Sexuelle Übergriffe im Europaparlament: #MeToo auch bei den Grünen

Ein Europa-Abgeordneter der Grünen tritt zurück. Er konnte trotz Vorwürfen sexueller Belästigung lange Zeit weiterarbeiten. Wie konnte das sein?

Malte Gallé nimmt ein vifdeo mit seinem Smartphone auf

Tritt als Europaabgeordneter zurück: Malte Gallée, hier im April 2023 im EU-Parlament Foto: Philipp von Ditfurth/dpa/picture alliance

BERLIN taz | Auf Malte Gallées Social-Media-Profilen herrscht Ruhe. Auf Tiktok, Instagram, X, wo er sonst so aktiv war: seit letzter Woche kein neuer Beitrag. Nur auf seiner Homepage veröffentlichte der 30-Jährige am Freitag noch eine Erklärung: Er trete als Europaabgeordneter zurück, schrieb er, weil ihm in Presseanfragen vorgeworfen worden sei, „mich unangemessen gegenüber Mitarbeitenden verhalten“ zu haben. Das stimme zwar nicht, aber zur Aufklärung wolle er mit voller Kraft beitragen – da bleibe keine Zeit mehr für das Parlament.

Ausschlaggebend für den Rücktritt waren Recherchen des Sterns. Das Magazin berichtete am Freitag konkreter über Belästigungsvorwürfe gegen den Grünen, der 2021 als Nachrücker nach Brüssel gekommen war. Eine anonyme Betroffene behauptet in dem Artikel, Gallée habe sie während einer Fraktionsklausur „wiederholt angefasst, am Hintern, an Hüfte und Taille“. Bei anderen Anlässen soll er „Praktikantinnen und Assistentinnen auf Partys sehr eng angetanzt“ haben, aus seinem Intimleben berichtet und sehr private Fragen gestellt haben.

Was neben den Vorwürfen an sich ebenfalls brisant ist: Die Betroffenen beklagen sich laut Stern darüber, dass Spitzengrüne Berichte über solche Fälle nicht ernst genommen hätten. Fraktionschefin Terry Reintke habe eine formelle Untersuchung durch externe Experten abgelehnt: Auf bloße Gerüchte hin könne man nicht tätig werden. Erkennbare Konsequenzen für Gallée gab es zunächst nicht. Erst als sich im Herbst 2023 sein bayerischer Landesverband einschaltete, habe er auf eine erneute Kandidatur bei der Europawahl im Juni verzichtet.

Glaubwürdigkeit von Terry Reintke gefährdet

Mit dem Rücktritt ist die Angelegenheit daher politisch auch noch nicht erledigt. Reintke, Spitzenkandidatin der Grünen bei der kommenden Wahl, brachte die MeToo-Debatte einst nach Brüssel. Sie warb für Maßnahmen des Parlaments gegen sexuelle Belästigung und wurde dafür neben anderen im Time Magazine zur „Person of the Year“ gekürt. Der Bericht des Sterns ist jetzt eine Gefahr für ihre Glaubwürdigkeit.

Dennoch haben sich die Grünen dazu entschieden, öffentlich erst mal den Kopf einzuziehen. Reintke und andere Grüne in Brüssel wollen sich auf Anfrage nicht zu der Angelegenheit äußern. „Aus Gründen der Vertraulichkeit und zum Schutz potenzieller Betroffener“ könne man keine Angaben zu konkreten Fällen machen, heißt es lediglich in einer Erklärung der Fraktion. Man dulde allerdings „keinerlei Belästigung“ und bekleide bei dem Thema im EU-Parlament eine „Führungsrolle“.

Tatsächlich haben die Grünen dort anders als andere Fraktionen ein eigenes Regelwerk für den Umgang mit sexueller Belästigung, das unter anderem Präventionskurse und Media­tionsverfahren vorsieht. Auch externe Untersuchungen sind dort als Option aufgeführt, sie kommen für besonders harte Fälle in Betracht und könnten Sanktionen nach sich ziehen. Solch ein Verfahren dauert aber Monate und startet nur, wenn eine betroffene Person namentlich einen Antrag beim Generalsekretär der Person stellt.

Taugen die grünen Regeln in der Praxis?

Denkbar ist, dass keines der mutmaßlichen Opfer diese Hürde überspringen wollte. Dann allerdings würde sich die Frage stellen, ob das Regelwerk der Grünen praxistauglich ist – oder ob nicht zumindest für den Start einer Untersuchung anonyme Hinweise ausreichen sollten. Auch zu einer Reform der eigenen Regeln wollte sich bei den Grünen in Brüssel am Montag aber niemand äußern. Und in Berlin sagte Parteichefin Ricarda Lang auf Nachfrage nur: Es gebe Strukturen und die „wurden in den letzten Jahren auch deutlich gestärkt“.

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