Opposition in Russland: Dissident unter Dissidenten

Der linke Politologe Boris Kagarlizki wird zu fünf Jahren Haft verurteilt. Angeblich soll er ukrainische Angriffe auf die Krim gerechtfertigt haben.

Porträt von Boris Kagarlitsky, er sitzt vor Gericht hinter einer Glasscheibe

Der russische Soziologe Boris Kagarlizki muss ins Gefängnis, er steht auf einer „Liste von Terroristen und Extremisten“ Foto: Nataliya Kazakovtseva/imago

KYJIW taz | Boris Kagarlizki ist mit vielem nicht einverstanden, was im Staate Russland passiert. Er war gegen die Kriege in Tschetschenien, er beklagt den zunehmenden Kapitalismus und die Ausgrenzung finanzschwacher gesellschaftlicher Randgruppen und er lehnt den Krieg gegen die Ukraine ab.

Doch auch unter den russischen Dissidenten ist er Dissident. Der Marxist, der mit der deutschen Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammenarbeitet – das brachte ihm den Titel „Ausländischer Agent“ ein –, ist auch ein Kritiker der liberalen Opposition.

Am Dienstag wurde Kagarlizki in einem Berufungsverfahren zu fünf Jahren Haft verurteilt. Damit geht gegen einen prominenten Linken ein im Juli aufgenommenes Strafverfahren vorerst zu Ende. Die Staatsanwaltschaft hatte insbesondere der Titel eines von Kagarlizki verbreiteten Videos, „Knallige Begrüßung der Brückenkatze“ gestört, das über ukrainische Angriffe auf die Krim informiert hatte. Dieses Video wurde als Rechtfertigung für diese ukrainischen Angriffe gewertet.

Geradezu ein Talisman war für die Bauarbeiter der Krim-Brücke eine Katze geworden, die den Arbeitern kurz nach Baubeginn zugelaufen und praktisch die gesamte Bauzeit auf der Brücke war. Dieser „Brückenkatze“ ist ein Wandgemälde gewidmet, das alle Passagiere von Zügen und Schiffen, die diese Brücke passieren, sehen können. Im Dezember hatte es noch besser ausgesehen für Kagarlizki. Da hatte ein Gericht den Politologen zu einer Geldstrafe verurteilt und den in U-Haft sitzenden Aktivisten noch im Gerichtssaal freigelassen.

Roter Faden

Linker Aktivismus zieht sich wie ein roter Faden durch das Leben von Kargalitzki. Er will sich von keinem Staat und erst recht nicht von der Kommunistischen Partei vereinnahmen lassen. Seit 1977 gab es kaum einen Versuch der Gründung einer linken, von der kommunistischen Partei unabhängigen Partei, an der nicht auch Kagarlizki beteiligt gewesen wäre.

Angefangen hatte er 1977 als linker Dissident mit der Organisation von Lesungen des Werks von Herbert Marcuse. Dem folgten die Untergrundzeitschriften Linker Umschwung und Der Sozialismus und die Zukunft. Eine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei 1979 endete ein Jahr später mit seinem Ausschluss wegen „gesellschaftsfeindlicher Aktivitäten“.

Im April 1982 wurde er zu einem Jahr Haft wegen „antisowjetischer Propaganda“ verurteilt. Ende der 80er Jahre war er Mitgründer der „Föderation sozialistischer gesellschaftlicher Klubs“, im Sommer 1988 eine führende Persönlichkeit der Moskauer Volksfront. Dort konnte er sich mit seinen sozialistischen Vorstellungen nicht durchsetzen.

Ende 1989 gründete er mit anderen dann das „Allrussische Komitee für eine Sozialistische Partei“. Ein Jahr später war er Vorstandsmitglied der neu gegründeten Sozialistischen Partei, die sich in Gegnerschaft sowohl zur Kommunistischen Partei als auch der liberalen Opposition des Demokratischen Russland sah. 2005 verließ er die „Linke Front“, weil diese mit den Kommunisten zusammenarbeitete.

Anfangs hatte Kagarlizki Putins Ukraine-Politik unterstützt. Er begleitete die Gründung der „Volksrepubliken“ von Donezk und Luhansk mit Wohlwollen. Kurz nach Russlands Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 war es damit vorbei. Auf seiner Internetseite „Rabkor“ fand sich der Aufruf „Sozialisten gegen den Krieg“, den auch er selbst unterzeichnet hatte. Seit August 2023 steht Kagarlizki auch auf der „Liste von Terroristen und Extremisten“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.