Soziale Frage im US-Wahlkampf: Wahl zwischen zwei Visionen

Demokraten und Republikaner unterscheiden sich zwar im Verständnis von gesellschaftlichem Miteinander – Dennoch werden Wirtschaftsfragen die Wahl entscheiden.

Soll der Staat eingreifen? – Republikaner und Demokraten sind da unterschiedlicher Auffassung. Bild: reuters

Welche Verteilung der nationalen Resourcen ist gerecht? Ist etwas falsch daran, wenn ein kleiner Prozentsatz der Menschen einen großen Prozentsatz der nationalen Resourcen kontrolliert? Kann man einen Staat „gerecht“ nennen, der nichts gegen diese ungleiche Verteilung tut?

Diese Fragen bilden die Kulisse dessen, was die demokratische Partei unter den Zielen einer guten Regierung versteht. Sie sind das Herz des Angriffs von Präsident Obama auf Mitt Romney, dem er vorwirft, reiche Bürger über die Armen und die amerikanische Mittelschicht zu stellen.

Für Demokraten ist die Regierung ein egalitäres moralisches Projekt. Der Ansatz der Republikaner hingegen ist es, das moralische Bestreben ganz dem Einzelnen und den Kirchen zu überlassen. Die Partei von Romney und Ryan ist der Ansicht, dass die Regierung ausschließlich die jetzige Verteilung des Eigentums gewährleisten soll.

DEAN MOYAR ist Professor für Philosophie an der Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland. Seine Schwerpunkte: Immanuel Kant und der Deutsche Idealismus. Derzeit ist Moyar Stipendiat der American Academy in Berlin, er ist zudem Autor des Buches „Hegel’s Conscience“ (OUP, 2011).

Demokraten akzeptieren den Kapitalismus zwar, sie nehmen ihn an, aber trotzdem wenden sie ein, dass die vorrangige Rolle der Regierung sein sollte, das Ausmaß des Kapitalismus sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene einzudämmen. Wohlhabende Bürger stärker zu besteuern, soll sicherstellen, dass die wirtschaftliche Ungleichheit zumindest das Wohlbefinden derjenigen steigert, denen es am schlechtesten geht.

Staat als Resultat eines Gesellschaftsvertrags

Die Vorstellung der Demokraten von Staatsgewalt und Verantwortung leitet sich von der philosophischen Tradition ab, die den Staat als Resultat eines Gesellschaftsvertrags sieht. Diese Tradition besagt, dass es einen Naturzustand gibt, in dem der Einzelne bestimmte angeborene Rechte hat und auch die Macht, diese durchzusetzen.

Weil dieser Zustand höchst unsicher und unproduktiv ist, wird der Einzelne dazu ermutigt, diesen natürlichen Zustand zu verlassen, sich mit anderen zusammenzuschließen und gemeinsam einen Staat zu formen. Man gibt also die Macht ab, seine naturgegebenen Rechte weiter durchzusetzen, indem man sich bereit erklärt, sich an öffentliche Regeln und Gesetze zu halten.

Es gibt zwei Hauptzweige dieser Theorie vom Gesellschaftsvertrag. Sie sind in der Frage gespalten, ob es ein legitimes Recht auf Privateigentum vor dem Schließen des Vertrages gibt. Wenn ja, dann dient der Gesellschaftsvertrag dazu, die Interessen wohlhabender Einzelner zu verfestigen.

Ihr Recht auf Privatbesitz ist absolut, weil dieses Recht auf einer Ebene mit dem Recht auf persönliche Freiheit zu sehen ist. Eine Regierung, die unter dieser Prämisse konzipiert ist, hat nicht das Recht, den Reichtum im Namen sozialer Gerechtigkeit umzuverteilen. In diesem Fall ist der Vertrag dazu da, den individuellen Interessen zu dienen – und sonst keinen.

Solidarität mit den Mitmenschen

Der zweite Ableger dieser Theorie hingegen hält fest, dass es keinen von der Gesellschaft unabhängigen Anspruch auf ungleiche Besitzverteilung gibt. Es gibt keine Möglichkeit, das Netz der gegenseitigen Abhängigkeit zu verlassen. Die Theoretiker dieser Auslegung glauben zudem, dass das Eintreten in den Vertrag eine moralisches Gerechtigkeitsempfinden mit sich bringt, das sich aus der Solidarität mit den Mitmenschen ergibt.

Innerhalb des Vertrags sind alle gleich und jeder hat das Interesse, einen gerechten Staat zu errichten. Gesetze und Institutionen müssen so gestaltet sein, dass sie für jeden akzeptabel sind, ganz egal, wie arm oder reich, wie talentiert oder untalentiert er oder sie ist.

Das bedeutet nicht nur die Schaffung eines sozialen Sicherheitsnetzes, sondern auch, dass dafür Sorge getragen wird, dass auch diejenigen mit weniger Geld und Talent die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Lebensumstände zu verbessern.

Um nun von der Theorie zur Realität der Wahlen zu kommen: Für die ausschlaggebende Gruppe der Wähler aus der amerikanischen Mittelschicht ist die entscheidende Frage, wem sie das Vertrauen entgegenbringen, ihre Bedürfnisse bezahlbar und ihre Zukunft erfolgversprechend zu machen.

Eine Wahl, die viele Kommentatoren als eine Wahl zwischen zwei Visionen von Staat und Regierung sehen, wird sich höchstwahrscheinlich ganz einfach an der Frage entscheiden, wer der bessere Steuermann für die Wirtschaft im Land sein wird. Wenn es Obama nicht gelingt, die Wähler davon zu überzeugen, dass Gleichheit und wirtschaftliches Wachstum Hand in Hand gehen, werden sie sich vielleicht für Romney entscheiden – in der vergeblichen Hoffnung, dass das, was gut für das Geschäft und die Reichen ist, gut für jedermann ist.

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