Origineller Berlin-Krimi: Showdown im Parkhaus

„Die Guten und die Toten“ von Kim Koplin ist ein toll geschriebener Berlin-Thriller mit Noir-Elementen. Das Böse kriegt darin ordentlich auf die Mütze.

Das Parkhaus, in dem Koplins Krimi spielt, ist dramatisch heruntergekommen Foto: Andrè Wunstorf

Mit Berlin-Krimis und -Thrillern lassen sich längst ganze Bücherwände füllen; die Schauplätze konzentrieren sich seit einigen Jahren jedoch meist auf die Szene-, die Reichen- oder die Ostbezirke. Auf die Dauer nutzt sich das alles ab. „Die Guten und die Toten“ geht da eigene Wege und ist auch insofern originell, als es zum größten Teil in Charlottenburg spielt, dem „alten Westen“ schlechthin.

Einen weiteren Originalitätspunkt gibt es für die Findung des Autor*innennamens, denn „Kim Koplin“ ist ein vollendet androgynes Pseudonym. Tatsächlich mag mensch keine offizielle Hypothese abgeben, ob dieser Roman nun von einer Frau, einem Mann oder einer Person (oder gar mehr als einer) mit noch komplexerer Genderidentität geschrieben wurde. Nichts ist unmöglich, alles ist drin.

Unter dem Radar bleiben

Als wichtigster Handlungsort fungiert ein dramatisch heruntergekommenes Parkhaus. Selbstverständlich gibt es dieses Gebäude in der Realität nicht, jedenfalls nicht dort, wo es im Roman verortet wird: in der Knesebeckstraße. Auf Google habe es eine Bewertung von 1,4, erfahren wir („Ratten im Treppenaufgang“, „Putz fällt von der Decke“), das ist die schlechteste in ganz Europa. Aber der Betreiber stellt keine Fragen; und das ist Saad, der die Nachtschicht als Pförtner im Parkhaus schiebt, nur recht, denn er will unbedingt unter dem Radar bleiben.

Saad heißt eigentlich gar nicht so und gibt sich als syrischer Flüchtling aus, stammt aber in Wahrheit aus Marseille, wo er ziemlichen Ärger mit ziemlich gefährlichen Drogengangstern hatte, und lebt in ständiger Angst, dass die ihn finden könnten. Vor allem seine kleine Tochter will er schützen; er zieht Leila allein auf, seit ihre Mutter starb.

Kim Koplin: „Die Guten und die Toten“. Suhrkamp, Berlin 2023, 254 Seiten, 16 Euro

Ein erster und dann ein weiterer Zufall führt Saad mit Nihal zusammen, der zweiten sowie weiblichen Hauptfigur des Romans. Über Nihal heißt es mehrfach, dass sie aussehe wie eine Marvel-Heldin. Sie ist eine extrem sportliche Kriminalkommissarin, die sich für die Olympia-Qualifikation im Kickboxen oder etwas Ähnlichem vorbereitet und deswegen mitunter auch mitten in der Nacht joggen geht, wenn ihr kleiner Bruder, der ungebeten bei ihr eingezogen ist, wieder einmal extrem nervt.

Beide Hauptpersonen, Saad und Nihal, haben mithin „Migrationshintergrund“, aber ganz unterschiedliche Probleme. Während Saads Problem eher selbst verschuldet ist, wurde Nihal in eine familiäre Situation geboren, in der sie es mit ihren Ambitionen niemandem recht machen kann. Ihre aus Aserbaidschan stammenden Eltern missbilligen ganz allgemein alles, was sie tut. Dass sie als Polizistin einschreiten muss, als ihr Bruder kriminell wird, bringt ihr den endgültigen väterlichen Bann ein.

Eine Überlegung ins Blaue: Die feministische Grundausrichtung dieser Figurenkonstellation könnte darauf hindeuten, dass der Roman von einer Frau/einer als weiblich zu lesenden Person geschrieben wurde. Andererseits gibt es schließlich auch viele feministisch denkende Männer/männlich zu lesende Menschen. Und ist nicht die ständige Visualisierung der Polizistin in eng anliegenden schwarzen Ganzkörperanzügen eine Männerfantasie? Oder eher doch ein feministischer Selbstermächtigungstopos?

Milieu der Billigjobs

Die Handlung bildet auf zwanglose Weise Bandbreite und Widersprüchlichkeit der Berliner Sozialstruktur ab. Das Milieu der Billigjobs, in denen häufig neu- Eingewanderte ihr Leben fristen, kommt ebenso vor wie jenes der höheren Regierungskreise, in denen im teuren Dienstwagen durch die Gegend gefahren, teuer gespeist und (in diesem fiktiven Fall) der Hals doch nie vollgekriegt wird. Und auch die Party- und Drogenszene bekommt ihr Fett weg. Die Actionszenen sind spannend geschrieben und mit gut dosierter Situationskomik grundiert. (Auch das könnte, ebenso wie der vollendet lakonische Stil und die überlegene Dialogführung, eventuell als Hinweis auf die Person der AutorIn dienen.)

Für die romantischen Naturen unter den Lesenden hat die schreibende Person noch eine Love Story zwischen den beiden Hauptfiguren hingesponnen, wie Jane Austen sie kaum zarter hätte andeuten können. Nur dass hier auch mal geküsst wird; doch erst nachdem die zahlreichen Leichen ordentlich beseitigt wurden, die vorher angefallen sind. Das Schönste aber ist, dass der Roman ganz und gar seinem Titel entspricht und damit eine höhere Gerechtigkeit herstellt, die es so auf Erden gar nicht gibt.

Deswegen ist dies keineswegs ein Noir-Roman, sondern, so blutig es zwischendurch zugehen mag, vielmehr eine romantische Thrillerkomödie mit märchenhaften Zügen: Die Bösen sind am Ende nämlich (Achtung, Spoiler!) alle mausetot. Die Guten steigen in den Flixbus nach Hamburg.

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