Sommerserie „Wie riecht Berlin“ (5): Was Mensch und Club zusammenschweißt

Das Berliner Nachtleben ist voll menschlicher Ausdünstungen. Die sind aber nur einer der Gründe dafür, dass es in den Clubs sehr speziell riecht.

Feier im Dunst eines Technoclubs

Die Ausdünstungen gehören zur Party dazu Foto: Christian Jungeblodt

BERLIN taz | Wie riecht das Berghain? Gemäß einem Berliner Parfümhersteller, der sich für seinen Duft mit dem vielversprechenden Namen „Rausch“ von einer Nacht in Berlins berühmtem Technoclub inspiriert haben lassen will, nach Cypriol, Patchouli und dem Duftöl der Vanillebohne in der Herznote. Und in der Basisnote nach Amber und Oud.

Darauf wäre man jetzt nicht unbedingt gekommen. Spontan hätte man vielleicht eher gesagt, so ein Duft müsste einfach bloß ordentlich Raverschweiß, ja dem Odeur aller nur erdenklichen menschlichen Körperausdünstungen und -flüssigkeiten nachempfunden sein.

Zu fragen wäre auch, wer die Zielgruppe für so ein Berghain-Parfüm sein soll. Richtet sich das eher an jemanden, der eh nie an den Türstehern des Ladens vorbeikommt und sich zur Kompensation wenigstens mal über den Geruchssinn das Treiben in den heiligen Hallen vorstellen mag? Oder soll geglaubt werden, mit ein paar Spritzern aus dem Flakon gleich die an der Tür von sich überzeugen zu können, weil sie sofort eine gewisse Vertrautheit wittern und den Besucher automatisch durchwinken? Oder geht es bloß um Angeberei? Sollen die Kollegen unter der Woche im Büro an einem das Berghain erschnuppern und damit den Rausch der Nacht, die pure Ekstase, obwohl man in Wahrheit das ganze Wochenende faul auf der Couch lag?

Wer wirklich zwölf Stunden lang durchgeravt hat, glaubt Karo vom Club Mensch Meier in Prenzlauer Berg, will unter der Woche eher nicht nach Club riechen. Sie bezieht sich auf den soziologischen Begriff der „Neo-Tribes“, die auf Festivals, aber auch in Clubnächten entstehen, also eine Art „temporäre Stammesgemeinschaften“ darstellen. Wer davon ein Teil werde, würde sich nach dem Verlassen der Community im Normalfall lieber „rituell von der Versammlung wieder reinigen. Durch Duschen, aber auch das Waschen der Kleidung gehört dazu. Man versucht so, einen bestimmten Geruch wieder abzulegen.“

Es liegt was in der Luft Das Berliner Liedgut ist in der Geruchsfrage unentschieden: Einerseits weiß es von einem „holden Duft, Duft, Duft“, die die „Berliner Luft, Luft, Luft“ sein soll. Das bekannte Paul-Lincke-Lied, das als inoffizielle Hymne der Stadt gelten darf wie „Schwarz zu Blau“ von Peter Fox, der in seinem Liebeslied an Berlin allerdings keine holde Note riecht. Im Gegenteil: „Und überall liegt Scheiße, man muss eigentlich schweben“. Berlin: Mal müffelt es, mal duftet’s fein. Und vieles dazwischen.

Der ganz besondere Duft Manchmal muss man nur ein wenig herumschnuppern und weiß gleich, wo man sich befindet in dieser Stadt, die eben auch ihre besonderen Gerüche hat. In unserer diesjährigen Sommerserie wollen wir ihnen nachspüren und Berlin erriechen, immer der Nase nach. Nachlesen der bereits erschie­nenen Folgen geht online unter taz.de/berlin.

Spezielle Sonst-was-Note

Und dass es in Clubs sehr speziell riecht, sowohl in der Herz- als auch in der Basis- und der Sonst-was-Note, das kann Karo nur bestätigen. „Wenn ich montags um zehn in den Laden komme, riecht es einfach nach den Ausdünstungen von 800 Menschen, die hier am Wochenende geschwitzt haben“, sagt sie.

Sie glaubt auch: Falls ein findiger Parfumeur auf die Idee kommen würde, den Geruch einer durchgefeierten Nacht in ihrem Club nachstellen zu wollen, würde der sich vom Berghain-Aroma unterscheiden. „Jeder Club riecht ein wenig anders, würde ich behaupten. Das liegt auch an den Materialien, die verbaut wurden. Und wie die auf Feuchtigkeit, Wärme und Verdunstung reagieren.“ So ein Clubgeruch ist komplexer, als man annehmen könnte, da hat der Hersteller des Berghain-Dufts schon recht. Und nach ein paar Jahren Betrieb kriegt man den auch nicht einfach weg. „Da ist was in den Mauern, in den Polstern“, so Sulu Martini vom About Blank am Ostkreuz. Gleichzeitig variiert seine Note stark, verflüchtigt sich, wird wieder penetranter. „Ich kann den Mensch-Meier-Geruch am Dienstag von dem am Sonntag unterscheiden“, glaubt Karo. Wenn die Putz- und Reinigungsmittel ihr Werk getan haben, riecht es also logischerweise nochmals etwas anders als direkt nach der Party.

So richtig was für Tüftler wird das Gerüche-im-Club-Thema aber, wenn man feststellt, dass man sich sogar innerhalb der Locations durch unterschiedliche Geruchszonen bewegt, deren Aromen sich zu bestimmten Zeiten auch verändern. „Am Beginn einer Party riecht es im Türhäuschen im Eingangsbereich noch neutral oder nach den Leuten, die dort arbeiten“, so Karo. „Mit der Zeit aber sind die Gäste auch dort in der Überzahl und es riecht eigentlich nur noch nach denen. Man geht dann bei uns durch den Garten, ist also nochmals an der frischen Luft, dann vorbei an den Toiletten, die mit der Zeit immer stärker frequentiert werden – was man irgendwann schon auch riecht.“

So tolle Gärten wie das Mensch Meier und das About Blank, die regelrecht Geruchsoasen sind, haben natürlich nicht alle Clubs. Um so stolzer ist Karo darauf, dass es in ihrem Club saisonal nach dem Angepflanzten rieche, derzeit etwa nach Johannisbeeren, Äpfeln und Erbsen. Und auch Sulu Martini sagt, die Blütenpollen im About-Blank-Garten könne man zumindest in den wärmeren Monaten geruchsmäßig wahrnehmen.

Tropische Partynächte

„Im Club tritt man ein in eine alternative Realität, die sich auch in Gerüchen manifestiert“, glaubt Karo. Es sei warm, stickig, feucht, gar „tropisch“ während einer Partynacht, sagt sie, wegen dem Kondenswasser, das sich mit der Zeit in den Räumen bilde. Und das sei auch über den Geruchssinn wahrnehmbar. Dazu kämen zig weitere Aromen. Das Fluid für die Nebelmaschinen etwa habe einen eigenen Geruch. „Ob die Gäste viel Parfüm benutzen, spielt auch eine Rolle. Viele bringen Kosmetikprodukte mit, Deo, Puder. Dann werden Kaugummis mit verschiedenen Geschmacksrichtungen gekaut. Irgendwann holt jemand 20 Schnäpse an der Bar, verschüttet die Hälfte und hat die Jacke voller Lakritzschnaps.“ Im Mensch Meier werde auch viel gemalt. „Wir sind Graffiti-freundlich“, sagt Karo. Gerüche von Farben, Sprühdosen und Markern gebe es also auch. Und natürlich „Ausdünstungen von synthetischen Drogen“, so Sulu Martini.

Macht man dann selbst den Schnuppertest, sowohl im Mensch Meier als auch im About Blank, zwar nur unter der Woche in leeren Räumen, dafür aber mal mit einem bewusst scharf gestellten Riechkolben, lässt sich all das Treiben der Partynächte tatsächlich noch erschnuppern. Im kleineren Dancefloor des Mensch Meier steigt einem direkt am Tresen ein leichter Geruch von Vergorenem in die Nase. Der komme von den ganzen Zitronen und Limetten der Longdrinks, die hier gereicht werden, glaubt Karo. Auf dem größeren Dancefloor riecht es im Barbereich nach Kneipe, in der Mitte des Raums aber eindeutig nach Schweiß, ein bisschen nach „Muckibude“, um es mit einem Begriff von Karo zu sagen. Nach „mehr als acht Jahren, in denen hier jedes Wochenende 300 Leute zwölf Stunden lang Vollgas gegeben haben“.

Nach was es aber tatsächlich nirgendwo riecht, ist der Gestank von kaltem Nikotin. In Berlins Clubs herrscht seit Jahren Rauchverbot. Darauf wird auch hingewiesen mit Schildern. Und die Ordnungsteams des Mensch Meier und des About Blank achten darauf, dass das eingehalten wird. „Je länger die Party geht und der Alkoholpegel steigt, desto mehr muss natürlich interveniert werden“, so Sulu Martini. Aber seit Corona sei das Bedürfnis, indoor zu rauchen, stark zurückgegangen. „Du merkst, dass viele sich während der Coronazeit das Rauchen abgewöhnt haben. Oder nun empfindlicher sind und eher anderen sagen, dass sie das stört.“

Die meisten Berliner Clubs haben sowieso gute Lüftungsanlagen. Manche haben hier auch während der Pandemie nachgerüstet. „Die Luftqualität hat sich spürbar verbessert“, glaubt Sulu Martini. Das könne aber auch zu ganz speziellen Problemen führen, sagt sie. Im About Blank werde für einen der Tresen im Club jede Woche ein Strauß Blumen gekauft. Und immer mal wieder gebe es die Rückmeldung von den Tresenkräften, doch bitte Blumen zu besorgen, die nicht zu stark riechen.

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