Ökonom über Wohnungskrise: „Es geht um ungenutzte Wohnflächen“

Bauen sei teuer, umweltschädlich und fördere Spaltung, sagt Ökonom Daniel Fuhrhop. Es brauche Alternativen zum Neubau.

Der Schattenriss eines Geruestbauers zeichnet sich auf einer Baustelle ab in Berlin

Kränlein dreh dich (nicht): eine Baustelle in Berlin Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

taz: Herr Fuhrhop, am Donnerstag und Freitag kommen die Bau­mi­nis­te­r*in­nen der Länder zusammen und sind wild entschlossen, mehr Wohnungen zu bauen. Müsste man sie bei dem Vorhaben stoppen?

Daniel Fuhrhop: Die Frage erübrigt sich weitgehend von alleine, denn im Moment klappt es sowieso nicht mit dem Neubau. Die Preise sind explodiert, es mangelt an Fachkräften, an Bauland, manchmal sogar an Baustoffen. Die Zahl der neuen Wohnungen wird vermutlich nicht steigen, sondern im Gegenteil eher sinken. Genau darum brauchen wir Alternativen.

hat im Oekom-Verlag das Buch „Verbietet das Bauen!“ veröffentlicht. Der Autor studierte Architektur, wechselte zur Betriebswirtschaft und wurde dann Architekturverleger. Fünfzehn Jahre lang publizierte er vor allem über Neubauten. Die hält er heute für überflüssig: besser die bestehenden Bauten besser nutzen.

Sie haben mal eine Streitschrift geschrieben mit dem Titel: „Verbietet das Bauen“. Finden Sie es falsch, dass die Regierung sich vorgenommen hat, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen?

In der Tat freue ich mich etwas, dass jetzt weniger gebaut wird. Auch wenn wir ganz bestimmt Wohnungen brauchen, halte ich es für falsch, 400.000 Wohnungen allein durch Neubau herzustellen.

Was stört Sie daran?

Bauen ist erstens sehr teuer, zweitens fördert es die soziale Spaltung, und drittens ist es sehr umweltschädlich, und zwar in einem Maße, das bisher noch gar nicht so bekannt ist.

Wie meinen Sie das?

Ich habe auf Grundlage von vielen Fakten Berechnungen angestellt. Nehmen wir mal die 400.000 Wohnungen, die im Jahr gebaut werden sollen. Diese würden das Klima in ihrem Lebenszyklus mit bis zu 99 Millionen Tonnen CO2 belasten. Der Schaden durch diese 400.000 Wohnungen wäre höher als der Betrieb sämtlicher über 40 Millionen Altbauwohnungen, die wir in Deutschland haben. Das wäre ein totales Desaster.

Wie sind Sie auf diese Summe gekommen?

Treibhausgase werden in drei Bereichen verursacht. Erstens durch den Bau selbst, etwa die Herstellung von Zement, zweitens durch den Betrieb und drittens kommt eine Wohnung selten allein, sondern wir haben neue Baugebiete mit Straßen und Leitungen. Das meine ich mit Lebenszyklus, es ist eine ganzheitliche Betrachtung, wie schädlich Neubau ist.

Was sind denn die Alternativen zum Neubau?

Das statistische Bundesamt unterscheidet zwischen Wohnraum, der durch Neubau entsteht, und Wohnraum, der im Bestand entsteht, also in Altbauten, zum Beispiel, wenn ein Dachgeschoss ausgebaut wird oder aufgestockt wird. Das ist erheblich klimafreundlicher und flächenschonender, als neu zu bauen. Das könnten wir auf jeden Fall steigern. Ich sehe aber noch einen dritten Bereich: Den unsichtbaren Wohnraum.

Am Donnerstag und Freitag findet die Bauministerkonferenz in Baden-Baden statt. Für Verunsicherung sorgt derzeit die Haushaltskrise. Die staatliche Förderbank KfW verhängte am Mittwoch einen vorläufigen Antrags- und Zusagestopp für vier Förderprogramme aus dem Bereich Bauen und Wohnen: Das Programm „Altersgerecht Umbauen“, „Energetische Stadtsanierung“, die Förderung genossenschaft­lichen Wohnens und ein Härtefallprogramm für Wohnungsunternehmen. (jak)

Zu diesem Thema haben Sie Ihre Dissertation verfasst. Wo sehen Sie Wohnraum, den andere nicht sehen?

Es geht um Wohnungen und Flächen, die einfach nicht genutzt werden. Das kann ein Zimmer sein, zwei Zimmer oder eine ganze Wohnung. Wenn Menschen in großen Wohnungen oder Häusern diesen Platz nicht benötigen, kann man Angebote unterbreiten, wie man diese Fläche anders nutzen kann.

Viele ältere Leute wohnen auf viel Fläche alleine, zum Beispiel, wenn Kinder ausgezogen sind. Die sollen sich jetzt Mit­be­woh­ne­r*in­nen suchen?

Nur, wenn sie das selbst wollen. Ich sehe kein Problem darin, dass Menschen auf großer Fläche wohnen oder in einem großen Haus. Es hilft nicht, zu moralisieren. Wenn sich Menschen aber zum Beispiel einsam fühlen nach dem Auszug der Kinder oder auch dem Tod des Partners und das gerne ändern möchten, wäre es doch eine gesellschaftliche und politische Aufgabe, zu helfen und zu beraten.

Wie viel Potential sehen Sie in solchen Wohnformen?

Es gibt bereits hier und in Nachbarländern Beispiele dafür, wie unsichtbarer Wohnraum nutzbar gemacht wird. Auf dieser Grundlage, also auf real messbaren Zahlen, habe ich abgeschätzt, was herauskommen würde, wenn wir in ganz Deutschland diese Modelle professionell anbieten würden. Da komme ich auf 100.000 Wohnungen im Jahr, die mobilisiert werden können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir drei bis fünf Jahre lang die entsprechenden Strukturen schaffen. Das heißt, Personal für Beratung und Vermittlung ausbilden und diese Programme bekannt machen.

Welche Modelle gibt es denn schon in Deutschland?

Ich habe in meiner Arbeit das generationenübergreifende Modell „Wohnen für Hilfe„ untersucht, das es an über 30 Orten gibt. Meist ziehen junge Studierende oder Auszubildende zu älteren Menschen und zahlen keine oder nur eine kleine Untermiete. Dafür helfen sie beim Einkaufen oder im Garten. Leider sind die meisten Stellen davon in Deutschland auf einem sehr niedrigen Niveau mit schlechter Ausstattung und mäßig erfolgreich. Es gibt einige gute Ausnahmen in Köln, Freiburg und München. Aber wenn man richtig professionelle Beispiele sehen will, dann sollte man nach Belgien, Frankreich oder Großbritannien gucken.

Was ist dort besser?

Der Unterschied liegt vor allem in der Professionalisierung der Vermittlungsarbeit. Es gibt in den anderen Ländern professionelle Netzwerke, in denen dutzende einzelne Vermittlungsstellen entweder kooperieren oder gemeinsam eine Organisation formen. Dadurch gibt es dann Leitfäden für die Arbeit und einen intensiven Austausch. Ein großer Unterschied ist auch: in 16 von 17 Staaten, in denen es solche Modelle gibt, werden Servicepauschalen oder Gebühren für die Vermittlungsarbeit genommen. Dafür bekommt man die Sicherheit, bei ernsthaften Problemen sofort zum Telefon greifen zu können und unterstützt zu werden. Der Vorteil ist, dadurch refinanzieren sich diese Programme zumindest teilweise. In Deutschland wird diese Dienstleistung kostenlos angeboten. Das hört sich nett an, hat nach meinen Recherchen aber leider zur Folge, dass die Modelle oft nach einiger Zeit wieder eingestellt werden.

Um vorhandene oder ungenutzte Flächen besser zu nutzen, gibt es ja auch die Idee des Wohnungstauschs. Das geht doch in eine ähnliche Richtung, oder?

Eine Person, die sehr viel Raum hat und den anders nutzen möchte, hat viele Möglichkeiten. Sie könnte Untermieter aufnehmen, umziehen, etwas abtrennen, eine kleinere Wohnung umbauen oder auch gemeinschaftlich wohnen und Fläche sparen. Von diesen Optionen ist der Wohnungstausch die komplizierteste Variante. Sehr oft ist zum Beispiel eine kleinere Wohnung teurer als eine große, und das erschwert dann den Tausch, oder im Bereich der Miete müssen die verschiedenen Vermieter zustimmen. Solche Herausforderungen lassen sich zwar lösen, und es gibt einige Erfolgsansätze, aber grundsätzlich rate ich dazu, dass wir erst mal die bewährten Modelle stärken, wie eben die Vermittlung von Alt und Jung oder das, was ich soziale Wohnraumvermittlung nenne.

Was ist damit gemeint?

Ich habe kürzlich in Karlsruhe den Sozialbürgermeister besucht. Sie betreiben dort seit bald 20 Jahren ein Modell, wo es um die Vermittlung von Sozialmietern geht. Es gibt Eigentümer, die keine Lust mehr haben zu vermieten, weil sie mal schlechte Erfahrungen hatten, etwa mit Mietnomaden. In diesem Modell wird den Eigentümern die Miete garantiert, bei auftretenden Problemen kümmern sich eigene Mitarbeiter darum, und es gibt noch einen Renovierungszuschuss. Im Gegenzug werden die Wohnungen als Sozialwohnung vermietet.

Von welcher Größenordnung reden wir hier?

Allein in einem Jahr wurden so 60 leerstehende Wohnungen wieder an den Markt gebracht. Das ist doch Wahnsinn! Insgesamt wurden in Karlsruhe auf diese Weise 1.300 Sozialwohnungen in Altbauten geschaffen. Da ahnt man doch, welch gigantisches Potenzial es für Deutschland gibt, um in Altbauten Wohnraum zu mobilisieren.

Ist der Traum vom eigenen Haus heutzutage überholt?

Nein, auch zukünftig kann jeder den Traum vom Eigenheim leben, aber es muss ja kein neues sein. Es gibt bereits 15 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland. Beim vergangenen Wohnungsgipfel wurde beschlossen, dass bundesweit das Förderprogramm Jung kauft alt eingeführt werden soll. Das ist ein Förderprogramm für Menschen, die ein altes Haus kaufen und dort selbst einziehen. Das begrüße ich! Neubau schädigt nicht nur das Klima, sondern verbraucht extrem viel Fläche und wir sollten unseren wertvollen Boden sinnvoller nutzen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.