Perspektiven für Geduldete in Bayern: Ohne Pass keine Chance

Der Chancenaufenthalt soll geduldeten Migranten eigentlich neue Perspektiven geben. In Bayern ist die Sache jedoch nicht so einfach.

Wappen von Bayern auf einer Flagge.

Lage nach sechs Monaten Chancenaufenthaltsrecht in Bayern: keineswegs zufriedenstellend Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

MÜNCHEN taz | Gassimou Mbaye ist so ein Fall: Eigentlich wäre der gut integrierte Senegalese ein typischer Kandidat für das Chancenaufenthaltsrecht, doch er hat die Rechnung ohne die bayerischen Behörden gemacht. Vor zehn Jahren kam Mbaye, der in Wirklichkeit anders heißt, nach Deutschland. Asyl erhielt er nicht, aber er wurde nach einem erfolglosen Klageverfahren geduldet.

Welches Glück, dachte er sich, als der Bundestag das Chancenaufenthaltsrecht verabschiedete – endlich eine Perspektive, legal hier zu bleiben, zu arbeiten. Eine Chance. Denn darum ging es ja in der zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Gesetzesänderung, und Mbaye erfüllte alle Voraussetzungen. Noch im Januar beantragte er bei der Zentralen Ausländerbehörde Oberbayern einen Aufenthaltstitel nach Paragraf 104c des Aufenthaltsgesetzes.

Es folgten Monate der Stille. Statt einer Nachricht der Ausländerbehörde erhielt er im Mai einen Brief der Polizei: Wegen Passlosigkeit werde ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet. Zwei Wochen später traf dann die Antwort der Ausländerbehörde ein: Wegen des Ermittlungsverfahrens werde sein Antrag ausgesetzt.

Die Geschichte von Mbaye ist exemplarisch für das, was der Bayerische Flüchtlingsrat und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein bei einer Befragung von Betroffenen, Helferinnen und Anwälten erfahren haben. Die Organisationen haben bilanziert, wie es nach sechs Monaten Chancenaufenthalt mit der Umsetzung in Bayern aussieht: keineswegs zufriedenstellend.

Dabei klingt das reine Zahlenverhältnis nicht so schlecht: Zum Stichtag 18. April standen 2.347 positiv beschiedenen Anträgen nur 658 abgelehnte gegenüber. Nur: Bei insgesamt 9.800 Anträgen bleiben viele Fälle wie der von Mbaye. Man habe den Eindruck, so Antonella Giamattei vom Anwältinnenverein, dass die Behörden bewusst versuchten, die Schwachstellen des Gesetzes auszunutzen, um das Ziel des Chancenaufenthalts zu unterwandern. So würde häufig nach der Antragstellung Anzeige erstattet. Werde ein Flüchtling zu 90 oder mehr Tagessätzen verurteilt, erfülle er dann nicht mehr die Voraussetzungen für einen Chancenaufenthalt.

Abstruse Begründungen

Wer seinen Pass abgegeben habe, erhalte keine Duldung mehr und somit auch keinen Chancenaufenthalt. Es gebe weitere abstruse Versuche, Antragstellern den Chancenaufenthalt zu verwehren. So wollte man einer Person den Chancenaufenthalt verwehren, weil sie bei einer Busreise eingeschlafen und im Ausland wieder aufgewacht war. Nach ein paar Stunden war sie wieder in Deutschland. Aber: Der Voraufenthalt sei daher unzulässigerweise unterbrochen worden.

In anderen Fällen würden Antragsteller abgeschreckt, indem sie aufgefordert würden, den Pass oder Sprachzertifikate mit zur Behörde zu bringen, obwohl beides keine Voraussetzungen für den Antrag seien. Oder ihnen werde fälschlicherweise zu verstehen gegeben, dass ihr Antrag keine Chance habe und sie ihn zurückziehen sollten.

Die Organisationen fordern Nachbesserungen: So sollten nicht nur „Geduldete“, sondern alle „vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer“ das Chancenaufenthaltsrecht bekommen können.

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