Psychologie-Kongress über Spaltungen: Autoritär ist wieder da

Die gesellschaftlichen Spaltungsprozesse nehmen zu. In Berlin diskutierten Psychologen über die Ursachen und die Folgen.

Menschen in einer Fußgängerzone

Ungleichheit und Ungerechtigkeit gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt Foto:

Alle Sozialverbände sind sich darin einig, dass die soziale Kluft in Deutschland immer größer wird. Dabei ist die gesellschaftliche Spaltung nicht nur auf die sozioökonomische Ebene beschränkt. Grenzlinien verlaufen auch zwischen Flüchtlingsunterstützern und -gegnern, religiösen Mehr- und Minderheiten, Alten und Jungen, Männern und Frauen, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Sie haben Ungleichheit und Ungerechtigkeit zur Voraussetzung und zur Folge und gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Vor diesem Hintergrund hat die „Neue Gesellschaft für Psychologie“ (NGfP) gesellschaftliche Spaltungen zu ihrem diesjährigen Kongressthema gemacht. Über die psychischen Auswirkungen solcher gesellschaftlicher Spaltungsprozesse wurde vom 9. bis 12. März beim Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie in Berlin diskutiert.

Zunächst rief Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband die neuesten sozioökonomischen Eckdaten in Erinnerung: Deutschland habe 2017 mit 15,7 Prozent die höchste Armutsquote seit der Wiedervereinigung. „Armut ist mangelnde Teilnahme, das Gefühl, abgehängt zu sein, nicht dazuzugehören“, benannte er die psychischen Folgen ökonomischen Ungleichgewichts. Während 10 Prozent Reiche 75 Prozent des Vermögens besäßen, hätten 40 Prozent der Bevölkerung keinerlei Ersparnisse.

Dies sei nicht zuletzt auch eine emotionale Belastung: Die Angst, Miete und Strom nicht mehr zahlen zu können und mit jeder kleinen Reparatur in die Miesen zu geraten, führe zu seelischem Dauerstress.

Ähnlich dramatisch fielen die Analysen der anwesenden Psychotherapeuten zu den psychischen Kosten sozialer Spaltungen auf der gesellschaftlichen Ebene aus. So führte die Berliner Psychoanalytikerin Almuth Bruder-Bezzel den zunehmenden Rechtspopulismus auf eine immer gravierendere soziale Spaltung zurück. Sie konstatierte eine „Wiederkehr des Autoritären“ als Resultat neoliberaler Wirtschaftspolitik. Sozialabbau mit den darauf folgenden und durchaus real begründeten Abstiegsängsten habe zu einem Konformitäts- und Konkurrenzdruck geführt, der die autoritären Strukturen verfestige. Dabei komme es zu einer „kontraphobischen Reaktion“.

Ohnmacht und Depression

Die Angst vor Abstieg und Armut werde abgespalten und als Hass auf Flüchtlinge und andere Abgeschriebene abgeleitet, die damit eine klassische Sündenbockfunktion erfüllten. Das Motto dieses Abspaltungsprozesses ließe sich mit „Wer nicht leiden will, muss hassen“, beschreiben und diene damit der Abwehr von Gefühlen der Ohnmacht und Depression.

Die autoritäre Kompensation, die diese Form der Abwehr biete, habe eine stark narzisstische Komponente, die die durch ökonomische Verwerfungen verursachten Störungen des Selbstwertgefühls in ihr Gegenteil verkehrten: „Im Sadismus wird das Gefühl der Ohnmacht in Allmacht umgewandelt“, so die Therapeutin.

Die Angst vor Abstieg und Armut werde abgespalten und als Hass auf Flüchtlinge und andere Abgeschriebene abgeleitet, die damit eine klassische Sündenbockfunktion erfüllten.

Ganz ähnlich beschrieb der Berliner Psychologe Christoph Bialluch am Beispiel seiner Arbeit mit salafistisch geprägten Menschen die Folgen gesellschaftlicher Spaltungsprozesse. Die zunehmende äußere Spaltung führe zu Abspaltungsprozessen im Innern der Subjekte, die wiederum die äußere Spaltung verstärke. Sie begünstige die Entwicklung extremistischer Einstellungen.

So empfänden die ihm anvertrauten jungen Männer oft einen persönlichen Groll und starke Ungerechtigkeitsgefühle, was in psychologischen Tests zur Radikalisierung abgebildet würde.

Ihr Gefühl der Benachteiligung aufgrund ihres Glaubens und ihrer sozialen Lage führe sie schließlich zu einer Abwendung von der westlichen Welt. Dabei würden destruktive Gefühle abgespalten und auf böse äußere Objekte – die Ungläubigen, die westliche Wertegemeinschaft – gelenkt. Ebenso würden Liebesgefühle abgespalten und nun auf die „Umma“, die Gemeinschaft der Gläubigen, übertragen. Dabei würden in der Zuwendung zum radikalen Islamismus verschiedene emotionale Bedürfnisse abgedeckt. Der Suche nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft werde mit der Umma ein „tranzendentes Obdach“ gegeben.

Gleichzeitig ermögliche diese Zugehörigkeit, Kritik an den Eltern und der Gesellschaft zu äußern. Die Lust an der Gewalt könne in den dschihadistischen Kämpfen ausgelebt werden. Schließlich enthalte der Dschihadismus auch die Hoffnung, die Religion der Eltern fortzuführen und die Kränkung der eigenen Glaubensgemeinschaft zu überwinden.

„Leiden und Leiden machen“

Je weiter der Radikalisierungsprozess dabei fortschreite, desto mehr nehme der destruktive Narzissmus, bei dem sich die Täter fast nur noch mit ihren zerstörerischen Anteilen identifizierten, überhand. „Leiden und Leiden machen“, charakterisiere dann schließlich die Dialektik zwischen Opfern und Tätern.

Während sowohl im Rechtspopulismus als auch im Dschihadismus eine wenn auch destruktive Reaktion auf Erfahrungen der Ungleichheit erfolgt, bleiben große Teile der Bevölkerung gegenüber solchen Erfahrungen scheinbar indifferent.

„Wie kommt es, dass Menschen permanent gegen ihre eigenen Interessen verstoßen?“, fragte daher Ulrich Schneider und machte die Ursache in Denkblockaden erzeugenden Wortbildungen aus. So hätten die neoliberalen Thinktanks aus der Gerechtigkeitsfrage eine „Neiddebatte“, aus Menschen, die sich um andere sorgten, „Gutmenschen“ und aus denjenigen, die die jahrhundertelangen Tugenden des Nachdenkens und Nachfragens pflegten, „Bedenkenträger“ gemacht. Er konstatierte einen Teufelskreis von Sprache und Macht. Daher müsse Widerstand damit beginnen, dass man die vorherrschenden Sprachbilder hinterfragt.

Auch Anton Perzy von der Europa-Universität Flensburg thematisierte die fehlende Auflehnung gegen gesellschaftliche Spaltungen. Da Menschen aus evolutionspsychologischen Gründen auf die vorgefundene Gesellschaft angewiesen seien, wichen sie Konflikten aus, um ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Anerkennung zu erhalten. Die Identifikation mit äußeren Machtinstanzen, selbst wenn sie sich aggressiv gegen die eigene Person wenden, dienten dabei der Abwehr von Angst.

Abgespaltene Gefühle

Auch Vorteile, die man daraus ziehe, andere Menschen auszubeuten, würden aus der bewussten Wahrnehmung verbannt. So empfinde ein Unternehmer, der seinen Mitarbeitern niedere Löhne zahle, um mit der Konkurrenz mitzuhalten, möglicherweise Scham- und Schuldgefühle, weil ein solches Verhalten seinem Selbstbild widerspreche. Solche Gefühle würde aber abgespalten.

„Wir verdrängen ins Unbewusste, dass wir etwas mit der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu tun haben“, stellte Perzy fest. Dennoch müssten wir nicht in einem ewigen Kreislauf aus Angst, Abwehr und Verdrängung verharren. Die Thematisierung der gesellschaftlichen Erfahrungen sei bereits Teil ihrer Aufhebung.

Schließlich hat schon der große Psychoanalytiker Paul Parin gesagt, eine Psychoanalyse könne nur dann als gelungen gelten, wenn die Unterdrückung durch die gesellschaftlichen Verhältnisse ins Bewusstsein der Analysanden gelangt.

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