Revolutionäre 1.-Mai-Demo in Berlin: Hinterm Lauti die wabernde Menge

Über mangelnden Zulauf kann die Revolutionäre 1.-Mai-Demo nicht klagen – aber die alten Organisationsformen lösen sich zunehmend auf.

Straßenkämpfe am 1 Mai

Ein eskalierender Straßenkampf ist in diesem Jahr ein unwahrscheinliches Szenario Foto: Christoph Schmidt/dpa

BERLIN taz | Die Entfremdung von Berlins linker und linksradikaler Szene von ihrem eigentlich größten Event – der Revolutionären 1.-Mai-Demo – hat sich in den vergangenen Jahren verfestigt. Von jenen organisierten Gruppen und Akteuren, die das Jahr über die Kämpfe von Sozial- und Mietenpolitik bis Antifaschismus prägen, war auch dieses Jahr im Vorfeld so gut wie nichts zu hören: keine Werbeposts, keine eigenen Aufrufe, schon gar keine Organisation eigener Demoblocks.

Die Zurückhaltung der Szene abseits der kommunistischen Kader- und trotzkistischen Kleinstorganisationen wird man der Demo selbst auch wieder ansehen: Einem mit Transparenten umrahmten, lautstarken ersten Block der organisierenden Gruppen folgt eine wabernde Menge, deren politischer Charakter kaum auszumachen ist: wenig Banner oder Parolen, keine Lautsprecherwagen und Reden.

1. Mai, 18 Uhr, das bleibt für die meisten zwar ein Bezugs- und Treffpunkt, die Zahlen von bis zu 20.000 Teil­neh­me­r:in­nen sprechen dafür – aber gemeinmachen wollen sich viele mit der Demo nicht mehr. Das mag auf ihr Image als inhaltsschwache Krawalldemo zurückgehen, hat aber aber noch mehr mit ihrem Wandel zur inhaltlosen Party-Demo zu tun. Eine Rolle spielt zudem die politische Verengung des Vorbereitungsbündnisses. In diesem wirken hauptsächlich antiimperialistische Gruppen, international zwar, aber ohne Beteiligung aus dem anarchistisch-autonomen oder postautonomen Spektrum.

Verstärkend kommt dieses Jahr ein Thema dazu, das schon seit Jahren zumindest brodelte: die Palästina-Frage, die von den Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen als Auseinandersetzung zwischen Kolonialisierten und Unterdrückern gedeutet wird. Die Lust vieler Berliner Ak­ti­vis­t:in­nen auf die Demo ist auch daher begrenzt, aus Angst vor Vereinnahmung oder gar Antisemitismus-Vorwürfen. Anders als etwa die Kurden-Frage, die in der Vergangenheit mitunter eine große Rolle auf der Demo spielte, taugt jene des Nahostkonflikts für viele eben nicht für uneingeschränkte, linke Solidarität.

Solidarisierung mit Palästina

Die Ver­an­stal­te­r:in­nen jedenfalls haben sich nicht darum bemüht, das Thema, das so viel Spaltpotenzial wie kein anderes birgt, mit Zurückhaltung zu behandeln. Die Kriegsfrage steht im Vordergrund, das Demo-Plakat zeigt eine Aktivistin auf Panzern mit Kufija, und auch der kurze Aufruf verweist auf Palästina und die „Hetze“ gegen palästina-solidarische Strukturen. Für viele ist das legitim, aber für viele eben auch zu einseitig.

Auch die Demo-Route scheint darauf ausgelegt, vor allem die palästina-politisierte, migrantische Jugend Neuköllns entlang von Karl-Marx-Straße und Sonnenallee einzusammeln. In ihr sehen die Ver­an­stal­te­r:in­nen von Migrantifa und Co. auch unabhängig der Gaza-Politisierung schon seit Jahren das potenziell revolutionäre Subjekt. Das durchgehipsterte Kreuzberg mit seinen altautonomen Überbleibseln spielt dabei kaum noch eine Rolle. Die Befriedung von Kreuzberg 36 durch das MyFest wirkt nach, obwohl die organisierte Kiez-Party schon wieder ausfällt.

Auch wenn die fast schon traditionell durchgestochene Gefahrenanalyse der Polizei an die B.Z. noch immer eine Gefahr in „gewaltorientierten Linksextremisten des autonomen und postautonomen Spektrums“ sieht, scheint die Palästina-Frage derzeit viel eher für Konflikt geeignet, erst recht nach den Auflösungen von Palästina-Kongress und -Camp. Eine politisch hoch sensibilisierte Polizei trifft auf eine Klientel, die – mitunter durch biografische Verknüpfungen – hoch emotionalisiert auf den Gazastreifen guckt.

Ein Eingreifen aufgrund von Sprechchören und anschließende Eskalation sind nicht ausgeschlossen. Es ist ein Szenario, das auch die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen befürchten. Die „Kooperationsgespräche“ zwischen Anmeldern und Polizei hätten gezeigt, dass „jede Solidaritätsbekundung mit dem palästinensischen Volk als antisemitisch diffamiert“ werde, schreiben sie in einer Mitteilung. Ergo: Man rechnet mit „zahlreichen, willkürlichen, gewalttätigen Übergriffen, Einschüchterungs- und Kriminalisierungsversuchen“.

Ein eskalierender Straßenkampf ist dennoch ein unwahrscheinliches Szenario, denn dafür fehlt es schlicht an Militanten. Dieses Potenzial ist schon lange am Schwinden. Zum Lohn darf sich dann die Innensenatorin alljährlich für den „friedlichsten 1. Mai seit Jahrzehnten“ rühmen. Für viele Linke stehen inzwischen ohnehin andere Demos im Vordergrund. Die feministische Vorabenddemo verspürt noch eher einen Hauch von Black Block, die Grunewald-Demo steht für die verbindenden Inhalte. Und am Abend rund um den Hermannplatz guckt man eben mal – ohne viel Hoffnung auf Revolution.

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