Neues „Call of Duty“: Spiel mit den Feindbildern

„Modern Warfare III“ heißt der neue Ego-Shooter aus der Reihe „Call of Duty“. Das Videospiel enttäuscht mit technischen Problemen und Klischees.

Screenshots aus einem Videospiel

Die „Modern Warfare“-Ableger provozieren und schockieren mit ihren Gewaltdarstellungen Screenshot: Activision Blizzard

Die Erwartungen waren groß an das Spiel „Call of Duty: Modern Warfare III“. Nicht zuletzt, weil der Vorgänger innerhalb von zehn Tagen eine Milliarde US-Dollar Umsatz generiert hat. Zahlen, von denen Hollywood in den letzten Jahren nur träumen konnte. Auch „Modern Warfare III“ wird ein massiver Erfolg werden. Und doch erreicht die beliebte Spielreihe qualitativ und inhaltlich einen neuen Tiefpunkt.

Die Marke „Call of Duty“ begann 2003 mit einem Spiel zum Zweiten Weltkrieg, bevor sie 2007 mit dem Ableger „Modern Warfare“ in die Moderne ging. In „Advanced Warfare“ wurde in der nahen Zukunft gekämpft, damals lieh Kevin Spacey dem Antagonisten sein Gesicht. „Infinite Warfare“ führte die Spie­le­r:in­nen sogar ins Weltall, bevor die Reihe 2019 dann wieder zurück zur Moderne fand, weil sich die Ma­che­r:in­nen dazu entschieden, die dreiteilige „Modern Warfare“ Reihe mit bekannten Gesichtern noch einmal neu zu erzählen. Zwischen den Neuauflagen kam dann 2020 noch das extrem erfolgreiche und rein auf Mehrspieler fixierte „Warzone“.

Jedes dieser „Call of Duty“-Spiele war ein massiver kommerzieller Erfolg, und die Reihe zählt zu den erfolgreichsten der Videospielgeschichte. Die beliebtesten Teile waren die drei „Modern Warfare“-Ableger, und es liegt nahe, dass das Unternehmen Activision Blizzard diese Popularität noch mal ausschöpfen will. Gerade diese drei Teile provozierten und schockierten dabei ganz besonders.

Charakteristisch dafür ist die Mission mit dem Namen „No Russian“ in „Modern Warfare II“ aus dem Jahr 2009. Die Spie­le­r:in­nen sind hier Teil einer russischen Terrorgruppe, die auf einem Flughafen einen gnadenlosen Amoklauf gegen wehrlose Zivilisten begeht. In der deutschen Version konnten Spie­le­r:in­nen nur auf die anrückende Polizei schießen. Der nüchterne Realismus dieses Levels war besonders für damalige Verhältnisse schockierend und sorgte für eine anhaltende Stigmatisierung von Videospielen. Die Killerspiel-Debatte wird in Teilen noch heute geführt, nicht zuletzt wegen „No Russian“.

Nicht weniger geschmacklos

Ebenjene Mission wird nun im neusten Teil reproduziert. Nur findet die Tat statt in einem Flughafen direkt im Flugzeug selbst statt, was es nicht weniger geschmacklos macht. Eine weitere bedenkliche Änderung an der Mission ist, dass sie gleich mehrere Stereotype miteinander vermischt. Doch wie kommen die Spie­le­r:in­nen überhaupt in die Situation, in der das passiert?

Die Task Force 141, eine aus den USA geleitete Spezialeinheit mit Soldaten aus den Vereinigten Staaten, Kanada, Australien und Großbritannien, muss wieder einmal die Welt retten. Der große Antagonist ist Vladimir Makarov, ein frisch aus dem Gulag entflohener ultranationalistischer Russe. Er möchte die Welt ins Chaos stürzen, indem er die Nationen gegeneinander ausspielt und einen Terroranschlag fingiert. Dafür nimmt er in „No Russian“ die Soldatin Samara im Flieger als Geisel. Sie stammt aus dem fiktiven Land Urzikstan im Nahen Osten. Auch in ihrer Erscheinung soll sie an den arabischen Raum erinnern.

Der russische Bösewicht Makarov instrumentalisiert diesen erdachten kulturellen Hintergrund. Die Terroristen zwingen Samara, eine Sprengstoffweste zu tragen, und ein Entführer fragt sie: „Bist du Terroristin?“ Sie verneint. „Siehst aus wie eine“, lautet seine Antwort, bevor er ihre Weste aktiviert und sie in den Passagierraum stößt. Die Mission endet mit einer Explosion, die alle Passagiere in den Tod reißt.

„No Russian“ ist klaustrophobisch inszeniert, schmerzhaft realistisch und spielt mit der Angst vor dem tatsächlichen Terrorismus. Und doch gleicht die Szene einer pubertären, auf den Schockfaktor zielenden Provokation. Das Fragwürdige ist, wie das Spiel Stereotype einsetzt.

Klischeehaftes Feindbild

Das fängt bei dem klischeehaften bösen Russen Makarov an. Er ist die aktuellste Ausprägung einer langen Tradition westlicher Popkultur, in der Rus­s:in­nen als das Böse dargestellt werden. Während des Kalten Krieges waren es Filme wie „Rocky IV“, „Rambo III“, „Die rote Flut“, „My Son John“ und „Botschafter der Angst“, in denen der Westen alias die USA das bösartige Russland besiegte. Solche Filme waren nicht nur offensichtliche Propaganda, sondern sollten beim Publikum auch Moral und Patriotismus steigern.

Besonders beim berühmten Geheimagenten James Bond ist der böse Russe ein beliebtes Narrativ. Eines, das auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Anfang der 1990er Jahre nicht auserzählt war. Die westliche Popkultur und insbesondere Hollywood haben es versäumt, das klischeehafte Feindbild des bösartigen, kalten Russlands nach und nach aufzuweichen. Deswegen kämpft James Bond auch heute noch gegen Rus­s:in­nen, und russische Gangster sind die Gegenspieler in großen Produktionen wie zum Beispiel „John Wick“, „The Equalizer“ und „96 Hours“. Russland bleibt in der westlichen Popkultur – im Gegensatz zu China – als Antagonist etabliert.

Spätestens seit Putins Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 erlebt der Russe als Feindbild eine Aktualisierung, sowohl in der Popkultur wie auch in der Gesellschaft. „Modern Warfare III“ greift zurück auf den alten Widersacher. Da ist es ideal, dass der ultranationalistische Makarov schon lange vor dem Ukrainekrieg ein Teil der „Call of Duty“-Reihe war und jetzt bequem aus dem Ruhestand zurückkehren kann. Doch die neue Folge bedient auch das Stereotyp des arabischen Terrorismus. Es wirkt bizarr, dass „Modern Warfare III“ versucht, diese beiden Feindbilder – „der böse Russe“ und „der böse Araber“ – gegeneinander auszuspielen. Nur damit die USA am Ende doch wieder die Welt retten können. Diese Erzählung des Videospiels ist so, wie sie klingt: verdammt langweilig.

Auch abseits der fragwürdigen Klischees kann „Modern Warfare III“ in keiner Weise überzeugen. Das Spiel recycelt die meisten seiner Inhalte vollkommen ungeniert aus dem zuvor erschienenen „Warzone.“

Die Fans sind deswegen verständlicherweise aufgebracht. Zudem enthüllte der Branchenjournalist Jason Schreier die desaströsen Arbeitsbedingungen hinter den Kulissen und dass die Ent­wick­le­r:in­nen monatelang Nächte und Wochenenden durcharbeiten mussten. Der reguläre Entwicklungszyklus von etwa drei Jahren wurde auf knapp ein Jahr reduziert, natürlich zulasten der Arbeitnehmer:innen. „Modern Warfare III“ war ursprünglich als kleine Erweiterung für den Vorgänger geplant, bis sich Activision Blizzard dazu entschied, den Titel künstlich aufzublasen. Das Ergebnis ist ein Spiel mit viel heißer Luft.Technisch ist der Titel keineswegs fertig, der Mehrspielermodus kämpft mit zahlreichen Problemen, und selbst die notdürftig erzählte Kampagne ist nach gerade einmal vier Stunden beendet. Auch die lieblose Rückkehr des einst beliebten Zombiemodus bringt kaum Spielspaß.

Trotzdem behauptet das Spiel, seine 70 Euro wert zu sein. Das ist es aber nicht.

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