Premiere im Schweriner Theater: Die Erfindung des Wilden Ostens

Milan Peschel bringt in Schwerin einen Westerndiskurs auf die Bühne. Die Hauptfigur kommt zwar nicht, dafür gewinnt ein Hund die Herzen des Publikums.

Die SchauspielerInnen mit Westernkleidung und einem Hund auf der Bühne

Das Ensemble mit Hund: „Chico Zitrone im Tal der Hoffnung“ in Schwerin Foto: Silke Winkler

Es regnet in Strömen, aber das macht fast gar nichts, denn zu den schönen Dingen in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern gehört, dass an Vorstellungsabenden die große Brachfläche vor dem Schweriner Theater – sonst verbotenes Terrain – als Parkplatz genutzt werden darf.

Und wenn man sich halbwegs trockenen Fußes unter das Portal der klassizistischen Spielstätte gerettet hat, lohnt ein kurzer Blick über die Schulter, denn dort hinten am Seeufer steht das Schloss, das seine verspielten Märchentürme unverzagt dem finsteren Himmel entgegenstreckt: wie eine steingewordene Metapher für die Resilienz des arglos Schönen und Guten im feindlichen Sturm der Zeitläufte.

Und darum geht es irgendwie auch an diesem Abend, den Milan Peschel zusammen mit dem Schauspielensemble des Mecklenburgischen Staatstheaters ausgeheckt hat und in dem mithilfe der kulturellen Insignien amerikanischer Western-Klischees ein prärieweites Feld von Befind- und Begrifflichkeiten beackert wird. Dafür machen vier Frauen und vier Männer bella figura in breitkrempigen Hüten, Cowboystiefeln und Fransenfummeln.

Die DarstellerInnen stehen in wechselnden Klamotten herum und reden, reden

Die Bewegungsdramaturgie des Abends besteht primär darin, dass die DarstellerInnen in wechselnden Klamotten herumstehen und reden, sehr viel reden. (Die Liste der Werke, aus denen zitiert wird, ist lang.) Dazwischen wird gerannt, geschrien und geschossen. Immer mal wieder schmeißt sich jemand über die gepolsterte Brüstung der Souffleusenloge.

Warten auf den Auftragskiller

Das Stück „Chico Zitrone im Tal der Hoffnung“ ist mit vereinzelten Terminen bis Juni im Großen Haus des Mecklenburgischen Staatstheaters zu sehen. Es ist bereits die dritte Regiearbeit des Film- und Theaterschauspielers Milan Peschel in Schwerin.

Die Ausgangssituation des Stückes ist, laut Ankündigung: Ein Auftragskiller, wissen die Leute, wird in ihre Stadt kommen, um jemanden umzulegen. Jener Mann, der da kommen soll, heißt Chico Zitrone. Der hat einen Freund oder vielleicht auch Widersacher namens Johnny Rogers. Johnny weiß Dinge über Chico und umgekehrt. Oder so ähnlich. Zumindest denken das die Personen, die da auf der Bühne stehen und über Chico und Johnny reden. Und reden. Und reden. Aber was wissen sie schon, und was können sie überhaupt wissen, denn die Sache ist ja: Chico Zitrone kommt gar nicht. Genauso wenig wie Johnny Rogers (wahrscheinlich. Obwohl einer der Anwesenden ja behauptet, er sei Johnnys Zweitbesetzung).

Ja, die Idee ist nicht neu, aber sie altert nicht. Und sie findet hier gewissermaßen ihre Fortsetzung in der allmählichen Emanzipierung der Bühnenpersonen von ihren gedanklichen Fixierungen und Identitäts­krisen – und vielleicht auch der ihres Publikums, das zu Beginn des Abends spontanen Szenenapplaus gibt bei dem Satz „Die im Westen haben alle eine Eigentumswohnung geerbt und wir nur die Depressionen unserer Eltern“.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Zum Ende des Abends aber schmeißen alle DarstellerInnen sich gemeinsam über die Brüstung der Souffleurinnenloge, um auf dem Bühnenhintergrund als Subjekte der Geschichte, nämlich als Filmfiguren, wieder aufzutauchen – mit den Wunderwerkzeugen digitaler Bildbearbeitung hineinmontiert in Szenen aus Westernfilmen. Dass sie am Ende vom großen amerikanischen Grenzzaun an der Weiterbewegung gehindert werden, ist eine existenzielle Widrigkeit, die aber nicht das Ende bedeutet. Denn wohin die Leute gehen, wenn sie aus dem Bild verschwinden, wissen wir einfach noch nicht.

Die technische Brillanz dieses Abends muss unbedingt erwähnt werden, denn sowohl die Bauten von Magadalena Musial sind eine Augenweide als auch die abwechslungsreiche Verschränkung von Videoprojektion und Real-Life-Aktion. Viele Sympathiepunkte sammelt ein Border Collie namens Mister Spock, der sehr versiert toter Hund spielt. Und was das Publikum betrifft, so scheint die ältere Generation Schwerins kulturell überdurchschnittlich aktiv zu sein. Das Theater ist gut besetzt, und die nicht mehr blutjunge Berichterstatterin kann sich an dem Gefühl erwärmen, zu jenen zu gehören, die den Altersdurchschnitt senken.

Vielleicht hat die jüngere Generation aber auch dringendere Sorgen, als zwischen Ost- und Westernklischees nach verschwimmenden Identitäten zu fischen.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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