Neues Album und Tour von Ilgen-Nur: Im Laurel Canyon ganz bei sich

Berlins Indierockerin Ilgen-Nur hat ihr neues Album „It's All Happening“ in Los Angeles entwickelt. In Kalifornien ist sie als Künstlerin gereift.

Ilgen-Nur vor Pflanzen.

„Die sagen einfach: Oh, du sprichst drei Sprachen, cool.“ Die Musikerin Ilgen-Nur Foto: Miriam Marlene

Kurz vor der Pandemie – Ilgen-Nurs Stern am Indierock-Himmel war dank ihres lakonisch-lässigen Debütalbums „Power Nap“ (2019) gerade aufgegangen – erfüllte sich die Musikerin einen Lebens­traum: Eine Einladung ins texanische Austin, zum Branchentreff-Festival SXSW, verband sie mit einem Aufenthalt in Los Angeles.

Die kalifornische Metropole hatte sie von jeher fasziniert – nicht zuletzt wegen der Ambivalenz zwischen sonnigem Lifestyle und Abgründigem. Zudem leben dort viele Künstler:innen, die die 27-Jährige bewundert. „Ich bin mit Musik aus Los Angeles aufgewachsen, mit den Serien und Filmen“. Diese popkulturellen Hervorbringungen wollte Ilgen-Nur Borali, aufgewachsen in einer schwäbischen Kleinstadt und mittlerweile in Berlin-Neukölln zu Hause, endlich einmal mit der Realität abgleichen.

Ilgen-Nur: „It's All Happening“ (Power Nap/ Membran)

Live: 21. 11. Leipzig, „Naumans“, 22. 11. Berlin, „Hole44“, 23. 11. Bremen, „Tower“, 26. 11. Hamburg, „Knust“, 27. 11. Köln, „Bumann & Sohn“, 28. 11. Wiesbaden, „Kesselhaus“, 29. 11. München, „Milla“;

Es verschlug sie an einen Hot Spot der Legendenbildung, in den Laurel Canyon – sie bekam dort ein WG-Zimmer vermittelt, nachdem ihre ursprüngliche Mitwohn-Gelegenheit weggebrochen war. Seine kreative Hochzeit hatte der Canyon in den späten 1960ern; Cass Elliott von The Mamas and the Papas lebte damals Tür an Tür mit Jim Morrison, Carole King und Frank Zappa. Bis heute sind im Laurel Canyon, hoch über den Hügeln der Stadt traditionell Künst­le­r:In­nen zu Hause.

Ilgen-Nur tauchte ein in eine mythenumrankte Welt. Natürlich sei die Zimmermiete überteuert gewesen, erzählt sie – wie eigentlich alles in L.A. Doch der hippieske Vibe bestehe immer noch. Und Joni Mitchell, deren Einfluss auf Ilgen-Nurs neuem Album „It’s All Happening“ deutliche Spuren hinterlassen hat, wohnt bis heute auf dem Look­out Mountain, den Ilgen-Nur im schwelgerischen Auftaktsong besingt.

Spuren der Westcoast

Nach den Wochen im Canyon kam Ilgen-Nur als ­Stipendiatin erneut in die Stadt. Insgesamt neun Monate verbrachte sie in Südkalifornien und lernte unterschiedlichste Gegenden kennen. Auch musikalisch hinterließ die Westcoast Spuren. Das Ergebnis: sonnendurchfluteter, bisweilen wehmütiger Folkrock, in den gelegentlich die Düsternis des Molochs einbricht. Mal klingt das bratzig schwungvoll wie in „Purple Moon“, dann wieder flirrend wie bei „Sweet Thing“.

Damit erfindet sich die anfangs gerne als „Slackerqueen“ betitelte Ilgen-Nur mehr als nur ein bisschen neu. Unbedingt innovativ klingt sie nicht, doch das Album strahlt eine angenehme Selbstverständlichkeit aus. „It’s All Happening“ wirkt, als sei Ilgen-Nur bei sich angekommen. Was auch, so erzählt sie im Zoom-Interview, damit zu tun habe, dass es „in den USA ein Verständnis für Rockmusik gibt, das hierzulande fehlt“.

Keine Desillusion

Man müsse nicht dauernd erklären, warum man als junge queere Frau Gitarren mag. Wohl noch wichtiger für sie war, dass es „keinen gejuckt hat, dass ich aus Deutschland bin, oder, dass meine Familie aus der Türkei kommt“, erzählt sie. „Die sagen einfach: Oh, du sprichst drei Sprachen, cool.“ In Deutschland hingegen habe sie sich nie ganz zugehörig gefühlt, wegen ihres Namens und Backgrounds. Und in der Türkei galt sie immer als die aus Deutschland. „Das ist so ein Ding, das mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. In den USA fiel das komplett weg.“

Ihrem eigenen US-amerikanischen Traum nachzujagen, war für Ilgen-Nur also keineswegs desillusionierend – trotz der Extreme, auf die sie stieß. „Es hat etwas mit meinem Kopf gemacht, die ganze Zeit in diese Weiten zu gucken.“ Sie fügt, etwas kokett, hinzu: „Außerdem liebe ich Fastfood und ich liebe Gras. Ich liebe Rockmusik und ich liebe die Sonne, den Strand.“ Dass sie, wie sie betont, nie so glücklich gewesen war, wie in der Zeit dort, hängt aber vermutlich auch damit zusammen, dass sie dort projektionsfrei ihr eigenes Ding machen konnte.

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