Produktenttäuschung: Wo zu wenig Ahornsirup drin ist

Auch wer bewusst einkauft, muss feststellen: Es ist nicht immer drin, was draufsteht. Oder nur zu einem kleinen Teil. Das regt auf.

Von einer Waffel tropft Ahornsirup hinab

Ein (Waffel)Herz für Ahornsirup – oder etwa doch Agavendicksaft? Foto: Simona Tem/Shotshop/imago

Die Ursprungssituation sei die, „dass es eine gesellschaftliche Institution gibt, die im Namen der Sachlichkeit gegründet ist. Das ist der Journalismus“, hat Diedrich Diederichsen im vergangenen Jahr in einem Aufsatzband zum literarischen Journalismus geschrieben.

Zu diesem Ursprung wurde ich kürzlich zurückgeführt, als ich mit dem Einkaufszettel in der Hand vor einem Regal meiner Berliner LPG-Biomarkt-Filiale stand und nach Ahornsirup Ausschau hielt. Nach einigem bewussten wie unbewussten Abwägen entschied ich mich für den „Ahornsirup“ der Firma agava.bio, Unterzeile auf der Vorderseite „mit Agave verfeinert“.

Erst zu Hause beim Auspacken betrachtete ich mir auch die Rückseite des Produkts. Dort war unter dem Titel „Ahornsirup“ zu lesen: „Agavendicksaft verfeinert mit kanadischem Ahornsirup“ sowie „Zutaten: Agavendicksaft 80 %, Ahornsirup 20 %“. Also schrieb ich der Firma agava.bio und der LPG, bei der ich seit zwei Jahrzehnten Mitglied bin, eine Presseanfrage. Die LPG antwortete: „Wir geben Ihnen vollkommen recht, die Bezeichnung am Artikel ist irreführend. Da wir auch vom Hersteller keine befriedigende Antwort bekommen haben, nehmen wir den Artikel aus dem Sortiment.“ Der Hersteller hatte sowohl mir als auch der LPG unter anderem geantwortet: „In enger Abstimmung mit unseren Lieferanten haben wir die kanadische Verordnung für Ahornsirup ‚Maple Products Regulation‘ für die Namensfindung zugrunde gelegt. Unter Punkt 13.13.1 ‚Naming Table Syrup Containing some Maple Syrup‘ wird beschrieben, dass ein Gehalt von mind. 20 % Ahornsirup im Produkt enthalten sein muss, um es als Maple = Ahornsirup zu bezeichnen.“

Und das kann man ja mal so stehen lassen, als bürokratisch-sorgsam ausformulierten und aus vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen nur zu vertrauten Unwillen, am eigenen offensichtlich ungehörigen Verhalten etwas zu ändern.

So weit, so wie auch immer. Mehr als ein Produkt weniger auf der Palette interessieren mich meine Beweggründe, ausgerechnet in diesem Fall zu intervenieren – und schließlich müssen wir auch irgendwann zum Oberthema dieser Kolumne kommen.

Was mich wohl an der Sache geärgert hat, ist, dass ein Moment, den ich sehr mag, der samstagvormittägliche Einkauf in meinem Markt, nur ich, mein Wägelchen und mein Einkaufszettel, mein Espresso und mein Schokocroissant, mein Kurzplausch mit der netten Bayer-Leverkusen-Kassiererin – ja, Sie lesen richtig, mein, mein, das klingt wie aus der Werbung, die den überlasteten Ichs beständig Me-Times und Du-Räume verspricht, in denen sie aber mal so was von Schöffel-raus sind aus dem Hamsterrad – dass die Irreführung also mich ausgerechnet kalt dort erwischte, wo ich mich vor dem Dauernepp endlich einmal bewahrt fühle. Anders gesagt: Die Sache traf mich in meinem Innersten, da wo ich am verwundbarsten bin, weil meine Identität daran hängt: Sie traf mich als Konsument in der Konsumgesellschaft, an der ich am innigsten als Lebensmittelkäufer teilnehme, ich habe sonst keine Hobbys.

Es ist gut, wenn der Journalismus immer wieder daran erinnert wird, dass sein Feld die Sachlichkeit ist; aber genauso wichtig ist, daran zu erinnern, dass die Dimension Sachlichkeit unserem individuellen und gesellschaftlichen Leben nicht gerecht wird – oder sagen wir: höchstens zu 80 %.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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