Nach den Wahlen in der Türkei: Die Opposition ordnet sich neu

CHP und HDP diskutieren nach der Wahlniederlage im Mai über die Konsequenzen. Bei den Sozialdemokraten drängt ein alter Bekannter an die Spitze.

Kemal Kilicdaroglu und Ekrem Imamoglu gemeinsam auf einem Wahlplakat für die Präsidentschaftswahlen in der Türkei

Links geht, rechts steht – danach sieht es aus: CHP-Chef Kılıçdaroğlu und Konkurrent İmamoğlu Foto: Dylan Martinez/reuters

ISTANBUL taz | Die erste Schockstarre der türkischen Opposition nach dem Wahlsieg des Erdoğan-Lagers in den Wahlen im Mai ist vorbei. Nun hat die Debatte um die Konsequenzen begonnen. Während es bei der kemalistisch-sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP einen erbitterten Kampf um den Parteivorsitz gibt, diskutieren die kurdisch-linke HDP und die Links-Grünen über eine komplette Parteineugründung inklusive neuer Führung.

Insbesondere innerhalb der CHP herrscht offenbar große Verbitterung über die Niederlage. Deshalb stößt Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu auf weitgehendes Unverständnis, wenn er versucht, die Situation schönzureden. Selbst der amtierende Fraktionschef der CHP, Özgür Özel, sagte vor wenigen Tagen in einem Interview mit der türkischen Zeitung Cumhuriyet: „Diejenigen, die die Ergebnisse der Wahlen nicht als Niederlage wahrhaben wollen, haben keine Ahnung, was sich an der Parteibasis abspielt.“

Das ist ein schwerer Seitenhieb auf Parteichef Kılıçdaroğlu, der sich nach wie vor zugute hält, dass die knappe Niederlage bei der Präsidentschaftswahl doch das beste Ergebnis gewesen sei, das die Opposition gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan je geholt hat. Bevor er in der Stichwahl mit rund 48 Prozent der Stimmen unterlag, hatte er in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl rund 45 Prozent erhalten. Doch auch Erdoğan verfehlte die absolute Mehrheit und musste in die Stichwahl.

Für einen großen Teil der Partei reicht es jetzt aber offenbar mit den Beschwichtigungen der CHP-Parteispitze. Die Stimmen die einen Führungswechsel und grundlegende Reformen innerhalb der CHP fordern, werden immer lauter. An der Spitze dieser „Reformer“ steht der Istanbuler Oberbürgerbürgermeister Ekrem İmamoğlu – der Mann, der eigentlich schon bei der Präsidentschaftswahl im Mai gegen Erdoğan hatte antreten wollen, nicht zuletzt aber von Kılıçdaroğlu daran gehindert wurde. İmamoğlu drängt nun mit Macht an die Spitze der Partei.

Pläne für ein Manifest

Seit nunmehr 13 Jahren führt Kılıçdaroğlu die CHP an. In dieser Zeit hat er immer wieder gegen Erdoğan verloren. Für İmamoğlu und viele andere Mitglieder der CHP ist seine Zeit nun abgelaufen. Im Gegensatz zu Kılıçdaroğlu hat İmamoğlu vor vier Jahren bei der Lokalwahl in Istanbul gezeigt, dass die CHP Erdoğans AKP besiegen kann. Zweifellos ist er der junge Hoffnungsträger der Partei und will nun möglichst vor den anstehenden Neuwahlen in Istanbul im kommenden Frühjahr den Parteivorsitz der CHP übernehmen.

İmamoğlu hat bereits eine Reihe bekannter CHP-Politiker, darunter die früheren Parteichefs Altan Öymen und Hikmet Cetin, um sich versammelt und will in den nächsten Tagen ein sogenanntes „Manifest für den Wandel“ veröffentlichen. İmamoğlu geht es zunächst darum, das Machtzentrum Istanbul für sich und die CHP zu verteidigen. „Ohne einen Wechsel an der Spitze“, ist auch Fraktionschef Özgür Özel überzeugt, „wird es schwierig in Istanbul, weil die Basis dann für den Wahlkampf wenig motiviert wäre“. Ganz anders sieht es innerhalb von Erdoğans Regierungspartei AKP aus, die nach dem Wahlsieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen jetzt überzeugt ist, auch Istanbul zurückerobern zu können.

İmamoğlu steht deshalb unter Druck, möglichst bald eine Entscheidung über den Parteivorsitz in der CHP herbeizuführen. Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch sagte er aber auch, es gehe nicht nur um Personalfragen, sondern die CHP müsse eine neue Vision für die Türkei entwickeln. Er sei für jede Anregung offen. Noch gibt es allerdings kein Datum für einen Parteitag der CHP, auf dem ein Wechsel in der Führung diskutiert und beschlossen werden könnte.

Außerdem ist İmamoğlu nach wie vor mit insgesamt drei Anklagen konfrontiert, die ganz offensichtlich politisch motiviert sind und zum Ziel haben, ihn als Konkurrenten der AKP aus dem Spiel zu nehmen.

HDP diskutiert über Allianzen

Auch bei der zweiten großen Oppositionspartei, der kurdisch-linken HDP, wird heftig über die Ursachen für die Wahlniederlage diskutiert. Während ein Teil der Partei darauf drängt, die für die Wahl eingegangene Allianz mit den Links-Grünen wieder zu beenden, die angeblich Stimmen bei den klassischen kurdischen HDP-Wählern gekostet hat, wollen andere genau das Gegenteil: aus der wahltaktischen Zusammenarbeit eine echte Fusion beider Parteien unter einem neuen Namen machen.

Die Entscheidung soll auf einem außerordentlich Kongress im September getroffen werden. Klar scheint aber jetzt schon, dass die bisherige HDP-Co-Führung mit Pervin Buldan und Mithat Sancar nicht wieder antreten wird. Für eine Partei unter neuem Namen wird eine junge, unverbrauchte Führung gesucht.

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