Der Schatten einer Person auf einem Acker mit jungen Pflanzen

Wie verheißungsvoll sind gentechnisch veränderte Pflanzen? Foto: imago

Neue Gentechnik:Deutschland sucht die Superpflanze

Die Neue Gentechnik verspricht Getreide, das mit der Klimakrise klarkommt. Die EU-Kommission will die Regeln für den Umgang mit solchen Pflanzen entschärfen. Forschende freut's, UmweltschützerInnen warnen.

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2.7.2023, 12:24  Uhr

Eine Lidl-Filiale in Berlin: Die Scannerkassen piepen, die Ventilatoren der Öfen in der Backstation surren leise, Kunden schieben ihre Einkaufswagen durch die Barriere am Eingang. Frage an eine Verkäuferin, die gerade Eiscreme in eine Tiefkühltruhe räumt: „Haben Sie eigentlich auch gentechnisch veränderte Lebensmittel?“ Die Frau guckt verdutzt. Sie tippt ihr Headset an und erkundigt sich über Funk bei der Chefin. „Nicht, dass wir wüssten“, antwortet sie schließlich. „Wenn, dann müsste das draufstehen.“

Tatsächlich schreibt das Recht der Europäischen Union vor, dass gentechnische Veränderung auf dem Etikett gekennzeichnet werden muss. Aber nirgendwo hier im Lidl steht etwas von Gentechnik.

Nicht auf den Kartoffeln, nicht auf den Bio-Haferflocken, noch nicht einmal auf den Cornflakes „aus La Plata Mais“, wie er auf der Packung heißt. Der kommt wohl aus Argentinien, wo sehr viel gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden. Doch auch hier steht im Zutatenverzeichnis auf dem Karton nur: „Mais“ – ohne „gentechnisch verändert“.

Das wird vermutlich auch so stimmen, denn auf die Kennzeichnung scheint Verlass: 2021 etwa überprüften die deutschen Behörden bei 2.104 Nahrungsmitteln die Einhaltung der Gentechnikvorschriften, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit der taz mitteilte. Bei keinem einzigen gab es demnach Verstöße gegen­ die Kennzeichnungspflicht zugelassener Gentechniksorten.

Mit der Schere unterwegs in der Gerste

Hersteller und Händler wissen, dass die meisten VerbraucherInnen in Umfragen sogenanntes „Genfood“ ablehnen. Deshalb werden in der Berliner Lidl-Filiale und in fast allen anderen Supermärkten in Deutschland kaum gentechnisch veränderte Lebensmittel angeboten.

Doch das könnte sich ändern. Denn die EU-Kommission will am 5. Juli neue Regeln für den Umgang mit Gentech-Pflanzen vorschlagen. Ein erster Entwurf ist bereits durchgesickert. Demnach will die Behörde, dass ein Großteil der Pflanzen, bei denen Neue Gentechniken wie die Genschere Crispr/Cas angewendet wurden, nicht mehr auf Risiken geprüft oder auf Lebensmittelverpackungen gekennzeichnet werden müssen.

Möglicherweise werden dann in einigen Jahren Lebensmittel aus Crispr-Pflanzen in der EU auf den Markt kommen, ohne dass sie als „gentechnisch verändert“ deklariert sind.

Für Robert Hoffie würde damit ein Traum in Erfüllung gehen. Der 31-Jährige ist Biotechnologe am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben in Sachsen-Anhalt und Mitgründer der vor allem im Internet aktiven Pro-Gentechnik-Initiative Progressive Agrarwende.

Er lebt davon, zu Forschungszwecken zum Beispiel Gerstensorten mithilfe von Crispr umzubauen. Die Neue Gentechnik könne dazu beitragen, trotz Klimawandels die Welternährung sicherzustellen und die Umwelt zu schonen, sagt der Wissenschaftler. Die Pflicht zur Kennzeichnung und genauen Sicherheitsprüfung störe da nur.

Daniela Wan­ne­ma­cher hält laxere Regeln für die Neue Gentechnik für einen Irrweg. Die 44-Jährige ist Agrarwissenschaftlerin. Sie arbeitet beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Auch sie kämpft für eine umweltfreundliche Landwirtschaft – doch Gentechnik schadet da ihrer Meinung nach bloß. Hoffies Glaube an die Technik hält sie für „naiv“.

Der Gentechniker und die Umweltschützerin haben ähnliche Ziele. Warum wollen sie trotzdem so unterschiedliche Wege einschlagen?

Hoffie – glatt rasiertes Gesicht, schwarzgerahmte Brille, Seitenscheitel – zieht einen weißen Kittel über sein Polohemd in einem Labor in Gaters­leben. Der Bildschirm vor ihm zeigt lange Buchstabenketten aus A, T, G und C. Jeder Buchstabe symbolisiert einen Baustein im Gen des Erbguts der Gerste, das er verändern will.

Er sucht mit ein paar Klicks nach geeigneten Positionen in diesem Gen. Später mischt er Flüssigkeiten in kleinen durchsichtigen Plastikröhrchen. In einem Teil der Flüs­sig­keit ist die Genschere Crispr/Cas, sie trennt die DNA da, wo es Hoffie am Computer festgelegt hat. Durch den Schnitt lassen sich dann Gene abschalten oder einzelne Bausteine verändern. Die Genschere wird in einzelne Zellen der Gerste übertragen. Aus diesen Zellen wachsen zunächst Zellhaufen, später Sprossen, ganze Pflanzen. So erschafft Hoffie neue Gerstenlinien.

Das gehe schnell, erklärt Hoffie. Wenn er Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften kreuzen würde, dauerte das sehr viel länger. Statt in 10 bis 15 Jahren mit Kreuzungen kommt er bereits innerhalb von 2 Jahren zum gewünschten Ergebnis. Das ist der größte Vorteil der Genomeditierung gegenüber der klassischen Züchtung.

Blick durch ein Fenster in den Innenraum eines Labors, in dem Pflanzen stehen

Blick in einen Laborraum des Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben Foto: Sean Gallup/Getty Images

Die neuen Gentechniken sind noch viel einfacher anzuwenden und sie sind genauer als die alten – bei denen beispielsweise mit der Gen-Kanone ganze Gene aus anderen Organismen ins Erbgut der Pflanzen geschossen werden.

Hoffie und seine KollegInnen haben mit der Schere in der Gerste schon ein Gen abgeschaltet, das die Pflanze für zwei Virenarten anfällig macht. Im Gewächshaus setzten die WissenschaftlerInnen die modifizierten Pflanzen dem Gerstenmosaikvirus aus – das Getreide habe sich nicht infiziert, sagt Hoffie. Das soll hohe Ernteerträge sichern.

Gentechniker versprechen auch, Pflanzen mithilfe der neuen Methoden so zu verändern, dass weniger Pestizide nötig sind, um sie gegen Schädlinge zu schützen. Ackergifte haben den Nachteil, dass sie teils auch andere Tiere und Pflanzen schädigen oder giftig für Menschen sind. GenforscherInnen arbeiten zudem an Sorten, die besser mit Trockenheit klarkommen. Hilfreich, da Dürren wegen des Klimawandels zunehmen.

Chancen über Chancen – doch die EU-Gesetzgebung bremse die Forscher aus, kritisiert Hoffie. Denn die vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen würden zu lange dauern und zu teuer sein.

Tierversuche mit Gentech-Pflanzen hält auch Hoffie für ethisch fragwürdig. Es gebe schließlich überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Pflanzen gesundheitsschädlich seien. „Es ist nicht gefährlicher, es ist nicht allergener“, urteilt der Wissenschaftler. „Das verbietet sich schon fast ethisch, dafür Versuchstiere zu ‚verbrauchen‘, um solche Tests zu machen.“ Denn am Ende der Experimente werden beispielsweise die Ratten meist getötet. Da er die Pflanzen für harmlos hält, sagt Hoffie auch: „Eine Gentechnikkennzeichnung hat keine gesundheitliche Relevanz.“

Um das zu belegen, vergleicht Hoffie die neuen Sorten mit herkömmlichen Pflanzen, die gezüchtet worden sind, indem sie Chemikalien oder radioaktiver Strahlung ausgesetzt wurden. Dadurch werden mehr Mutationen ausgelöst als natürlicherweise. Aus den mutierten Pflanzen wählen die Züchter dann die gewünschten aus.

Dieses Verfahren wird seit Jahrzehnten und häufig angewandt. Entsprechende Erbgutveränderungen finden sich zum Beispiel in Brokkoli- und Blumenkohlsorten. Weil sich diese Zufallsmutagenese genannte Methode als sicher erwiesen habe, falle sie nicht unter das Gentechnikrecht, urteilte der Europäische Gerichtshof 2018.

„Sowohl was die Anzahl der Muta­tionen angeht als auch das Ausmaß der Veränderung, ist das eigentlich größer als das, was wir mit einem Schnitt mit der Genschere machen“, sagt Hoffie.

Bei der Zufallsmutagenese könne auch nicht gesteuert werden, wo und wie sich das Erbgut verändert. Bei Crispr hingegen schon.

Deshalb will er, dass die gleichen Regeln für alle Pflanzen gelten – egal, ob sie durch Gentechnik oder durch konventionelle Züchtung geschaffen worden sind. Sprich: keine Tierversuche mehr, keine Kennzeichnung auf der Packung.

Umweltschützerin Wannemacher trägt keinen weißen Kittel, sondern eine schwarze Jacke mit roten Blumenmotiven über ihrer Bluse. Sie sitzt in einem Konferenzraum in der Bundesgeschäftsstelle des BUND in Berlin, an der Wand weiße Raufasertapete und Fotos von Seehunden, Luchsen und Vögeln. Auf dem Bürotisch vor ihr liegt ein Spiralblock aus Recyclingpapier, in dem Wannemacher fein säuberlich notiert hat, warum sie gegen die Neue Gentechnik ist.

In den meisten Medien haben die Gentechnikbefürworter derzeit Oberwasser. Kaum jemand außer den hauptamtlichen MitarbeiterInnen von Umweltverbänden engagiert sich noch in der Anti-Gentechnik-Bewegung, vor allem, weil seit 2013 in Deutschland keine gentechnisch veränderten Pflanzen mehr angebaut werden. Besonders das Argument, die Technik könnte die Nahrung vor der Klimakrise retten, scheint bei vielen JournalistInnen zu verfangen. Da muss sich Wannemacher schon mal ein paar Notizen machen, um dagegenzuhalten.

Im Gespräch mit der taz sagt die Umweltschützerin einen besonders bemerkenswerten Satz: „Ich würde jetzt nicht davon ausgehen, dass eine durch neue Gentechnik veränderte Pflanzen-DNA, aus der dann wieder eine Pflanze gezüchtet wird, unbedingt direkt tödlich, giftig oder keine Ahnung was für Menschen ist.“ Die Genschere habe auch „unerwartete Effekte“ im Genom der Pflanze. Sie verändere auch Bereiche des Erbguts, die andere Methoden nicht modifizieren könnten. „Es gibt da sehr wenig Forschung zu“, sagt Wannemacher.

Wenn man dann von ihr wissen will, welche Anzeichen es für tatsächliche Gefahren gibt, nachdem Genpflanzen nun etwa in den USA seit Jahrzehnten gegessen werden, antwortet sie schließlich: „Ich bin mir nicht sicher, ob das die Hauptfrage sein sollte bei der Beurteilung Neuer Gentechnik“. Sprich: Die angeblichen Gesundheitsrisiken will Wannemacher nicht so hoch hängen.

Stattdessen redet sie lieber über ganz andere, ihrer Meinung nach problematische Folgen der Gentechnik. Bisher werde die Methode zum Beispiel dafür genutzt, um Pflanzen zu erzeugen, die gegen Unkrautvernichtungsmittel – auch Herbizide genannt – resistent sind.

Solche Pflanzen kritisiert Wannemacher, weil sie den Einfluss weniger Agrarchemiekonzerne stärkten und weil sie schlecht für die Umwelt seien. „Da geht es darum, ein Koppelprodukt aus Pestizid und Saatgut zu verkaufen, das im Zweifelsfall dazu führen wird, dass mehr Pestizide eingesetzt werden“, sagt die Umweltschützerin. Denn wenn beispielsweise Raps Duschen mit Ackergift übersteht, könnten Landwirte beliebig oft spritzen, um das Unkraut zu töten – denn der Raps überlebt ja. Das könnte Bauern wiederum dazu verleiten, auf ökologischere Vorkehrungen gegen Unkraut zu verzichten. Unkraut lässt sich zum Beispiel auch dadurch verringern, dass auf einem Acker nicht jedes Jahr die gleiche Pflanzenart angebaut wird, sondern sich viele Früchte abwechseln. Also vielfältige Fruchtfolgen statt Monokulturen. Das würde auch die Artenvielfalt erhöhen, aber könnte für Landwirte im Fall des pestizidtoleranten Rapses weniger attraktiv werden.

Eine Weizenähre unter einer Plastikplane

Eine kastrierte Weizenähre in einem Gewächshaus in Gatersleben Foto: Jens Wolf/dpa/picture alliance

Herbizidtoleranzen – das hat die Neue Gentechnik bereits geschafft. Ein bestimmter Raps, der in den USA auf den Markt gekommen ist, gehört zu den wenigen Pflanzen mit dieser Eigenschaft. Die Herstellerfirma Cibus und das mit ihr fusionierende Unternehmen Calyxt schweigen sich darüber aus, ob der Raps überhaupt noch angebaut wird oder gefloppt ist. Eine taz-Anfrage bleibt unbeantwortet.

Auch mit den „Superpflanzen“, die die Landwirtschaft umweltfreundlicher machen und an den Klimawandel anpassen sollen, ist es nicht so einfach – „da ist bisher nichts auf dem Markt“, sagt Wannemacher. Und daran sei nicht die EU mit ihren strengen Regeln schuld. In den USA hätten die Gentechniker ihre Versprechen bislang ebenfalls nicht erfüllt. Und das, obwohl dort die meisten Gentech-Pflanzen nach behördlicher Anmeldung verkauft werden dürfen wie jede andere Pflanze.

Trotz der niedrigen Hürden sind weltweit neben dem Herbizidraps nur wenige weitere Pflanzen der Neuen Gentechnik zu kommerziellen Zwecken angebaut worden. Recherchiert hat das beispielsweise Agrarwissenschaftlerin Eva Gelinsky im Auftrag des schweizerischen Bundeamts für Umwelt.

Tomaten, die angeblich den Blutdruck senken? Für die Umwelt-schützerin „Lifestyle-Produkte“. In der Klimakrise helfe das auch nicht weiter

Ab 2019 bot die Firma Calyxt das Speiseöl „Calyno“ aus einer Sojabohne mit weniger gesättigten Fettsäuren an, die als ungesund gelten. Und das Unternehmen Sanatech Seed, ansässig in Japan, hat dort 2021 eine Crispr-Cas-Tomate mit mehr Gamma-Amino-Buttersäure als bei herkömmlichen Sorten auf den Markt gebracht.

„Die Tomate kann den Blutdruck von Menschen mit hohem Blutdruck senken“, „vorübergehenden Stress durch Arbeit/Studium abbauen“, „die Schlafqualität verbessern“ und „die Hautgesundheit schützen“, wirbt Sanatech auf seiner Internetseite.

Nun ja. Wannemacher nennt solche Pflanzen „Lifestyle-Produkte“. Gegen die Klimakrise würde so was nicht weiterhelfen. Durch konventionelle Züchtung dagegen seien schon Pflanzen entstanden, die besser mit Trockenheit klarkommen oder gegen bestimmte Krankheitserreger resistent sind. „Es macht mich sprachlos, wie ohne jegliche Belege behauptet wird, die Neue Gentechnik trage zur Nachhaltigkeit bei“, sagt die Umweltschützerin.

Robert Hoffie verweist dann gern auf eine Datenbank mit mehr als „770 bereits publizierten, potenziellen Anwendungen in über 60 Kulturpflanzen“. Viele dieser wissenschaftlichen Veröffentlichungen beziehen sich auf Experimente, um Pflanzen widerstandsfähiger gegenüber Trockenheit zu machen.

Die Betreiber der Internetseite schrei­ben jedoch ausdrücklich: „Die Datenbank gibt weder Auskunft über den Entwicklungsstand der Kulturpflanze noch über das Bestehen der Absicht, die beschriebenen Kulturpflanzen zur Vermarktung zu entwickeln.“ Die Mehrheit der Pflanzen wird es wohl nie aus dem Labor schaffen.

„Die Technik ist jetzt zehn Jahre alt“, sagt Hoffie über Crispr. Auch ohne Risikoprüfung dauere es acht Jahre, um eine mit der Genschere erzeugte Pflanzeneigenschaft in stabile Sorten zu übertragen und auf den Markt zu bringen.

Wannemacher bestreitet das nicht. Aber sie beobachtet, dass Gentechnikbefürworter schon mehrmals Listen mit gut klingenden Projekten veröffentlicht hätten. Viele Vorhaben hätten sich erst verzögert, dann seien sie von den Listen verschwunden. Für solche vagen Aussichten möchte die Umweltschützerin nicht die Transparenz und Sicherheit aufgeben, die die aktuellen Gentechnikregeln der EU bieten. Zumindest nicht, solange keine Pflanzen mit echten, nachgewiesenen Vorteilen auf dem Markt sind. Deshalb kommt die Diskussion über den Regulierungsabbau ihrer Meinung nach einfach zu früh.

„Warum muss dann die Regulierung jetzt ausgesetzt werden?“, fragt Wannemacher. Gentechnikpflanzen seien ja nicht verboten. Die Forschung werde nicht behindert dadurch, dass die Pflanzen getestet und gekennzeichnet werden müssen, um sie auf den Markt zu bringen. „Forschung ist weiterhin möglich, es fließt europaweit auch sehr viel Geld in die Gentechnikforschung.“ Und es gebe große Absatzmärkte wie die USA und Japan, auf denen Gentechnikpflanzen etabliert sind.

Wunsch nach einem veränderten Patentrecht

Zu diesem Einwand sagt Hoffie, viele mittelständische Züchter in Europa hätten Projekte mit Neuer Gentechnik aufge­geben, nachdem der EU-Gerichtshof entschieden hatte, dass auch diese Pflanzen streng reguliert bleiben müssten. Die hohen Kosten führten dazu, dass hierzulande nur noch große Agrarchemiekonzerne wie Bayer/Monsanto solche Sorten entwickeln. Das sind genau die Unternehmen, die das Paket aus Saatgut und Pestizid verkaufen wollen. „Mich als Biotechnologen ärgert das natürlich am meisten“, sagt Hoffie. Pestizidtoleranzen seien nicht das, was er sich von der Neuen Gentechnik erhoffe.

Um die kleinen Züchter zu stärken, wünscht sich Hoffie ein verändertes Patentrecht. Bisher stehen kommerziell angebaute Gentechnikpflanzen nämlich unter Patentschutz. Deshalb dürfen Züchter dieses Saatgut nur noch mit Genehmigung der Schutzrechteinhaber weiterentwickeln. Das hemmt den Züchtungsfortschritt, und die großen Konzerne können ihre Macht über die Ernährung ausbauen. Auf konventionelle Pflanzen können in Europa grundsätzlich keine Patente erteilt werden, auch wenn dieses Verbot zuweilen umgangen wird.

Also am besten zunächst die Regeln für die Gentechnik lockern, dann die Patente abschaffen – so stellt Robert Hoffie sich das vor.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

„Das finde ich komplett naiv“, sagt Wannemacher und schüttelt den Kopf. Die Konzerne, die patentierte und herbizidresistente Pflanzen inklusive Pestiziden verkaufen, würden doch gerade für die Deregulierung lobbyieren. Und gleichzeitig würden sie auch dafür kämpfen, den Patentschutz zu erhalten. Auch Hoffie räumt ein, dass die EU-Kommission bisher keine Reform vorgeschlagen hat, um Patente für Neue-Gentechnik-Pflanzen zu verhindern.

In der öffentlichen Diskussion hat Wannemacher vor allem ein Problem: Anders als in der Klimadebatte etwa scheinen die Umweltschützer bei der Agro-Gentechnik mit der Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft über Kreuz zu liegen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina zum Beispiel forderte 2019, die Gentechnikregulierung aufzuweichen. Wannemacher aber sagt: „Es gab noch keine Stellungnahme der Gesellschaft für Ökologie und von EthikerInnen, wenig von AgrarwissenschaftlerInnen außerhalb dieser molekularbiologischen ForscherInnen, die an Gentechnikpflanzen arbeiten.“ Und sie ergänzt: „Jemand wie Hoffie profitiert natürlich davon, dass Forschung finanziert wird. Und dass das einfach als Forschungstopthema läuft.“ Letztlich sichere das die Jobs dieser ForscherInnen.

Es sieht so aus, als ob Hoffie und die anderen GentechnikforscherInnen sich bei der EU-Kommission durchgesetzt hätten. Der geleakte Verordnungsentwurf sieht jedenfalls vor, dass die Risikoprüfung und Kennzeichnung für Pflanzen der Neuen Gentechnik wegfällt, die höchstens 20 Veränderungen im Erbgut aufweisen. Immerhin soll das nicht für herbizidtolerante Pflanzen gelten. Alle anderen Sorten mit mehr als 20 Veränderungen im Erbgut sollen weiter gekennzeichnet und getestet werden. Doch Letzteres nur dann so gründlich wie bisher, wenn es vorab „plausible Hinweise“ auf Risiken gibt. Im Biolandbau sollen Gentechnikpflanzen tabu bleiben. Damit die Bauern das Saatgut trennen können, soll es weiterhin gekennzeichnet werden.

Damit der Entwurf der Kommission in Kraft treten kann, müssen ihm sowohl das EU-Parlament als auch der Rat der Mitgliedstaaten zustimmen. Österreichische Minister haben sich schon gegen laxere Regeln ausgesprochen. Wenn die deutsche Ampelkoalition in der Frage so gespalten bleibt wie derzeit, muss sich die Bundesregierung enthalten. Das könnte den Gentechnikbefürwortern nützen.

Sollte sich die Kommission mit ihrem Entwurf durchsetzen, bekämen KundInnen im Supermarkt auf die Frage nach Gentechnik künftig gar keine Antwort mehr. Man könnte es nicht wissen.

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