Salzburger Museum über Kunst in NS-Zeit: „Wir haben uns lange nicht gesehen“

Das Museum Kunst der verlorenen Generation in Salzburg bietet Raum für Künstlerinnen*, die zur NS-Zeit als „entartet“ galten und vergessen wurden.

Ausschnitt aus einem Gemälde von Tratt Straßenszene mit Gepäckmann

Ausschnitt aus einem Gemälde von Karl Tratt: Straßenszene mit Gepäckmann,1932 Foto: Hubert Auer

„Kenn i net“, sagt der Taxifahrer, und wo soll das überhaupt sein? Als er vor dem Haus hält, mitten in der Altstadt, wo so gut wie nichts barock-gülden aufgeputzt ist, sagt er: Hab ich noch nie gehört. Das „Museum der verlorenen Generation“ trägt ja ohnehin keinen reißerischen Titel, es hat seine Räume im ersten Geschoss der Sigmund-Haffner-Gasse 12, rückwärtig zum Universitätsplatz mit dem Bierhaus Zipfer im Parterre, ausweisend, dass in diesem Haus das „Nannerl“, W. A. Mozarts Schwester lebte. Und dort findet es sich in smarter Pracht über die gesamte Etagenfläche.

Man muss es kennen, vielleicht wie wir durch einen Tipp der Schriftstellerin Katja Petrowskaja vor Monaten in der FAZ. Was dort seit fünf Jahren zu sehen ist – 2018 wurde dieses Museum dank seines Mäzens Heinz R. Böhme, eines als Chefarzt in München wohlhabend gewordenen Mannes, gegründet –, birgt eine Art Garantie auf melancholische Atmosphäre selbst.

Über 600 Exponate sind inzwischen in der Sammlung, die sich um keine anderen Künstlerinnen und Künstler kümmert als um solche, die dem nationalsozialistischem Kunstregime nicht gefielen, als „entartet“ eingestuft worden waren oder einfach, weil ihre Lehrer in diese Kategorie gepackt wurden, am Kunstmarkt keine Chance mehr hatten. Bis 1945 sowieso nicht, aber auch in den Jahren der demokratischen Aufbrüche der Bundesrepublik und Österreichs kriegten sie alle keinen Fuß mehr in die Türen. Sie waren allesamt Teil einer, so nennt es Sammler Böhme, „lost generation“ (in Anlehnung an eine Formulierung Hannah Arendts), einer „verlorenen Generation“, Künstlerinnen*, ausgegrenzt, übersehen und (buchstäblich auf dem Markt) unwert.

Eine Renaissance erlebten sie, etwa die aktuell in der Ausstellung „Beyond Beckmann“ gezeigten Schülerinnen und Schüler des berühmten Max Beckmann am Frankfurter Städel, nicht. Dafür, bittere Pointe, dominierten auch auf der vorgeblich auf Modernität und Demokratie abonnierten „Documenta“ frühere NS-Kunstwärter und Gatekeeper. Diese vermochten es sogar, einen Maler wie Emil Nolde, glühender Nationalsozialist, aber als Zeugnisgeber gegen das NS-Verständnis von Kunst glaubwürdig, weil er zu den „entarteten Künstlern“ gezählt wurde, nach 1945 zu rehabilitieren.

In diesem Salzburger Museum, so erzählt es Mäzen Böhme, geht es nicht um ästhetische Debatten, um Diskurse der Kunstproduktion selbst, sondern um das schiere Aus-dem-Vergessen-Holen. „Wir haben uns lange nicht gesehen“, steht an einer Wandtafel im Museum, das sei der Leitgedanke aller Mühe in diesem Haus. „Als einziges Kunstmuseum im deutschsprachigen Raum“ wird zu diesen vergessenen Malern und Malerinnen (abschätzig als „Malweiber“ einst tituliert) geforscht, eine vorzügliche Website klärt zu allen jeweils detailliert auf, ihre Werke ausgestellt, im Übrigen sehr smart sie alle gehängt, nichts drängt, nichts wirkt zu solitär – und es gilt das sammlerische Credo, dass dem Vergessen etwas entgegengesetzt werden sollte.

Keine ästhetische Antifa, obwohl dem völkischen Gift fern

Und dass es nicht um politische Schwarzweißwahrnehmungen geht. Die hier versammelten Künstlerinnen* eint, dass sie durch die Nationalsozialisten* um Laufbahnen und Chancen gebracht wurden, mehr oder weniger offen ignoriert wurden; sie waren dem Regime und seinen Kunstfunktionären unliebsam, aber viele versuchten natürlich trotzdem, über die Runden zu kommen, meist nur kärglich. Sie waren keine ästhetische Antifa, obwohl sie alle dem völkischen Gift fernstanden.

Kurzum: In diesem Museum gibt es keine Prominenten, allenfalls könnten sie zu solchen werden, jetzt, durch dieses Haus. „Beyond Beckmann“ ist eine Ausstellung, die ebenso gut hätte im Frankfurter Städel arrangiert worden sein können, aber den Impuls zur Wiederentdeckung von Carla Brill, Heinrich Friedrich Steiauf, Marie-Louise von Motesiczky, Anna Krüger und vor allem Karl Tratt, dieser in ärmlichster Lebenslage 1937 an den Folgen einer Tuberkulose gestorben, den hatten eben Heinz R. Böhme und seine inzwischen zahlreicheren Freundinnen*.

Malerei von Karl Tratt. Sie zeigt eine Straßenszene mit eng gedrängten Menschen, expressionistisch dargestellt

Einer der Verlorenen: Karl Tratt (1900–1937), Straßenszene mit Gepäckmann, 1932 Foto: Foto: Hubert Auer © Karl Tratt

Man merkt all ihren ausgestellten Bildern eine Verhaftung in den künstlerischen Flows ihrer Zeit an – was auch sonst? Karl Tratts Gemälde, 1932 gefertigt, mit einer Straßenszene in Frankfurt mit Gepäckmann, geht einem nah, wenn man einerseits die Debatten in den Kulturszenen der damaligen Zeit um Entfremdung, die Moderne, die Einsamkeit des Einzelnen erinnert, andererseits in diesem – wie viele andere – hochbegabten Schüler Beckmanns die Ängste erkennt vor dem, was die nahe nationalsozialistische Zukunft ihm bescheren würde. Er war, wie alle anderen in dieser Malklasse, eben nicht auf agitatorische Kunst geeicht worden, er verstand sich nicht politisch direkt intervenierend.

Trotzdem weiß man über ihn wie über die anderen vergessenen Maler und Malerinnen noch viel zu wenig, es ist den intensiven Recherchen dieses Museums zu danken, dass die Versäumnisgeschichte der angeblich auf die antinationalsozialistische Moderne gerichteten Kunstmühen der Bundesrepublik ein Stück weit erhellt wird.

In Salzburg wird Niederträchtiges ausgekramt

In Salzburg selbst wirkt dieses Haus – falsch: diese Museumsetage, wie ein nicht einmal unfreundliches Dementi auf die ganze mozarteische, dennoch sehr appetitliche Überkandideltheit, wo gerade die „Jedermann“-Bühne aufgebaut wird und Salzburger Nockerln serviert werden. Mit den Malern und Malerinnen, die in braunen Zeiten und auch danach keine Chance hatten, sitzt inmitten der Altstadt ein Topos, der Ungemütliches, Fieses, Niederträchtiges ausgekramt zeigt. Museumsgründer Böhme lässt sich auf der Website mit diesem Bekenntnis zitieren: „Es geht mir vor allem darum, zu erreichen, dass die Form des damaligen Umgangs der Menschen miteinander keine Wiederholung findet. Wenn Zeitzeugen nicht mehr sprechen und ihre Erlebnisse nicht mehr weitergegeben werden können, braucht es eine Brücke zur Gegenwart und in die Zukunft.“

Eine Stiftung sichert dem Museum eine Zukunft auch nach dem Leben des Mäzens selbst, der, wie es heißt, besonders gern nachts am Computer sitzt und weiter forscht, was sich zu den „Verlorenen“ noch herausfinden lässt. Könnte sein, dass erinnerungspolitisch das alles nicht mehr zeitgemäß ist, ein Edelstein im Salzburger Reigen der Sehenswürdigkeiten bleibt es.

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