Philosoph über Eigentumsrechte: „Die Natur gehört nicht dem Menschen“

Der Philosoph Tilo Wesche fordert, der Natur Eigentumsrechte an sich selbst zuzusprechen. Die Folge: Wenn Unternehmen sie nutzen, müssten sie zahlen.

Der Tagebau Hambach und der Hambacher Forst aus der Vogelperspektive betrachtet.

Das Prinzip „Abholzen für die Unternehmensziele“: Der Tagebau Hambach und der Hambacher Forst 2018 Foto: dpa | Federico Gambarini

taz: Herr Wesche, was halten Sie als Philosoph, der sich mit Eigentum beschäftigt, von der Enteignung von Wohnungskonzernen? Würden Sie das gut finden, oder würden Sie doch am Eigentum festhalten?

Tilo Wesche: Das schließt sich ja nicht aus. Unter Eigentum wird bedauerlicherweise durchgehend nur Privateigentum verstanden. Aber zum Eigentum gehört auch gemeinschaftliches und öffentliches Eigentum, das wir ja in unseren Rechtsordnungen kennen. Wenn wir von Enteignung von Immobiliengroßkonzernen sprechen, dann sprechen wir hier von der Überführung des Privateigentums in diese andere Eigentumsformen.

Das bedeutet, man kommt um das Eigentum nicht herum. Dabei glauben manche Linke ja, Eigentum sei die Ursache alles Bösen.

Jahrgang 1968, ist Professor für Praktische Philosophie an der Uni Oldenburg und forscht bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum „Strukturwandel des Eigentums“.

Sein Buch „Die Rechte der Natur“ ist im September bei Suhrkamp erschienen.

Es ist bedauerlicherweise so, dass gesellschaftliche Konflikte selten als Eigentumskonflikte betrachtet werden. Sie sind zunächst als solche nicht sichtbar, darum ist es wichtig, dass man sie als Eigentumskonflikte erkennbar macht. Das ist genau das, was Karl Marx gemacht hatte, der die Konflikte zwischen Kapital und Arbeit so beschrieben hat und der auch auf eine bestimmte Form des Eigentums hinaus will. Er spricht an verschiedenen Stellen vom „wahrhaft menschlichen“, vom „sozialen“, vom „individuellen“ Eigentum, das vom Privateigentum unterschieden ist. Wenn Sie von einer linker Position sprechen, würde ich sagen, das ist, wenn man von Marx aus kommt, immer auch eine Eigentumsposition.

Sie sagen, die Natur müsse Eigentumsrechte haben. Wie kamen Sie auf die Idee?

Es gibt diesen Fall des Whanganui River in Neuseeland, das war ein Rechtsstreit zwischen den Maori und der Regierung. Der Kompromiss war zu sagen: Okay, die Maori haben recht, dass der Fluss nicht Eigentum von Menschen ist – die Maori haben das damit begründet, dass ihre Ahnen in dem Fluss leben würden. Die Regierung hat wiederum Recht bekommen damit, dass sie sagt, es kann kein Fluss, kein Territorium außerhalb einer Eigentumsordnung liegen. Der Kompromiss war, dass man sagt, dem Fluss werden die gleichen Eigentumsrechte übertragen, die auch die An­woh­ner:in­nen dieses Flusses haben.

Aber an was soll der Fluss Rechte haben? Am Wasser? An den Fischen?

Wichtig ist, dass der Rechtsträger immer ein Ökosystem ist, ein Zusammenhang von verschiedenen Entitäten, die in diesem Zusammenwirken überhaupt erst ein lebendiges Stück Natur erlauben. Ich würde sagen, der Fluss besitzt Eigentumsrechte an all diesen Elementen, aus denen er besteht.

Die Idee klingt aber doch sonderbar.

Mir ist sehr wichtig, dass ich an eine bestehende Rechtspraxis anknüpfe. Die Rechte der Natur sind keine Traumtänzerei, es ist weltweit eine sich zunehmend etablierende Rechtspraxis. Und ich habe versucht, diesen Gedanken in unsere säkulare Rechtsordnung zu übersetzen. Ich habe zu zeigen versucht, dass sich diese Rechte der Natur aus unseren Eigentumsvorstellungen selbst herleiten. Sie müssen nicht erst aus Ländern des Globalen Südens importiert werden. Und da würde ich sagen: Schauen wir uns geltende Eigentumsvorstellungen bei uns genauer an. Denn bestehende Eigentumsrechte sind eine Hauptursache der globalen Ökologiekrise.

Stromkonzernen wie RWE gehören große Gebiete, und sie dürfen Wälder für den Kohleabbau abholzen, so viel sie wollen.

In Konflikten zwischen Ökonomie und Ökologie setzten sich häufig Eigentumsrechte durch, dafür gibt es unzählige Beispiele. Genau diesen Punkt versuche ich aufzugreifen. Wenn Klimaschutz und Umweltschutz weniger zählen als Eigentumsschutz, dann liegt es doch nahe, sich diesen starken Eigentumsschutz für Nachhaltigkeitsanliegen zunutze zu machen. Und dann muss man schauen, was ist eigentlich die Grundlage, auf der unsere Eigentumsvorstellungen beruhen.

Und, worauf beruhen sie?

Sie beruhen in der Regel auf dem Gedanken, dass, wer etwas erzeugt, auch Ei­gen­tü­me­r:in dieser Erzeugnisse ist.

Na ja, als Porsche-Arbeiter habe ich auch keinen Porsche.

Nein, aber das ist ja das Problem. Sie reden ja auch von einem gerechten Lohn, oder bei unbezahlter Pflegearbeit, die insbesondere von Frauen verrichtet wird, heißt es, ihnen steht eigentlich etwas zu. Und warum? Weil sie zur Wertschöpfung beitragen. Aus dem Beitrag zur Wertschöpfung entstehen Ansprüche. Dass ist das gleiche Argument, wenn wir zum Beispiel Erbengesellschaften kritisieren, weil Erbschaften wie jegliches Kapitaleinkommen leistungslose Gewinne sind, und das ist ungerecht.

Das wäre dann die Forderung, dass sich Eigentum rechtfertigen müsste. Aber in der gesellschaftlichen Realität rechtfertigt sich ja keiner.

Die Vorstellung, dass sich Eigentumsrechte aus den Erträgen der Arbeit ergeben, ist unglaublich weit verbreitet. Sie finden sie in der katholischen Soziallehre, in sozialdemokratischen Vorstellungen von Chancengleichheit, im libertären Gedanken, dass sich Leistung lohnen müsse. Sie können sich auch konkrete Eigentumsrechte anschauen. Das Patentrecht zum Beispiel leitet sich daraus ab, dass man etwas geschaffen hat. Also so ganz jenseits unserer Eigentumsordnung ist es dann doch nicht.

Und wie ist die Natur an der Wertschöpfung beteiligt?

Die bestehenden Eigentumsrechte erlauben, mit Naturgütern nach Belieben umzugehen wie mit allen anderen Sachen. Sie erlauben, so zu tun, als ob die Natur niemandem gehörte und wir sie uns einfach aneignen könnten. Sie tun so, als ob die Natur keinen Wert besitzen würde, erst durch die Bearbeitung bekämen Naturgüter einen Wert. Und das ist falsch, wie wir an den Ökosystemdienstleistungen sehen.

Was ist das?

Das sind die Beiträge, die durch Naturgüter geleistet werden, für unsere menschliche Wertschöpfung. Das ist das Gedeihen von Pflanzen, das Reinigen von Wasser durch Böden, das ist der Transport von Feuchtigkeit …

Sie meinen nicht nur Sachen wie Kohle, also Bodenschätze, sondern natürliche Prozesse, die benutzt werden.

Das ist ein sehr verbreitetes Anliegen in der Ökologiebewegung, anzuerkennen, dass die Natur etwas beiträgt, das Menschen nicht geschaffen haben, aber trotzdem nutzen.

Und was passiert, wenn die Natur Eigentumsrechte hat?

Wenn Menschen Naturgüter nutzen, nutzen sie fremdes Eigentum, das der Natur gehört, und fremdes Eigentum verpflichtet dazu, dass man es sorgfältig behandelt. Es verpflichtet dazu, etwas nachhaltig zu nutzen.

Aber das schreiben sich ja alle auf die Fahnen.

Da haben Sie vollkommen recht, das ist so ein Feigenblatt geworden, das sich jedes Unternehmen in die Firmenpolitik reinschreibt, und es bedeutet letztendlich nichts. Deswegen sollte man genau schauen, was Nachhaltigkeit bedeutet. Das bedeutet erst mal, dass es um den Erhalt eines Ökosystems geht. Dann ist aber auch wichtig: Wenn wir fremdes Eigentum nutzen, kann der Eigentümer auch eine Gegenleistung erwarten.

Jetzt wird’ s interessant.

Daran scheitern ja auch viele Ökologieprojekte, weil sich immer die Frage stellt, wer soll das bezahlen. Und da würde ich sagen, wenn die Natur Eigentumsrechte hat und Menschen Naturgüter nutzen, kann ihnen auch eine Gebühr für die Naturnutzung abverlangt werden. Weil sie die Natur nutzen, müssten Unternehmen auch zahlen. Die Natur bekommt dann einen Preis, und dieser Preis muss reinvestiert werden, um die sozioökologische Transformation finanzieren zu können.

Ließe sich das durch die Eigentumsrechte der Natur beschleunigen?

Der Vorteil von Rechten ist, dass sie durchgesetzt werden können, auch gegen Großunternehmen. In Ecuador führten die Rechte der Natur dazu, dass ein milliardenschwerer, internationaler Bergbaukonzern über Nacht gezwungen wurde, den Bergbau in einem Nebelwald einzustellen, und zwar ohne Entschädigung.

Und das könnte RWE dann genauso gehen.

Beim Hambacher Forst verlief die Geschichte ja so, dass er von Um­welt­schüt­ze­r:in­nen besetzt wurde, um das Unternehmen daran zu hindern, ihn für die Kohleförderung abzuforsten. Das Unternehmen hat sich auf seine Eigentumsrechte berufen und gesagt, wir dürfen mit dem Wald machen, was wir wollen. Das Eigentumsrecht befugte das Unternehmen auch, die Polizei aufzufordern, das Gelände zu räumen.

Wenn die Natur Eigentumsrechte hätte, liefe das anders?

Wenn man die Sache von den Rechten der Natur aus betrachten würde, zeigt sich die Lage genau umgekehrt, dass nämlich das Unternehmen RWE die Eigentumsrechte der Natur verletzt hat. Und die Ak­ti­vis­t:in­nen schützen dieses Eigentum der Natur stellvertretend, indem sie diesen Wald vor Abholzung schützen und den Abbau von Kohle verhindern, weil dadurch die Speicherfähigkeiten der Natur geschützt werden.

Sie gehen mit dem Eigentum da an die heilige Kuh das Kapitalismus ran.

Wenn ich eins in dieser Zeit gelernt habe, dann: Man kann das Eigentum nur mit den eigenen Waffen schlagen. Es hilft nichts zu fordern, das Eigentum abzuschaffen. Es hilft nichts, an den bestehenden Eigentumsrechten Reparaturen vorzunehmen. Da muss eine grundlegende Veränderung stattfinden. Den Gedanken, dass die Natur nicht dem Menschen gehört, finden Sie in vielen Kulturen. Und genau diesen Gedanken versuche ich in unsere gegenwärtigen Eigentumsgesellschaften zu übersetzen.

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