Rainald Goetz am Deutschen Theater: Ein Abstieg in die Hölle

Rechte verstehen sich traditionell als Beschützerin der Familie. Warum? Eine Antwort sucht Rainald Goetz in „Baracke“, inszeniert von Claudia Bossard.

Zwei Menschen sitzen auf einer Bühne nebeneinander, aber voneinander weggedreht. Sie trägt ein goldenes Ballkleid, er eine frackähnliche Kombination. Beide Köpfe werden von geometrischen Figuren verdeckt, die sie aufgesetzt haben.

Natali Seelig (links) und Andri Schenardi (rechts) stecken in ihrer gewaltvollen Beziehung fest Foto: Thomas Aurin

Nein, das hätte nun nicht sein müssen. Dass da oben auf der Bühne plötzlich eine Stirn blutet, als Reminiszenz an Rainald Goetz’ Lesung beim Bachmannpreis. Anno 1983 fand die Selbstverletzung statt und ist längst nur noch eine Anekdote der bundesrepublikanischen Kulturgeschichte. Mit solch persönlichen Referenzen kommt man dem Werk des großen Gegenwartschronisten nicht nahe, schon deshalb nicht, weil er selbst einfach nicht bei sich bleiben kann.

Seiner Poetik eignet eine produktive Zerrissenheit zwischen der Zeitgenossenschaft, dem Staunen über das Alltägliche einerseits und einer geradezu zwanghaften Abstrahierung desselben andererseits. In allem scheint er eine Bedeutung zu erkennen, eine völlig übliche Interaktion zwischen Fremden dürfte ihn zum Grübeln bringen.

In seinem neuen Stück „Baracke“ nimmt er sich nun der Liebe an, bemüht die alte Geschichte „Boy meets Girl“, die bei ihm natürlich auf einem ganz eigenen Reflexionsniveau stattfindet: „ich will ja, ja ja / ich ja auch / die du-ich-Attraktion galaktisch intra-atomar“. Eine Begegnung bei einer Party ist hier geschildert, die bald schon in die Niederungen einer Beziehung mündet. Mareike Beykirch und Jeremy Mockridge tigern entspannt durch ein Museum, da bringt sie eine harmlose Bemerkung von ihm („Kennst du das?“) zur Weißglut.

Die Dame orientiert sich bald anders, verfällt einem Uwe, den sie heulend auf der Toilette sitzend anruft: Wo er denn bleibe? Hätte sie ihm, dem Macho in Motorradkluft, der mit einem kümmerlichen Blumenstrauß herumfuchtelt, nur den Laufpass gegeben, denkt man sich später, als Natali Seelig in der Rolle der gealterten Figur zugibt, dass er sie schlägt. Trennen will sie sich dennoch nicht, seltsamerweise liebt sie ihn sogar einfach weiter.

Konservierte Gewalt

So war die Beziehung zwischen Frau und Mann dem Stück zufolge schon immer beschaffen, mindestens aber seit 200 Jahren. Als Wiedergänger des Paars auf einem Gemälde Francisco Goyas geistert Seelig im Verbund mit Andri Sche­nardi über die Bühne. Sie keifen, brüllen, reizen sich aufs Blut und bleiben doch beieinander. Die Liebe ist mithin ein Abstieg in die Hölle.

Das neunköpfige Ensemble verteilt sich in einer Szene an einem Tisch, um endlich das Rätsel zu lösen, warum Menschen aus freien Stücken eine Familie gründen, warum sie nicht froh sind, der eigenen entflohen zu sein, warum sie sich dem Horror aussetzen, der, so darf man den Autor verstehen, jede menschliche Bindung grundiert. Auch der bedürftige Nachwuchs kommt nicht gut weg, wird Kindern doch wahlweise ein „Extremmitläufertum“ oder gleich „diktatorischer Terror“ vorgeworfen.

In ihrer knapp zweieinhalbstündigen Uraufführung am Deutschen Theater nimmt Regisseurin Claudia Bossard die humoristischen Angebote des Autors gerne an, bringt aber auch seine politische Analyse auf die Bretter, was gar nicht so einfach ist. Der Büchnerpreisträger durchbricht seinen Text immer wieder mit Verweisen auf den NSU, schildert den gemeinsamen Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt. Der Terror der Kinder bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Bossard lässt dazu Videoclips im Loop ablaufen: Donald Trump, Elon Musk, Silvio Berlusconi und Alice Weidel verziehen da ihre Gesichter zu Grimassen.

Im trauten Heim schottet man sich von den verhassten Errungenschaften der Moderne ab

Was hat das zu bedeuten? Die Rechte versteht sich traditionell als Beschützerin der Familie. Eine Begründung der Politikwissenschaft dazu lautet, dass man sich im trauten Heim noch am besten von den verhassten Errungenschaften der Moderne abschotten kann, von Emanzipation, Toleranz, Freiheit. Doch vielleicht greift diese Beschreibung ja zu kurz, vielleicht ist es viel schlimmer.

Die Inszenierung jedenfalls legt nahe, dass die rechte Begeisterung für die Familie vielmehr daher rührt, dass sich in ihr eine Gewalt konserviert, eine Gewalt, die jederzeit auch in die Gesellschaft ausbrechen kann. Das Private ist bei Goetz also nicht einfach nur politisch, es ist ein Grund für fortwährende Panik. Man muss diesem Befund nicht folgen, um an diesem Abend sehr produktiv ins Denken zu kommen. Ein ehrgeiziger, ein geglückter Theaterabend.

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