Schattenriss im Abendlicht: Basketballspieler vor einer Industrieanlage

Foto: David Goldman/picture alliance

Öl- und Chemieindustrie in Texas:Vergiftete Nachbarschaft

Im US-Bundesstaat Texas boomt die petrochemische Industrie. Die armen Anwohner haben davon nichts, im Gegenteil: Oft erleiden sie Gesundheitsschäden.

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1.9.2023, 16:00  Uhr

An einem schwülen Sommermorgen geht die Sonne über Port Arthur noch zaghaft auf, vom nahen Atlantik weht etwas Meeresluft über die Stadt. Port Arthur liegt im Osten von Texas, dort, wo der feste Boden des großen Bundesstaates langsam in die Sumpfgebiete des anliegenden Louisianas übergeht. Die Gegend um die Kleinstadt ist heiß, schwül und einzigartig: Hohe Tannen wachsen entlang sattgrüner Sumpflandschaften, in denen Alligatoren und Pelikane leben. Auf den üppigen Feldern der Gegend werden Reis und andere durstige Agrarerzeugnisse wie Soja angebaut. In den Jahren vor dem US-amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) waren hier große Sklavenplantagen, noch heute leben in der Region viele Menschen afroamerikanischer Abstammung.

Port Arthur gehört zu einer zerstückelten Metropolregion an der Küste, in der sich heute die Wirtschaft ganz um Öl und Erdgas dreht. Seit der Entdeckung eines großen Erdölvorkommens am Anfang des letzten Jahrhunderts ist die Gegend ein Zentrum der Industrie. ExxonMobil, Total, Chevron Phillips – sie alle unterhalten hier im Südosten des Bundesstaates Raffinerien, in denen die Bodenschätze weiterverarbeitet werden.

Trotz der Klimakrise boomt die Industrie. Liquefied Natural Gas (LNG), Kraftstoffe, Chemikalien und Produkte für die Plastikindustrie werden hier produziert und über die nahen Großhäfen in die ganze Welt transportiert. Die Emissionsstandards sind niedrig, die Bußgelder für Verstöße gegen Auflagen der Umweltbehörden gering. Das hat fatale gesundheitliche Folgen für die lokale Bevölkerung und das Klima. Auch Unternehmen aus Deutschland profitieren von diesen Umständen.

John Beard ist in Port Arthur geboren und aufgewachsen und lebt bis heute in der Stadt. ­Beard beschreibt sich als „Petrochemie-Arbeiter der zweiten Generation“ und hat selber lange in verschiedenen Werken der Region für ExxonMobil gearbeitet. Später saß er fast ein Jahrzehnt im Stadtrat seiner Heimatstadt und ist bis heute in Port Arthur engagiert, unter anderem über eine von ihm gegründete Organisation, die sich mit Klima, Gesundheit und Gerechtigkeit befasst. „Das Leben in Port Arthur wird dadurch kompliziert, dass es hier so unglaublich viele Quellen für Luftverschmutzung gibt“, sagt Beard. „Es gibt die Valero-Raffinerie, die über die letzten sechs Jahre 500 verschiedene Verstöße gegen die Emissionsgesetze hatte.“

Die Krebsraten in und um Port Arthur liegen 11 Prozent über dem US-amerikanischen Durchschnitt

Die Raffinerie des gleichnamigen Konzerns kann fast 400.000 Barrel Öl pro Tag verarbeiten. Dazu kommt das Werk der Firma Oxbow, in der Basisprodukte für Aluminium produziert werden und welches Emissionen von rund 11.000 Tonnen pro Jahr ausstößt. Dazu gehört auch das Giftgas Schwefeldioxid, das für das Phänomen des sauren Regens verantwortlich ist. Gleich zwei nennenswerte Quellen des Karzinogens Formaldehyd befinden sich in Port Arthur: eine LNG-Anlage auf der anderen Seite des Sabine Lake sowie die Firma German Pellets, die Brennstoffe aus den örtlichen Hölzern produzieren.

„Sie holzen unsere wunderschönen texanischen Wälder ab, verarbeiten sie zu Holzzellstoff und machen daraus diese Pellets in der Größe eines kleinen Fingers“, sagt John ­Beard der taz. Dabei wird Formaldehyd zur Desinfektion benutzt, das erwiesenermaßen hochgiftig ist. Die einst in Deutschland gegründete Firma wurde 2016 als Teil eines Insolvenzverfahrens zerschlagen und gehört heute einem Investmentfonds aus Litauen.

Besonders komplex ist die Lage in Port Arthur laut John Beard wegen der vielen verschiedenen Werke und der Emissionen, die mit ihren jeweiligen Produktionsprozessen zusammenhängen. „Die Total-Raffinerie alleine zählt zu den größten Produzenten von Benzol in den USA, zusätzliche gibt es die verschiedenen Quellen von Ethylenoxid, beides Stoffe, die nachweislich zu Krebs führen können.“ Hinzu kommen laut Beard die unzähligen Bauprojekte, die der Öl- und Gas-Boom in der Industriestadt losgetreten hat. Denn je mehr Geld es zu verdienen gibt, desto mehr Werke werden in der Region gebaut. „Es ist eine toxische Suppe, die wir hier einatmen müssen.“

Diese toxische Suppe gefährdet die Gesundheit der lokalen Bevölkerung. Die Krebsraten in und um Port Arthur liegen 11 Prozent über dem US-amerikanischen Durchschnitt, hinzu kommen hohe Inzidenzraten von Herz-, Lungen- und Nierenleiden. „Wenn sich jemand einen Fallschirm anzieht und damit irgendwo in Port Arthur landet, kann er den nächstbesten Menschen ansprechen, ob er jemanden kennt, der Krebs hat, und die Antwort wird garantiert ein Ja sein“, sagt Beard erhitzt.

Der Aktivist erzählt anhand der Geschichte einer Bekannten, wie verbreitet das Krankheitsbild ist. „Nehmen wir zum Beispiel Etta Ebert. Sie hat schon mal Krebs überlebt und wurde jetzt wieder mit einer neuen Form diagnostiziert. Ihr Ehemann war wegen Krebs lange im Hospiz und wiegt immer noch weniger als 45 Kilogramm.“ Nicht nur Ebert und ihr Mann waren betroffen. „Ihre Tochter hat Krebs überlebt, und ihr Bruder Eddie ist an ihm gestorben.“

Rund ein Viertel der Bevölkerung lebt in Port Arthur unter der Armutsgrenze. Wer die schnurgeraden Straßen von Port Arthur entlang läuft, der sieht aber nicht nur Armut, in Form von vielen baufälligen und provisorisch reparierten Wohnhäusern, sondern eben auch die Türme und Tanks der Öl- und Gasproduzenten, die sich hier niedergelassen haben. Ein großer Teil der Innenstadt von Port Arthur ist durch den gigantischen Komplex der Motiva-Raffinerie zerrissen, die größte in ganz Nordamerika. 630.000 Barrel Erdöl kann die Anlage jeden Tag zu verschiedenen Kraftstoffen und Basisprodukten für die Chemieindustrie verarbeiten. Schätzungsweise 20 Millionen Barrel werden pro Tag in den USA verbraucht.

Laut der amerikanischen Umweltbehörde EPA liegt das durchschnittliche Risiko für eine Krebserkrankung durch eine industrielle Ursache in den USA bei 1 zu 30.000. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der investigativen Organisation Pro Publica ist die Quote für direkte Anwohner der großen Werke in Port Arthur 1 zu 53 – und damit 190 Mal höher als der Durchschnitt. John Beard und seine Organisation setzen sich für umfangreiche Studien ein, um festlegen zu können, welche Werke in der Stadt für konkrete Krankheitsbilder verantwortlich sind. Bisher ist nur klar, dass diese in Port Arthur weit über dem landesweiten Durchschnitt liegen.

Die Kleinstadt Groves liegt nur wenige Autominuten von Port Arthur entfernt und gehört ebenso zu der Industrieregion an der Küste. Im frühen Morgenlicht funkelt das Metall der BASF Total Petrochemicals LLC, ein gigantischer Industriekomplex, der zwischen Wohngebieten und dem Wasser liegt. Der deutsche Konzern mit Sitz in Ludwigshafen produzierte während des Ersten Weltkriegs Kriegswaffen, während des Nationalsozialismus war er als Teil der IG Farben unter anderem für die Herstellung von Zyklon B verantwortlich, dem in den Konzentrationslagern eingesetzten Giftgas.

Siedlung mit kleienn Häusern vor rauchenden Ölraffinerie-Anlagen

Nur einen Windstoß entfernt: ein Wohngebiet direkt neben einer Raffinerie in Port Arthur Foto: DAvid Goldman/picture alliance

Gruppen von Arbeitern passieren die hoch umzäunten Tore, dahinter stehen Stahltanks und ragen hohe Schornsteine in den Himmel. Auf dem Gelände steht auch ein sogenannter Ethane Cracker, der aus rohem Erdgas den Basisstoff Ethen gewinnt, mit dem Tausende von Plastikprodukten produziert werden. Verpackungen, Kleidungen, medizinische Produkte – sie alle entstehen auf der Grundlage von petrochemischen Produkten, die hier an der Küste von Texas hergestellt werden.

Courtney Bernhardt ist die wissenschaftliche Leiterin des Environmental Impact Project, einer Nichtregierungsorganisation, die sich eng mit der Arbeit der Öl- und Gasindustrie auseinandersetzt und deren Folgen für Gesundheit und Umwelt erfasst. 1 bis 1.5 Tonnen CO2 produziert ein Ethane Cracker wie der in Groves für jede Tonne Material, die sie herstellen, schätzen Organisationen wie ihre. „Dazu kommen noch etliche andere Schadstoffe. Es ist ein richtiger Giftcocktail“, sagt Bernhardt.

Das Werk in Groves ist nur eines von Dutzenden, das im Osten von Texas kürzlich fertiggestellt wurde oder derzeit in Planung ist. Dass die petrochemische Industrie heute so starken Wachstum verzeichnet, liegt Courtney Bernhardt zufolge vor allem an der Verfügbarkeit des Rohstoffs: „Der derzeitige Boom hängt auf jeden Fall an den großen Mengen an Erdgas, die aus den Schieferformationen kommen.“ In Texas meint das vor allem das Permbecken, ein großes Vorkommen im Nordwesten des Staates, das fast ein Jahrhundert lang die USA und den Rest der Welt mit Treibstoff versorgte.

Mitte der nuller Jahre galt das Becken als versiegt, zu dicht war der Schieferstein über dem verbleibenden Gas und Öl, um durch herkömmliche Methoden erreicht zu werden. Dies änderte sich schlagartig mit der Einführung von Fracking, das die Öl- und Gasförderung auf den Kopf stellte. Selbst der dichte Schiefer kann der neuen Methode nicht widerstehen, heute liefern die USA dank der kontroversen Technologie mehr Öl und Gas als je zuvor.

Die Produktion wurde auch für den Markt Europa erhöht, der seit dem Ukrainekrieg neue Lieferanten sucht

Auch Deutschland befindet sich vermehrt unter den Abnehmern. In den meisten EU-Staaten ist Fracking hingegen verboten, denn der Prozess kann das Grundwasser verschmutzen und in extremen Fällen sogar zu Erdbeben führen.

Die petrochemische Industrie hat sich laut Courtney Bernhardt nicht aus Zufall an der texanischen Küste angesiedelt: „Die meisten Firmen sind schon hier, sie betreiben hier Raffinerien oder sind in der Nähe der Exporthäfen“, sagt sie. Pipelines aus dem Permbecken reichen bis ans Meer, wo das Öl und Gas weiterverarbeitet und verschifft werden. Außerdem sei das politische Klima in Texas maßgeblich, so Bernhardt, denn der republikanisch regierte Bundesstaat rühmt sich damit, besonders wenige Auflagen für die Industrie durchzusetzen. Amerikanische Bundesstaaten haben breite Befugnisse, ihre eigenen Emissionsstandards zu setzen, im Gegensatz zu demokratisch regierten Staaten wie Kalifornien sind diese in Texas enorm niedrig.

In Texas stoßen Öl- und Gasindustrie nämlich selten auf Widerstand gegen die Umsetzung ihrer Vorhaben. Rund 24 Milliarden US-Dollar haben die Konzerne alleine im letzten Jahr in Form von Steuern und anderen Geldern in die Kasse des Staats gespült. 1,8 Milliarden Barrel wurden 2022 hier gefördert. Die erhöhte Produktion hängt auch maßgeblich mit dem europäischen Markt zusammen, der seit dem russischen Angriff auf die Ukraine energisch nach neuen Lieferanten sucht.

An der Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen hängen in Texas Tausende von Arbeitsplätze, ganze Landstriche sind von den Einkommen abhängig, die auf den Ölfeldern oder in den Raffinerien und Chemiewerken gezahlt werden. Für eine von Rechten dominierte Staatsregierung, in der viele die Realitäten des Klimawandels bezweifeln, gibt es nur wenige Anreize, den Konzernen das Geschäft zu vermiesen.

Diese Kulanz gegenüber der Industrie drückt sich in Texas auch durch die laschen Auflagen der staatlichen Umweltbehörde aus. So dürfen zum Beispiel die Betreiber von Bohrstellen im Bundesstaat ungenutztes Erdgas einfach „ablüften“ und damit in die Atmosphäre entlassen: Da das billigere Erdgas für manche Ölfirmen eher ein Nebenprodukt der Förderung ist, wird es so schlichtweg entsorgt, ohne verbrannt oder genutzt zu werden.

Einer Studie der Umweltorganisation Environmental Defense Fund zufolge könnte das Permbecken die größte Quelle für die Verschmutzung durch Methangas weltweit sein, nur ein paar Gasfelder in Russland könnten womöglich an die texanischen Werte herankommen.

Ein Mann vor roten Bannern mit erhobenem Arm

Der Aktivist John Beard hat selber lange für einen Ölkonzern gearbeitet Foto: Peter Dejong/ap

Ähnlich locker geht der Bundesstaat mit den immensen Emissionen der petrochemischen Industrie um. In Port Arthur allein gelten drei der örtlichen Werke als „High Priority Violator“ für die Bundesbehörde EPA, sie verstoßen systematisch gegen die Emissionsgrenzen für Benzol und andere krebserregende Stoffe. Da die dafür erhobenen Bußgelder relativ niedrig sind, lohnt es sich für die Konzerne nicht, ihre Emissionen zu drosseln. Die Firma German Pellets zum Beispiel wird nach einem aktuellen Gerichtsurteil wohl nur knapp 12.000 US-Dollar Bußgeld für ein Feuer bezahlen müssen, das 53 Tage lang nicht gelöscht werden konnte und Port Arthur wochenlang in giftigen Rauch hüllte.

Während der jährlichen Hurrikan-Saison stoßen die Petrochemie-Werke entlang der Küste ihr ungewolltes Material einfach ab. Eine Raffinerie in Old Ocean, einem weiteren Küstenort, ließ im Jahr 2020 mehrere Hundert Kilo Schwefeldioxid innerhalb von wenigen Stunden ab, um sich auf den nahenden Sturm „Laura“ vorzubereiten.

Nicht nur die gesundheitlichen Folgen der Industrie beschäftigen John Beard aus Port Arthur. Trotz der Profite in Milliardenhöhe, die von Firmen wie Exxon Mobil, Total und BASF jährlich erwirtschaftet werden, lebt der Großteil der Bewohner von Port Arthur weiterhin in Armut. ­Beard beschreibt den desolaten Zustand der Stadt: „Wir haben Probleme in der Höhe von Millionen von Dollar“, sagt er. „Es ist eine alte Stadt mit immer schlechterer Infrastruktur, von den Straßen bis hin zum Abwasser.“

Als er selbst in den Werken arbeitete, wurde Beard über die potenziellen Gefahren aufgeklärt, bekam ein gutes Gehalt und die notwendige Schutzausrüstung für den Umgang mit Giftstoffen. „Aber für die Menschen, die auf der anderen Seite des Zaunes leben, gibt es nichts davon“, sagt Beard, und spricht damit über die Gemeinden, die knapp außerhalb der Werksgelände liegen. „Warum müssen sie das ganze Risiko auf sich nehmen, ohne davon zu profitieren?“

Beard deutet auf den Rassismus, der den Industriestandorten zugrunde liegt. „Die Menschen, die von diesen Industrien profitieren, sind in den meisten Fällen keine People of Color“, sagt er der taz. „Doch sie bauen ihre Industrien in unseren Gemeinden auf, weil sie hier nach eigener Aussage den geringsten Widerstand erleben. Sie bauen diese Dinger nicht in Beverly Hills oder auf der Madison Avenue, sondern sie bauen sie dort, wo die armen Menschen sind.“

In Groves steht die Sonne mittlerweile hoch im Himmel und hat den morgendlichen Nebel fast gänzlich vertrieben. Das Werk der BASF Total Petrochemicals, in dem Tonnenweise Ethen und andere Plastikprodukte hergestellt werden, läuft auf Hochtouren. Über eine flackernde Stichflamme werden Gas und andere Abfallprodukte abgebrannt, große Lkws passieren die hohen Tore. „Ein paar Fotos vom Tor sind in Ordnung“, sagt die Person an der Sicherheitskontrolle. Für Besucher ist das Werk allerdings nicht geöffnet.

Zwischen dem Werk und dem nächsten Wohngebiet liegen nur wenige hundert Meter. Ein hoher Maschendrahtzaun, ein leerer Parkplatz, dann beginnt schon die Siedlung. Auf die Verschmutzung durch das Werk angesprochen, führt eine Anwohnerin in ihren Garten und zeigt auf ein Vogelbad. „Jeden Morgen komme ich hier raus und fülle frisches Wasser ein, und am Ende des Tages hat sich hier ein dichter, schwarzer Film auf der Oberfläche gebildet“, erzählt sie der taz. Die sportliche Frau um die 60 ist vor ein paar Jahren nach Groves gezogen. „Ich hatte früher nie gesundheitliche Probleme, aber seit ich hier wohne, brennen mir morgens oft die Augen und der Hals.“

Anwohnerin in Groves

„Sie töten uns auf Raten“

Die Frau beschreibt, wie sie nachts die hohen Stichflammen über dem BASF-Total-Werk sehen kann und wie die Luftverschmutzung den Abendhimmel einfärbt. „Sie töten uns hier auf Raten“, sagt sie mit einem resignierten Lachen. Sie hat kein Problem damit, über die Probleme in Groves zu sprechen, sagt sie, möchte aber trotzdem anonym bleiben. „Hier leben so viele von der Industrie, da möchte ich nicht, dass jemand hört, dass ich schlecht über die Werke geredet habe“, sagt sie. „Die brennen dir hier sonst das Haus ab.“

Dr. Anthony Rodriguez lehrt an der Texas Southern University in Houston, der unangefochtenen Hauptstadt der texanischen Industrie. ­Rodriguez beschäftigt sich unter anderem mit Stadtpolitik und dem sogenannten „Zoning,“ dem Verfahren, nach dem in US-amerikanischen Städten bestimmt wird, welche Art von Gewerbe und Häusern in welchen Gebieten stehen dürfen. Houston ist dabei ein ganz besonderes Beispiel, erklärt Rodriguez, denn: „In Houston haben wir überhaupt kein Zoning.“

Eine Fahrt durch die Millionenstadt macht eindrücklich klar, was das bedeutet. In Houston stehen Raffinerien und allerlei Industriewerke mitten in Wohngegenden, mancherorts liegen zwischen den schillernden Hochhäusern der Ölkonzerne und den Stichflammen der Werke nur wenige Kilometer. „In Texas und besonders in Houston erlauben sie praktisch alles“, erklärt Rodriguez im Interview mit der taz. „Das Problem ist, dass keine Pufferzonen errichtet werden.“

Selbst ein paar hundert Meter begrünte Flächen könnten helfen, die Gefahren durch giftige Emissionen für Anwohnende zu reduzieren, sagt Rodriguez. Derzeit gelten mehr als die Hälfte der Distrikte, die zur Region zwischen Houston und Port Arthur zählen, als „non-attainment areas“ für die nationale Umweltbehörde. Mit diesem Etikett versieht diese Gegenden, in denen die Luftqualität unter dem Minimalstandard ist.

Dr. Rodriguez erzählt, dass der Kampf um höhere Emissionsstandards für ihn auch persönlich ist. „Meine Ehefrau liegt wegen Krebs im Sterben“, erzählt er. Rodriguez’ Ehefrau ist in Texas City aufgewachsen, einem Vorort von Houston mit vielen Werken, in denen ihre Familie Arbeit gefunden hatte. Rodriguez’ Ehefrau ist früher zur Arbeit zu Fuß gelaufen, erzählt er. „So nahe haben wir daran gelebt.“ Dass seine Tochter mit einem Geburtsfehler zur Welt gekommen ist und sein Sohn frühzeitig verstarb, ist für Rodriguez zweifelsfrei eine Konsequenz der Luftverschmutzung durch Krebserreger und andere Gifte.

Solange der Gasboom anhält und die Staatsregierung von Texas in den Händen von Industrie-nahen Politikerinnen bleibt, wird sich strukturell wohl erst mal nicht so viel an der texanischen Küste ändern. John Beard aus Port Arthur glaubt, dass die Realitäten des Klimawandels und der ökologischen Zerstörung früher oder später auch einen Wandel in der Staatspolitik herbeiführen werden. „Sie müssen sich ändern“, sagt er. „Ob sie wollen oder nicht.“

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