Repräsentation und Auszeichnungen: Die Last der ersten Person

Wenn eine marginalisierte Person ins Scheinwerferlicht rückt, kann das eine Community empowern. Doch oft dauert es lange, bis weitere nachrücken.

Die lächelnde Schriftstelllerin Sharon Dodua Otoo hält ihren Preis in den Händen

Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo bei der Auszeichnung mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 2016 Foto: Susanne Hassler/picture alliance

Als Sharon Dodua Otoo 2016 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, war ich gerade zu Besuch bei meinen Eltern. Mein Telefon vibrierte. Ich bat meine Eltern, die Nachrichten einzuschalten, weil eine Freundin diesen wichtigen Literaturpreis gewonnen hatte. Als sie auf dem Bildschirm erschien, reagierte mein Vater sehr untypisch. Meine Arbeit und meine Freun­d*in­nen hatten ihn nie interessiert. Doch als er Sharon sah, richtete er sich auf und rief: „Mais elle est noire!“ Aber sie ist Schwarz. Verwunderung und Erstaunen in seinem Gesicht.

Repräsentation bedeutet etwas – denn für diesen einen Moment, in dem eine Person aus einer marginalisierten Gruppe ins Scheinwerferlicht rückt, entsteht eine Irritation: ein feiner Haarriss in der Matrix. Sichtbarkeit und Erfolge einzelner Personen aus marginalisierten Gruppen können Empowerment schaffen, zu Stolz und Selbstvertrauen innerhalb der Communities führen und vielleicht sogar zu mehr Gleichberechtigung innerhalb der entsprechenden Branche oder Struktur.

Die Glasdecke wird angeknackst. Es besteht die Chance, dass dieser erste Erfolg es für Nachkommende etwas einfacher macht und andere ermutigt, sich auch auf dieses Feld zu wagen.

Hass und Häme gegen Gewinner_in

Wie wichtig Repräsentation ist, wird in solchen Momenten deutlich. Doch es ist ganz schön viel, was hier auf ein einzelnes Ereignis oder gar eine einzelne Person projiziert wird: was ein sichtbarer, das heißt auch in den Medien stattfindender Erfolg alles leisten und bedeuten soll. Auf „der ersten“ Person liegt immer eine große Last. Kim de l’Horizon ist die erste nonbinäre Person, die mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Nun gibt es Stimmen, die sagen, dass race und Gender keine Rolle spielen sollten, weil es schließlich um Literatur geht. Letzteres stimmt. Es geht um Literatur. Doch race und Gender sind nicht egal. Das merkt man an den Reaktionen aller, die sich nicht nur durch Kim de l’Horizon als Person repräsentiert sehen, sondern auch mit „Blutbuch“ auf Literatur gestoßen sind, die ihre Lebensrealität und ihre Fragen abbildet.

Man merkt es aber auch am Hass, der Häme, den beleidigenden Kommentaren. Eine Person bekommt den Buchpreis und wird daraufhin bedroht. Viele Menschen sind ständig dem Verdacht ausgesetzt, eine Auszeichnung nicht wegen ihrer Leistung oder der Besonderheit ihres Werks erhalten zu haben. Die erste Frau, die erste Person of Color, die erste queere Person werden auf diese Art angegriffen.

Und diese vorhersehbare Reaktion führt dazu, dass die Arbeiten von Marginalisierten kritischer betrachtet und härter beurteilt werden. Einer der Gründe, warum es so lange dauert, bis auf die erste Person eine zweite oder dritte folgt. Dies sollte aber bald geschehen. Dann können wir endlich weniger über Repräsentation und mehr über Kunst sprechen. Unabhängig davon: Alle Menschen sollten Erfolge feiern dürfen, ohne dafür bedroht zu werden.

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Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.

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