungen des Ministeriums zu verteidigen“.

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