Sicherheit im Skirennsport: Freie Fahrt ins Risiko

Im alpinen Skirennsport mehren sich die Stürze. Neben der höheren Zahl an Wettbewerben spielt auch der erhöhte Druck auf die Athleten eine Rolle.

Ein verletzter Skifahrer wird mit zwei Sanitätern zum Hochschrauber hochgeseilt

Von der Piste direkt ins Krankenhaus: Barnabas Szöllös erlitt an der Streif in Kitzbühel mehrere Gesichtsbrüche Foto: Sergio Bisi/IPA/imago

Wie schon seit Jahrzehnten lagen auch diesmal in Kitzbühel die schönen und schlechten Seiten des alpinen Skirennsports nah beieinander. Während am Samstag, genau sechs Jahre nach seinem spektakulären Abfahrtssieg auf der Streif, Thomas Dreßen im Zielraum von seinen Teamkollegen mit Schampus nach seinem letzten Weltcuprennen in die „Rente“ verabschiedet wurde, schepperte auch ein Song der „Toten Hosen“ aus den Lautsprechern. „An Tagen wie diesen / wünscht man sich Unendlichkeit …“

Die gibt es jedoch auch im Skisport nicht, und nachdem das Knie von Dreßen nach mehreren Operationen in den zurückliegenden Jahren und langer Verletzungsmisere zu ramponiert war, um die Extrembelastungen auf den steilen Eispisten auszutarieren („Das lässt mein Körper nicht mehr zu“), verabschiedete sich dieser mit Tränen in den Augen mit gerade mal 30 Jahren aus dem Profisport.

Tage zuvor hatte es im Training auf der Streif wieder schwere Stürze ge­geben. Den für Israel startenden gebürtigen Ungarn Barnabas Szöllös hatte es nach der Mausefalle heftig nach dem Verschneiden seiner Skier erwischt. Er prallte mit dem Kopf auf die Eispiste, woraufhin sein Helm davonflog und er ins Fangnetz krachte. Er wurde mit dem Helikopter ins Klinikum nach Innsbruck gebracht. Diagnose: mehrere Frakturen im Gesichts- und Kieferbereich.

Der Kitzbüheler Rennchef Mario Mittermayer-Weinhandl erklärte, Szöllös werde wohl keine bleibenden Schäden davontragen. Am Dienstag wurde er aus der Klinik entlassen. Letztes Wochenende war auch die große Rivalin von Mikaela Shiffrin (USA), die Slowakin Petra Vlhová, gestürzt. Bei ihrem „Heimrennen“ in Jasna zog sie sich im Riesenslalom einen Kreuz-und Innenbandriss im Knie zu. Saisonende.

Frage der Eigenverantwortung?

Der Renndirektor des Skiweltverbandes (FIS) Markus Waldner, einst selbst Rennläufer, sieht für die aktuelle Verletzungsmisere nicht nur den übervollen Rennkalender als Ursache. „Der alpine Skirennsport ist schon immer eine verletzungsanfällige Risikosportart gewesen, noch dazu in der freien Natur bei teils schwierigen Schnee-, Eis-, Sicht- und Windverhältnissen.“

Zudem verweist der studierte Sportwissenschaftler auch auf die Eigenverantwortung der Fahrer und den Spagat zwischen dem Risiko, den einzelne Athleten auf der Hatz um eine gute Platzierung eingehen. „Individuelle Fahrfehler passieren ohnehin ständig.“ Waldner sieht aber auch die Skiindustrie in der Verantwortung und bezeichnet einige der im Weltcup benutzten, aggressiven „Rennlatten“ als „Waffen“. Teure elektronische Auslösesysteme bei den Skibindungen oder ein Knie-Airbag sind noch immer nicht marktfähig.

Der aktuelle Weltcupführende Marco Odermatt (26) aus der Schweiz, der bisher als einer von wenigen von schweren Verletzungen verschont geblieben ist, sagt: „Wer gewinnen will, muss ganz klar ans Limit gehen. 2023 hatte ich mir in der Abfahrt in Kitzbühel auch eine leichte Knieprellung nach einem Fahrfehler zugezogen.“

Airbag pflicht wird kommen

Der Südtiroler Routinier und Super G-Weltmeister von 2011, Christoph Innerhofer (39), fährt bereits seit 2006 im Weltcup. Kurz vor dem Jahreswechsel beim Rennen in Bormio traf es auch ihn mal wieder, Sturz in die Fangzäune, wo er sich eine Schnittwunde in der Wade zuzog. Innerhofer erklärt, „dass der Leistungsdruck, sich immer möglichst weit vorne zu platzieren, um viele Weltcup-Punkte zu sammeln, natürlich eine Gratwanderung ist.“

Kommende Saison ist die Airbag-Sicherheits-weste Pflicht. Manche Athleten beklagen die eingeschränkte Bewegungsfreiheit

Er schätzt, dass „rund 80 Prozent der Athleten nur kleine Sponsoren haben und wenig Geld verdienen“. Auch diese müssen dann auf der Piste extrem an ihre Leistungsgrenzen gehen­. Und der norwegische Abfahrts-Olympiasieger Aksel Lund Svindal, der seine Karriere aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig beendete, erklärt: „Als Profi geht man das Risiko eines Sturzes ganz bewusst ein. Das ist die Wahrheit.“

In der kommenden Saison ist die Airbag-Sicherheitsweste für alle Athleten Pflicht. „Rund 48 Prozent der Weltcup-Fahrer tragen aktuell einen Airbag“, also nicht mal die Hälfte, wie ein Servicemann des italienischen Herstellers erklärt. Einige Fahrer fühlen sich allerdings in ihrer Bewegungsfreiheit durch den rund 1.500 Gramm schweren Airbag eingeschränkt. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten Meldungen über verletzte Fahrer die Runde machen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.