Renaissance-Oper am Theater Bremen: Triumph der Liebe

Starregisseurin Tatjana Gürbaca bringt in Bremen Claudio Monteverdis "Poppea" heraus. Im Fokus steht dabei der Zynismus des Werks.

Ulrike Mayer setzt als Nero Marie Smolka als Poppea die Krone auf, darüber ein Vollmond

Da hinten zuckt noch jemand: Aber sobald Nero Poppe gekrönt hat, wird das auch beseitigt Foto: Jörg Landsberg / Theater Bremen

Seneca ist völlig neben der Spur. Bassist Christoph Heinrich torkelt in der Rolle des Philosophen und einstigen Erziehers des jetzigen Caesaren Nero barfuß über die Bühne des Theaters am Goetheplatz, die hier als abstrakt-zeitloser, aber stark pornokratischer römischer Kaiserhof fungiert. Hatte er etwa gesoffen?

Ständig stänkert er rum, dass Nero gefälligst nicht mit der sexy Poppea rummachen soll. Schließlich verdankt er doch – aus Constanze Jaders jenseitigem Alt wehen Würde und Moder der gesamten Geschichte Roms – seine Karriere, also seinen Thron, der Zweckheirat mit der Kaisertochter Octavia

Immer wieder blökt Seneca mitten in die schönste italienische Renaissance-Musik enigmatische deutsche Verse von Heiner Müller oder so, um dann zurück in den Gesang zu switchen. Dabei lotet Heinrich die Intonationsspielräume mitunter so sehr aus, dass es richtig falsch klingt – wenigstens für durch eine diatonisch-harmonische Musikdoktrin gedrilltere Ohren als die des frühen 17. Jahrhunderts.

Ein guter Viertelton daneben! Verunsichernd. Soll das so? Oder hätte der sonst so akkurate Sänger ausgerechnet bei der Premiere von Claudio Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“ einen rabenschwarzen Tag erwischt?

Na, wohl eher nicht. Denn so etwas merkt ein erfahrener Sänger und er würde dann den Intendanten vor der Aufführung ein paar Worte der Entschuldigung stottern lassen. Eher ist es so, dass Tatjana Gürbaca, längst zur Starregisseurin avanciert, mit kühnem Griff und Freude an unkonventionellen Besetzungen – Aralta, Poppeas Amme, muss Tenor Christian-Andreas Engelhardt im Falsett singen – die letzte Oper des ersten Opernkomponisten mutig teilentopert.

Claudio Monteverdi, „L'Incoronazione di Poppea“, Dienstag, 20. 6., 19.30 Uhr; wieder am 30. 6., 6. 7., 8. 7., 19.30 Uhr sowie am 25. 6 und 2. 7., 18 Uhr, Theater am Goetheplatz, Großes Haus, Bremen

Dafür nimmt sie auch musikalische Verluste in Kauf, ja verleiht ihnen einen Aussagewert: Dieses Werk wirft wie wenige die Frage nach der fehlenden Identität auf, nach dem Verlust jedes Zusammenhangs von moralisch Gutem, epistemologisch Wahrem und sinnlich Schönem. Dieser tritt fast brutal deutlich zutage, indem der Dreiakter, wie hier geschehen, seiner zahlreichen Längen beraubt, auf ein zweiteiliges Musiktheaterstück skelettiert wird.

Das trotzdem Raum lässt für ein paar brillante Auftritte und sogar ein paar richtige Arien: Mitreißend singen darf die junge Sopranistin Elisa Birkenheier als Drusilla. Gleiches gilt für Countertenor Dmitry Egorow, der ihren geliebten Ottone spielt – und, um den Verdacht auf sie zu lenken, in ihrem Kostüm einen Mordanschlag auf Neros Gespielin Poppea verübt, der kläglich scheitert.

Niemand aber übertrifft den verführerisch klaren Sopran Marie Smolkas in der Titelrolle oder gar Mezzosopranisitin Ulrike Mayer als Nero: Mal fiebrig getrieben, mal von schneidender Intelligenz und von herablassender Freude an der Qual, die er bereitet, verleiht sie diesem Erzbösen eine beinahe schon unangenehme, definitiv aber unheimliche Präsenz: Es ist ein dunkles Strahlen, das von diesem Nero ausgeht.

Diese zwei, das ist die Handlung, die Gürbacas Spielfassung übrig lässt, schicken alle Personen, die an ihrer Verbindung zweifeln, die versuchen, sich ihr in den Weg zu stellen, oder die so etwas möglicherweise in Zukunft tun könnten – also: Sie schicken alle Personen außer sich selbst in den Tod oder – eine fantastische Szene! – erdrosseln sie eigenhändig und einträchtig mithilfe einer Nylonstrumpfhose.

Das Schönste ist, sich zu lieben

Und danach, das ist die Schlussszene, singen sie „Pur ti miro, pur ti gordo“, also so in Richtung: Ich weide mich an dir, ich schau dich an, ich ergehe mich an dir. Währenddessen steigen die Leichen in gediegener Geister-Prozession, eine nach der anderen, in die Zinkwanne, in der sich zum Schluss von Teil eins Seneca die Adern aufgeschnitten hatte. Eine Bluttaufe.

Dieses Liebeslied aber ist das wohl unwiderstehlichste Duett, das die Musikgeschichte kennt: „Ich bin dein / und dein bin ich“: Niemand kann sie aufhalten. Alle sind gestorben. Nur diese Monster nicht. Ihre Liebe triumphiert. Was könnte schöner sein?

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