Reform des Klimaschutzgesetzes: Die besten Jahre sind vorbei

Die Ampelkoalition verwässert mit einer Reform das Klimaschutzgesetz. Aktivist*in­nen und die Energiewirtschaft zerreißen die Pläne.

Dichter Autoverkehr auf dem Berliner Kaiserdamm

Eine Szene vom Berliner Kaiserdamm Ende Mai 2021 Das angedrohte Fahrverbot ist mit der Reform des Klimaschutzgesetzes vom Tisch Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Es galt als großes Vermächtnis von Angela Merkels Regierungen in der Klimapolitik, einer der wenigen Erfolge: das Bundesklimaschutzgesetz, mit dem Deutschland klimaneutral werden will. 2019 beschlossen, hielt es jahresgenaue CO2-Grenzwerte für verschiedene Sektoren fest, für die Energiegewinnung zum Beispiel, für das Verkehrswesen, für die Landwirtschaft.

Ein früher Entwurf aus dem Umweltministerium, das damals von der heutigen Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) geführt wurde, hatte damals einen besonderen Clou vorgesehen: Wenn ein Mangel an Klimaschutz der Bundesrepublik Kosten verursacht, muss das verantwortliche Ministerium aus seinem Budget dafür aufkommen.

Die Regelung schaffte es nicht ins finale Gesetz, eine von zahlreichen Verwässerungen. Am Ende stand aber immer noch das Grundgerüst: Es gab konkrete Ziele für die verschiedenen Sektoren. Und wenn sie in einem Jahr nicht erreicht werden, muss das für den Bereich zuständige Ministerium ein Sofortprogramm vorlegen, das den Missstand für die folgenden Jahre korrigiert.

Das reißt die Ampelkoalition jetzt ab: Die Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und FDP haben sich am Montagnachmittag auf die Reform des Klimaschutzgesetzes geeinigt, die die Regierung und besonders die FDP schon lange plant – aber von den Abgeordneten im Bundestag seit Monaten nicht verabschiedet wird. Aus Fraktionskreisen ist der Rahmen der Reform bereits bekannt. Grundlegend bleibt es bei den umstrittenen Plänen der Ampelregierung. Die Sektorziele sollen auf dem Blatt bestehen bleiben – aber ihr Verfehlen führt nicht mehr dazu, dass der*­die zuständige Mi­nis­te­r*in im Folgejahr ein Sofortprogramm vorlegen muss.

Bundesregierung kann sich mehr zurücklehnen

Stattdessen soll es in Zukunft eine mehrjährige Gesamtrechnung geben, hatte das Kabinett im vergangenen Jahr beschlossen. Die Emissionen der Sektoren können demnach untereinander verrechnet werden. Sprengt also beispielsweise der Verkehrssektor seinen CO2-Grenzwert wie im vergangenen Jahr zum wiederholten Male, kann die Bundesregierung sich nach Gesetzeslage zurücklehnen, solange etwa der Energiesektor beim Klimaschutz besser war als vorgeschrieben.

Selbst wenn die Gesamtbilanz nicht stimmt, muss nach der geplanten Reform aber nicht direkt nachgesteuert werden. Erst wenn der jährliche Projektionsbericht des Umweltbundesamts zweimal in Folge ergibt, dass die Klimaziele für das gesamte Jahrzehnt in Gefahr sind, muss die Regierung ein Sofortprogramm vorlegen – auch wieder als Ganzes, nicht das konkret zuständige Ministerium.

Simon Wolf, Germanwatch

„Die Regierung will sich damit einen Freibrief erteilen“

Gegenüber dem Ursprungsentwurf scheinen die Fraktionen in ihrer neuen Einigung nur wenig verändert zu haben. Unter anderem binde das neue Klimaschutzgesetz die Regierung erstmals, konkrete Klimaschutzmaßnahmen für die Zeit von 2030 bis 2040 aufzustellen, hieß es aus Fraktionskreisen. Auch das bisherige Klimaschutzgesetz nennt aber bereits ein Klimaziel für 2040, nämlich die Reduktion der CO2-Emissionen um 88 Prozent gegenüber 1990. Fünf Jahre später soll Deutschland klimaneutral sein.

Der Bundestag muss dem neuen Gesetz weiterhin zustimmen, die Einigung der drei Fraktionen ebnet aber den Weg dafür. Im Gegenzug haben sie auch einem Solarpaket von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) grünes Licht gegeben, das ebenfalls seit Monaten auf Eis lag.

Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen kritisierten die Pläne. „Die Bundesregierung will sich damit selbst einen Freibrief erteilen, in dieser Legislaturperiode keine Klimaschutzmaßnahmen mehr verabschieden zu müssen“, sagte Simon Wolf von Germanwatch.

Verkehrssektor nicht komplett aus dem Schneider

„Die Einigung zum neuen Gesetz ist ein Schlag gegen die Klimaschutzarchitektur in Deutschland: Statt Verbindlichkeit und Zuständigkeit gibt es jetzt geteilte Verantwortungslosigkeit“, sagte Olaf Bandt vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland.

Und selbst die Energiewirtschaft ist sauer. „Mit der Aufweichung der Sektorziele im Klimaschutzgesetz ist dem Klima nicht gedient“, sagte Kerstin Andreae, Chefin vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. „Während der Energiesektor seine Vorgaben seit Jahren erfüllt, hinkt der Verkehrssektor seinen Zielen bereits das dritte Jahr in Folge hinterher. Es darf nicht passieren, dass die Sektoren, die heute schon liefern, die Last der anderen mittragen müssen.“

Nach den Regeln des alten Gesetzes müsste dieses Jahr tatsächlich wieder Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ein Sofortprogramm vorlegen, gleiches gilt für Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die sich die Zuständigkeit für die Klimabilanz der Gebäude teilen.

Speziell dem Verkehrsministerium hat der Expertenrat für Klimafragen, der die Sofortprogramme überprüft, immer wieder schlechte Zeugnisse ausgestellt. Auch wenn Wissing die Pflicht zum Sofortprogramm nun wohl nach deutscher Gesetzeslage erspart bleiben wird, könnte es Deutschland noch teuer zu stehen kommen, wenn der Verkehrssektor weiter zu klimaschädlich bleibt. Auch auf europäischer Ebene gibt es nämlich entsprechende Verpflichtungen. Hält ein Staat sie nicht ein, muss er anderen Ländern Emissionsrechte für viel Geld abkaufen.

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