Neujahresauftakt der Linkspartei: Zwischen Neustart und Kranzabwurf

In der Berliner Stadtmission besinnt sich die Linke auf ihre Sozialpolitik. Zum Jahresauftakt gibt sie sich kämpferisch – trotz gelichteter Reihen.

Martin Schirdewan und Janine Wissler bei der Kranzniederlegung

Linken-Vorsitzende Martin Schirdewan und Janine Wissler beim Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Foto: Pascal Beucker

BERLIN taz | Um kurz nach 10 Uhr am Sonntag setzt sich der Pulk vor der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin in Bewegung. In der Mitte laufen Janine Wissler und Martin Schirdewan. Die Linksparteivorsitzenden tragen einen großen Kranz, den sie in Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vor 105 Jahren zwischen deren Grabplatten ablegen. Es scheint zu sein wie immer.

Tatsächlich lässt sich nur an Kleinigkeiten erkennen, dass es das in diesem Jahr nicht ist. So muss sich Ex-Fraktionschef Dietmar Bartsch einen Kranz mit den beiden Berliner Bundestagsabgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch teilen, um weiter ganz vorne dabei zu sein. Da es keine Linksfraktion mehr gibt, gibt es auch keine Fraktionsführung mit eigenem Kranz. Und als Gruppe anerkannt sind die verbliebenen Linken im Bundestag ja noch nicht.

Von ihren einstigen Fraktionskolleg:innen, die sich als „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) abgespalten haben, lässt sich niemand am Morgen beim stillen Gedenken blicken. Das ist bei der später stattfindenden Demonstration anders. Wie üblich läuft Sevim Dağdelen in der ersten Reihe. Doch sie ist die einzige führende BSWlerin, die zu sehen ist. Auf ihre früheren Ge­nos­s:in­nen trifft sie nicht. Als Dağdelen mit den diversen linken Grüppchen mit ihren roten Fahnen und eigentümlichen Parolen an der Gedenkstätte eintrifft, sind die Re­prä­sen­tan­t:in­nen der Linkspartei längst wieder von dannen gezogen. Schirdewan hat noch einen Fototermin für die Werbekampagne zur Europawahl in Neukölln, Wissler zieht es zur Anti-AfD-Kundgebung am Brandenburger Tor.

Für die beiden ist das der Abschluss eines langen Wochenendes, das am Freitag mit einer zweitägigen Jahresauftaktveranstaltung der Linken in der Berliner Stadtmission begann. Die im ehemaligen Arbeiterviertel Moabit gelegene Stadtmission ist ein denkbar unglamouröser Ort. Der Haupteingang ist wegen Bauarbeiten gesperrt, auf dem Gelände stapeln sich Decken der Kältehilfe, die Obdachlose vor dem Erfrieren retten sollen. Es gibt dort eine Ambulanz, eine Kleiderkammer und Notübernachtungsplätze, die sichtlich sehr begehrt sind.

Dass sich die Linke diesen Ort ausgesucht hat, ist einerseits als Botschaft zu verstehen: Wir stehen an der Seite der Menschen in Not. Andererseits konfrontiert es die mehr als 300 Teil­neh­me­r:in­nen des Kongresses mit einer Realität, mit der viele von ihnen zuvor wohl vor allem in der Theorie zu tun gehabt haben dürften. Da bekommen Diskussionen über „Europa für alle: Umverteilen für soziale Gerechtigkeit“, „Mehr Sozialismus wagen?“ oder „Klima, Klasse, Linkspartei – Wie gelingt uns Klimapolitik für alle?“ gleich eine handfestere Bedeutung.

„Wir brauchen endlich eine Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum“, sagte Wissler in ihrer Rede am Samstag. „Wir wollen nicht, dass die Normal- und die Geringverdiener, die Armen und die noch Ärmeren sich um die Brotkrumen streiten.“ Und selbstverständlich gehe es in diesem Jahr auch darum, sich mit aller Kraft der Gefahr von rechts entgegenzustellen. „Dafür brauchen wir eine starke Linke, die Hass und Hetze einen Pol der Hoffnung entgegensetzt und den Grundgedanken der Solidarität stark macht.“

Dazu wäre es allerdings zunächst erforderlich, dass die Linkspartei ihre tiefe Krise überwindet. Ob ihr das gelingt, ist offen. Der lange innerparteiliche Streit mit Wagenknecht und ihrer An­hän­ge­r:in­nen­schaft hat tiefe Spuren hinterlassen. Doch aufgegeben hat sich die Partei offensichtlich noch nicht. Die Linkspartei habe jetzt die Chance, eine politische Kultur zu entwickeln, in der man streitbar sein kann, ohne zerstritten zu sein, sagte der sächsische Landesvorsitzende Stefan Hartmann. Voraussetzung dafür sei, dass „wir gemeinsam sagen, auf dieser Seite der Barrikade in der Gesellschaft kämpfen wir zusammen“.

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