Salzburger Festspiele: Die Liebe höret nimmer auf

In Salzburg bringt Karin Henkel Michael Hanekes „Liebe“ auf die Bühne. Sie befragt den Stoff nach seinem Wert für medizinethische Debatten.

Vier Schauspieler auf der Bühne, zwei in Schwesterntracht

Georges (André Jung) zwischen Pflegekräften (Christian Löber, Joyce Sanhá), dahinter Joel Small Foto: SF/ Matthias Horn

Der Anfang erzählt eigentlich schon die halbe Geschichte. In den Zuschauerreihen des Salzburger Landestheaters herrscht noch das übliche Murmeln und Räuspern samt heftiger Aushandlungsprozesse um vertauschte Sitzplatznummern, da ist das weiße Bühnenportal schon in ein diffuses Arbeitslicht getaucht, ohne Spitzen, ohne Schatten, ohne Zufluchtsmöglichkeiten. Man möchte es „klinisch“ nennen. Es erinnert daran, wie man sich in den Behandlungsprozeduren der Medizin bisweilen ausgeliefert fühlt. Vernünftige Einrede hilft nur bedingt dagegen. Diagnosen und Therapien sind in der Regel zwar hilfreich, dennoch bleibt ihr objektiver Gehalt der vorläufig ins Ungewisse aufgeschobene Tod.

Das Publikum sieht sich zunächst gespiegelt in einer Projektion. Es wird vermutlich Gericht halten müssen, aber über wen? Am rechten Bühnenrand sitzt jemand, zunächst kaum bemerkt, dann immer präsenter. Er klammert seine Hände in ein weiß bezogenes Kopfkissen, das er bisweilen hinter sich her schleift wie die Cartoonfigur Linus aus den „Peanuts“ von Charles M. Schulz das Schmusetuch. Ein psychoanalytisches Übergangsobjekt verbindet ihn mit dem Liebsten, das es in seinem Leben gab. Zugleich ist es Tatwaffe.

Es ist Georges, einstmals hochangesehener Musik­pro­fes­sor in Paris. In „Amour“ (Liebe), dem mit dem Oscar ausgezeichneten meisterhaften Kammerspiel von Michael Haneke aus dem Jahr 2012, hatte er seine von Schlaganfällen gezeichnete Frau Anne, im Film entwaffnend gespielt von Emmanuelle Riva, bis zur Erschöpfung alleine gepflegt und (dann doch) mit ebenjenem Kissen erstickt. Folgte er schließlich dem Todeswunsch seiner Frau oder einem Moment uneingestandener Aggression?

Haneke und Jean-Louis Trintignant, der ihn im Film spielte, haben diesen Georges bewusst vor keinen Gott und kein Gericht gebracht und ihn ins Verstummen zwischen Tod und Leben entschwinden lassen.

André Jung in der Hauptrolle

Karin Henkel hat in der Koproduktion der Festspiele mit den Münchner Kammerspielen eine Wiederaufnahme von Georges Fall im Salzburger Landestheater auf die Bühne gebracht, André Jung nimmt sich seiner Sache an. Wer, der je einen aussichtslosen Fall hatte oder mit einem sympathisierte, würde sich jemand anderes als André Jung als Besetzung dafür wünschen? Was ist dabei zu ­gewinnen? Der rare Ausnahmefall eines Absehens von Strafe für den, der schon genug geschädigt ist?

Mit leisem Trotz, der die Resignation längst hinter sich hat, kämpft er an, nicht jedoch gegen das Sterben in der verwalteten Welt. Artikuliert leise gegen alles Laute um ihn herum. Wo eine Pflegerin (Joyce Sanhá) in einer Comedynummer an einer lebensgroßen Gliederpuppe das Anlegen einer Windel demonstriert, legt er als vergebliche humane Geste behutsam die herabbaumelnde Holzhand wieder auf die Liege zurück.

Sobald Muriel Gerstners Bühne offenen Einblick gewährt, bilden die sich nach hinten verengenden weißen Wänden jenen Tunnel der Wahrnehmung, in den dieser Georges hineingeraten ist. Seinen Prozess erlebt er gleich mehrfach. Eine Ebene ist ein schmerzliches Reenactment in der Wiedergabe von Hanekes spröde gehaltenen Filmdialogen.

Dort wo die Sprache im Film bewusst Lücken lässt, in eindringlichen Plansequenzen das Unbehagen nur umschreibt, zieht Karin Henkels Inszenierung eine zweite, surreale Ebene ein, die das mutmaßliche Innenleben des Protagonisten nach außen stülpt. Es ist bevölkert von lauten, unterschwellig sadistischen Pflegekräften (Christian Löber und Joyce Sanhá), die allem Unbehagen an der entfremdeten Existenz in der technischen Zivilisation Ausdruck verleihen. Dazwischen immer wieder Exkurse, Erklärungen, Zeigetheater, das die Dinge manchmal schon im Voraus weiß. Vom Kind bis zur Greisin stellen gleich eine Handvoll Darstellerinnen sowohl die Frau als auch die Tochter des Protagonisten dar. Katharina Bach durchläuft virtuos wie rastlos diesen Figurenparcours männlichen Begehrens.

Das Leiden der Kreatur

In Michael Hanekes kon­zentriertem Kammerspiel geht es um den Tod, nicht als Abstraktum der philosophischen Spekulation. Er zeigt den Tod, wenn auch diskret in der Materialität dessen, was ihm vorangeht, im Leiden der Kreatur. Er zeigt das Leiden, das dem Subjekt, das sich nur als handlungsfähiges Ganzes annehmen kann, zum Skandal wird.

Hanekes Film ist aber auch ein Abgesang auf das elende Leben in den Ruinen einer Bürgerlichkeit, in der das Sterben – so ganz selbstbestimmt – eine Privatsache sein soll, die keinen Anspruch auf gesellschaftliche Solidarität hat. So sind seine vereinsamten Protagonisten im Grunde schon tot, als sie sich noch bester Gesundheit erfreuen.

Zu „Amour“ bleiben ein Jahrzehnt später manche Fragen. Etwa der Versuch, sich den heroischen Akt, der dieser Tod auch ist, angesichts einer steigenden Femizid-Statistik unter dem Gesichtspunkt der Geschlechterdifferenz noch einmal genauer anzuschauen. Handreichungen zum Thema Sterbehilfe wollte Haneke eher nicht geben. Unter dem Druck aktueller politischer Debatten bietet Karin Henkel sie dennoch. Vor einfachen Schlüssen bewahren immerhin Statements von Personen auf der Bühne, die selbst einmal dem Tode nahe standen oder liebe Menschen in den Tod begleitet haben. Es bleibt kompliziert.

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