Stadtumbau in Berlin: Angst vor der Altstadt

Erst der Molkenmarkt, dann das Rathausforum? In Berlin tobt ein neuer Architekturkampf. Auch eine Retro-Stiftung will nun mitmischen.

Altstadt rund ums Rote Rathaus

Vergangenheit als Vorbild für die Gegenwart Foto: Stiftung Mitte Berlin

BERLIN taz | Der neue Streit um die Gestaltung der Berliner Mitte nimmt an Intensität zu. Für die Zeit vom 19. bis zum 23. Oktober hat die neue Stiftung Mitte Berlin (SMB) ein sogenanntes Mitte-Festival angekündigt. Gezeigt werden unter anderem Fotos der Berliner Altstadt vor 1933. Diese sollen zugleich beispielgebend für eine neue Bebauung sein. So heißt es auf der Webseite der Stiftung: „Wir zeigen Berlins einstige und künftige Schönheit.“

Die Stiftung war gegründet worden, nachdem sich die Jury für den Wettbewerb am Molkenmarkt auf keinen der beiden vorliegenden Entwürfe einigen konnte. „Der Molkenmarkt hat es verdient, ein lebenswertes, klimaresilientes und zukunftsweisendes Wohn- und Kulturquartier zu werden“, hatte die Berliner Architektenkammer das Nichtergebnis kritisiert. Zuvor hatten Kritiker moniert, dass Berlins Senatsbaudirektorin Petra Kahfeldt eben jenen zukunftsweisenden Entwurf zugunsten eines Retro-Entwurfs verhindern wollte, dafür aber keine Mehrheit bekam.

Der Stiftung Mitte Berlin geht es aber um mehr. Sie will auch am Rathausforum zwischen Fernsehturm und Spree eine historische Bebauung erzwingen. „Wir haben nichts Geringeres als die Wiedergewinnung der städtischen Mitte der Bundeshauptstadt vor“, heißt es selbstbewusst im Gründungsaufruf.

Senat bleibt bei Beschluss

Tatsächlich aber ist die Entscheidung über die Gestaltung der Freifläche längst gefallen. Im Jahr 2016 hatte das Abgeordnetenhaus nach einem mehrjährigen Beteiligungsprozess sogenannte Bürgerleitlinien verabschiedet. Im vergangenen Jahr hatte das Büro RMP Stephan Lenzen einen Freiraumwettbewerb gewonnen, der die vorhandenen Grünflächen aufwertet. Oder wird die Beschlusslage auch in der Koalition infrage gestellt? Zumindest die Antwort der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen ist eindeutig. „Sowohl die Bürgerleitlinien als auch die Entscheidung des Wettbewerbs gelten“, sagte die Sprecherin von Bausenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag der taz.

Auch Matthias Grünzig hat sich in die Debatte eingemischt. Bei dem Wettbewerb zum Molkenmarkt saß der Architekturkritiker und Buchautor in der Jury. Nach der Nichtentscheidung sagte er: „Diese Entscheidung war keine Entscheidung des Preisgerichts.“ Grünzig deutete damit an, dass sich die Senatsbaudirektorin über die Jury hinweggesetzt hat. Zur Aussage von Petra Kahlfeldt, dass im Preisgericht gar keine Entscheidung stattfinden sollte, sagte er: „Diese Aussage ist falsch.“

Zusammen mit der Präsidentin der Architektenkammer, Theresa Keilhacker, hat Grünzig inzwischen einen Aufruf gestartet. „Wir halten es für unumgänglich, dass das Preisgericht nochmals zusammentritt und – wie in der Auslobung vorgesehen – einen Siegerentwurf auswählt“, sagt Grünzig der taz. Den Aufruf haben mittlerweile über 220 Initiativen, Verbände und Einzelpersonen unterzeichnet, darunter der Bund Deutscher Architekten und Architektinnen Berlin, der BUND und der Mieterverein.

Das Misstrauen ist also groß – und auch die Sorge, dass der Molkenmarkt nur der Anfang ist. Die Gründung der Retro-Stiftung Mitte Berlin hat bei vielen die Alarmglocken läuten lassen.

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