Pilotprojekt in der U8: Sauber mit dreckigen Mitteln

Die Kampagne der BVG für mehr Sicherheit auf der U8 sorgt vor allem für mehr Chaos bei der Straßensozialarbeit.

Eine Reinigungskraft, die eine Warnweste trägt, geht mit einem Reinigungswagen durch eine Beliner U-Bahn-Station.

Sicher und sauber, vielleicht – aber was ist mit sozial? Foto: Jens Kalaene/dpa

BERLIN taz | Zwei Sicherheitsleute zotteln den Bahnsteig hinunter. Am Ende angekommen, wenden sie und gehen auf der anderen Seite zurück, der begleitende Schäferhund und sein Maulkorb immer einen Schritt voraus. Als wäre der Bahnsteig ein riesiges Schwimmbad, ziehen sie hier den ganzen Tag lang ihre Bahnen. Statt Chlorgeruch und Hallenbad-Echos gibt es freilich abgestandenen Rauch und rauschende U-Bahnen.

Der U-Bahnhof Schönleinstraße – halb Neukölln, halb Kreuzberg und sonst als Drogenumschlagplatz bekannt – ist verdächtig sauber und ruhig. Seit Mitte Februar läuft ein Pilotprojekt der BVG, das für mehr Sicherheit und Sauberkeit auf der U8 sorgen sollen.

Drei Monate soll pilotiert werden, Kostenpunkt: 700.000 Euro. „Ziel unserer Reinigungsstreifen sind Verbesserungen bei der Sauberkeit, mehr sichtbare Präsenz und ein besseres Sicherheitsgefühl auf unseren U-Bahnhöfen“, sagt BVG-Sprecher Jannes Schwentu zur taz. Und: „Die Reinigungsstreifen sind ein Projekt für, nicht gegen Menschen.“

Die U8 hat bundesweit den Ruf, die Drogen- und Junkie-Linie zu sein. „Die U8 tue ich mir nicht mehr an“, erklärte etwa Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB im Interview mit der taz. „Ich habe keine Lust, morgens in der U-Bahn als Erstes zu sehen, wie sich jemand einen Schuss setzt.“ Seit dem Pilotprojekt habe er sich jedoch wieder in die berüchtigte U-Bahn gewagt und tatsächlich eine Verbesserung festgestellt. „Es ist sauberer geworden“, sagte er.

Straßensozialarbeit leidet

Als Moritz Speiser und Cengiz Tanriverdio bei ihrem Rundgang durch den Kiez kürzlich leergefegte U-Bahn-Stationen vorfanden, staunten sie. Die Straßensozialarbeiter für wohnungslose Menschen arbeiten für den Verein Gangway in Neukölln und kümmern sich um die Menschen, die sich bis Mitte Februar auf den U8-Stationen, nun ja, eingerichtet hatten. Erst aus den Medien erfuhren Speiser und Tanriverdio von dem Pilotprojekt der BVG.

„Die Verlagerung und Vertreibung machen unsere Arbeit extrem schwierig“, sagt Speiser zur taz. Die Arbeit der Straßensozialarbeiter basiere auf dem Aufbau von Vertrauen zu den wohnungslosen Menschen und deshalb eben auch „sehr stark auf Kontinuität und Beziehungen“. Sie bräuchten zwingend diese „Vertrauensbasis, damit die Hilfe, die wir anbieten, auch angenommen wird“.

In der Vergangenheit fand ein Teil der Straßensozialarbeit in den Bahnhöfen statt. Vor allem in Neukölln sind Menschen auf den Schutz ebendort und damit auf BVG-Terrain angewiesen. „Hier gibt es kaum Einrichtungen, wo sich die Menschen tagsüber aufhalten können“, sagt Tanriverdio. „Es fehlt an Orten, an denen man sich vor der Kälte und dem Wetter schützen kann.“

Seit dem BVG-Pilotprojekt sei es schwieriger geworden, Adres­sa­t:in­nen zu finden. „Wir wissen nicht, wo sie hingehen“, sagt Speiser. Wohnungslose Menschen würden jetzt in andere Bezirke fliehen, wo die So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen sie nicht kennen und die mühsame Beziehungsarbeit wieder von vorn beginnen müsse.

„Man will sich nicht um die Obdachlosen kümmern“, sagt Tanriverdio. Das zeige auch die Berliner Präventionspolitik. Im laufenden Haushaltsjahr könnten 900.000 Euro weniger für die Drogen- und Suchthilfe zur Verfügung stehen als im vergangenen Jahr. Das war das Ergebnis einer Berechnung der Senatsgesundheitsverwaltung, für die die BVG natürlich nichts kann. Aber: „Die BVG hätte sich mit Sozialarbeitern zusammensetzen und fragen können, was sie tun können“, sagt Tanriverdio. „Dass Leute rausgeschmissen werden, löst keine Probleme.“

BVG will nicht nur verdrängen

Dass Obdachlose einfach aus den U-Bahnhöfen vertrieben werden, sei ausgesprochen nicht das Ziel des Pilotprojekts, sagte BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt zum Auftakt des Pilotprojekts vor gut einem Monat. „Wir können die Menschen nach draußen begleiten, aber es geht uns nicht um eine Verdrängung. Wir müssen schauen, welche Unterstützungs- und Hilfsangebote gibt es dort, gerade in den kalten Monaten“, sagte er. Dazu sei man mit den sozialen Trägern im Gespräch, auch mit der Berliner Kältehilfe.

Irritierend ist freilich der Umstand, dass die Kältehilfe bezüglich des Pilotprojekts noch überhaupt nicht von der BVG kontaktiert wurde. „Wir haben uns schon gefragt, welcher Träger damit gemeint ist“, sagt Sabrina Niemietz vom Koordinationsbüro der Kältehilfe zur taz. „Wir haben keine Informationen über das U8-Pilotprojekt erhalten und wissen immer noch nicht, welcher Träger oder Kooperationspartner daran beteiligt sein soll.“

Auch die Berliner Stadtmission, die den Kältebus betreibt, habe bisher nichts vonseiten der pilotverantwortlichen BVG gehört, so Sprecherin Barbara Breuer zur taz. Die Leiterin der mobilen Ein­zel­fall­hel­fe­r:in­nen der Stadtmission, die an U- und S-Bahnhöfen tätig sind, wüssten nichts von dem Programm.

„Wir stehen seit vielen Jahren im engen und vertrauensvollen Austausch mit der Berliner Kältehilfe, unter anderem mit der Stadtmission“, beteuert BVG-Sprecher Schwentu auf Nachfrage. „Auch arbeiten wir mit verschiedenen sozialen Einrichtungen sowie den verantwortlichen öffentlichen Stellen und Verwaltungen zusammen.“

„Haben Sie etwas Kleingeld?“

Zurück auf den U-Bahnhof Schönleinstraße, auf dem eine Frau mit Narben im Gesicht am Gleis entlangläuft. Ohne Schuhe stromert sie durch die Massen, die auf die U8 warten, fragt: „Haben Sie etwas Kleingeld?“ Antworten kommen selten. Und Kleingeld schon gar nicht. Sie ist das Nein offenbar so gewohnt, dass sie nicht mehr auf eine Rückmeldung wartet, bis sie zur nächsten Person weitergeht.

Der Sicherheitsmann mit der Hundeleine in der Hand bleibt kurz stehen, als er die Frau sieht. Der Schäferhund geht ihm bis zur Hüfte. Es gelingt ihm gerade noch, den wuchtigen Hund kurz zum Stehen zu bringen. Er blickt zu seinem Kollegen und nickt in Richtung der Frau. „Lass uns das auf dem Rückweg machen, wenn sie noch da ist“, sagt sein Kollege. „Ich gebe den Leuten hier immer eine zweite Chance, wenn sie mir noch nicht aufgefallen sind.“

Die beiden Sicherheitsbeamten an der Schönleinstraße machen eine weitere Runde und entdecken die Frau auf dem Rückweg wieder. Es braucht nicht viel, nur eine Hand, die auf die Treppe zeigt, und der Befehl wird befolgt. Die Frau rennt die Treppe hinauf und verschwindet aus dem Bahnhof. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.