Steigende Lebenshaltungskosten: Lehrjahre sind Hungerjahre

Studierende und Azubis gehören zu den einkommensschwächsten Haushalten in Deutschland. Die Inflation bringt sie zusätzlich in finanzielle Nöte.

Eine Dose Ravioli auf einem Teller

Für mehr als Dosenravioli reicht es oft nicht Foto: imageBROKER/Jürgen Pfeiffer

BERLIN taz | Das Leben wird für alle viel teurer: Im Juni lag die Inflationsrate bei 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die Preise an der Tankstelle haben sich um mehr als ein Drittel erhöht, Heizölpreise haben sich verdoppelt, und der Strompreis ist um über 20 Prozent gestiegen. Auch Lebensmittel sind 12,7 Prozent teurer als im Vorjahr.

Diese Entwicklung trifft einkommensschwache Personen besonders hart. Der Preisanstieg von Konsumgütern des täglichen Bedarfs kann unter Umständen existenzbedrohend sein. Die 20 Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen geben fast 70 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens für die durch die Inflation besonders belasteten Bereiche Nahrungsmittel, Wohnen und Verkehr aus.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat neue Entlastungen angekündigt. Auf jeden Fall werde am 1. Januar 2023 ein neues Bürgergeld kommen, zudem werde zum selben Zeitpunkt eine Wohngeldreform mit Heizkostenkomponente in Kraft treten. Details nannte er wegen Streits in der Ampel aber noch nicht. (Reuters)

Die Preissteigerung fällt also für sie, relativ gesehen, mehr ins Gewicht. Wer schon vor dem Anstieg der Inflationsrate am Monatsende kein Geld übrig hatte, der:­die muss nun noch kürzer treten oder rote Zahlen auf den Kontoauszügen in Kauf nehmen.

Das betrifft auch in hohem Maße junge Menschen. Gemäß der 21. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von Studierenden haben diese im Monat durchschnittlich 918 Euro zur Verfügung. Studierende gehören damit zu den einkommensschwächsten Personen der Gesellschaft. Wer in den deutschen Metropolregionen um Berlin, Hamburg oder München lebt, muss oft 400-500 Euro allein für ein WG-­Zimmer zahlen.

Das Einkommen von Auszubildenden variiert von Branche zu Branche und von Ausbildungsjahr zu Ausbildungsjahr, bewegt sich aber durchschnittlich um 1.000 Euro Bruttogehalt pro Monat. Damit gehören auch sie zu den einkommensschwächeren Haushalten.

Trotzdem werden junge Leute in Deutschland von der Politik oft übersehen. Während der Coronapandemie, aber auch in der Gaskrise gibt es keine gesonderte finanzielle Entlastung für junge Menschen. Im Juni beschloss die Ampel-­Regierung mit Unterstützung der Linken-Fraktion zwar eine Erhöhung des Bafög-Regelsatzes um 5,7 Prozent zum Wintersemester 2022/2023. Die Erhöhung wird aber in Gänze von der noch höheren Inflationsrate aufgefressen.

Das bemängelt die oppositionelle Unionsfraktion, sowie Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studienwerkes (DSW). „In den Sozialberatungsstellen der Studenten- und Studierendenwerke sind finanzielle Fragen das Top-Thema“, berichtet der Generalsekretär des DSW der taz.

„Studierende sind frustriert und verängstigt“, sagt Florian Ellwanger, studentischer Sprecher der Studierendenvertretung der Universität Regensburg gegenüber der taz. Emotionale, aber auch finanzielle Unterstützung erhalten die Studierenden vorwiegend von Freund:innen. „Häufig helfen sich Studierende gegenseitig über finanzielle Engpässe hinweg, besonders in der Mensa“, so Ellwanger. Die Studierendenvertretung der Uni Regensburg fordert, dass das Bafög elternunabhängig wird, damit mehr Studierende finanzielle Unterstützung vom Staat bekommen können. 2019 erhielten nur rund 11 Prozent der immatrikulierten Studierenden Bafög.

Für junge Leute sind in der aktuellen Krise keine gezielten Entlastungsprogramme geplant. Auch die bereits beschlossenen allgemeinen Entlastungspakete der Bundesregierung schaffen es unterm Strich nicht, die Mehrbelastung auszugleichen. Die Energiepreispauschale, einmalige Heizkostenzuschüsse, die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage, der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket haben zwar eine entlastende Wirkung – es reicht aber nicht. Das zeigt eine am 13.7. von der DIW Econ veröffentlichte Studie.

Aufgrund dessen befürwortet die DIW den Vorschlag der Diakonie, Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen pauschal 100 Euro pro Monat für mindestens sechs Monate auszuzahlen. Das würde die inflationsbedingte Mehrbelastung für die einkommensschwächsten zehn Prozent der Bevölkerung erfolgreich ausgleichen, so die Berechnungen des Instituts.

Die Diakonie macht aber keine Vorschläge für die Entlastung von Studierenden oder Auszubildenden. Die vorgesehene Pauschale soll nur an Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) ausgezahlt werden.

Bafög-Bezüge regelt ein gesondertes Gesetz, das Bundesausbildungsförderungsgesetz. Das bedeutet, Studierende würden die Pauschale nicht erhalten. Auszubildende sind angestellt und beziehen keine Leistungen. Auch sie würden also nicht von der von der Diakonie vorgeschlagenen Pauschalzahlung profitieren.

PROTOKOLLE
„Hätte die Politik früher auf Erneuerbare umgestellt“

Vor einigen Wochen hat Felix die Inflation zum ersten Mal am eigenen Leib gespürt. Er stand im Supermarkt. 250 Gramm Butter kostete plötzlich 3 Euro. „What the fuck? Ein Päckchen Butter kann doch nicht 3 Euro kosten“, schoss ihm durch den Kopf.

Lange hatte der 24-Jährige die Inflation nur durch den Nachrichtenkonsum mitbekommen. Jetzt spürt er die teureren Preise bei jedem Einkauf: „5,99 Euro für einen Brokkoli – sind die wahnsinnig?“ Dann ist da noch die neue Stromrechnung. Nach der kürzlich verkündeten Preisanpassung muss Felix nun monatlich 64 Euro für die Stromversorgung zahlen. Vorher waren es noch 45 Euro im Monat. Eine Preissteigerung um mehr als 40 Prozent. Anders als die Lebensmittel- und Strompreise ist sein Gehalt nicht angestiegen.

Als Unternehmensberater verdient Felix für seine Altersklasse verhältnismäßig gut. Die Inflation bring ihn daher finanziell (noch) nicht in die Bredouille. „Ich muss zum Glück keine Angst haben, dass ich gar kein Geld mehr habe. Ich bin sehr privilegiert“, merkt Felix an. Trotzdem belastet ihn die aktuelle Situation. Felix hat Angst, dass er langfristig seinen bisherigen Lebensstandard nicht wird halten können. Vor der Inflation hatte Felix mit dem Gedanken gespielt, noch mal zu studieren. Er würde gerne Psychologe werden. „Vorher war die Option, noch mal zu studieren, im Rahmen des Möglichen. Ich hätte es finanziell schon stemmen können. Jetzt weiß ich es nicht mehr.“ Bei den steigenden Preisen ist Felix froh, eine unbefristete Arbeitsstelle zu haben.

Die emotionale Mehrbelastung durch die Preissteigerung reiht sich für Felix in die seit Jahren anhaltenden und sich aufbauenden globalen Krisen ein. Die Inflation verstärkt das Weltuntergangsnarrativ, das aufgrund der Klimakrise, der Pandemie und der langsam bröckelnden Demokratien in einigen westlichen Staaten für Felix sehr präsent ist.

Felix teilt seine Sorgen mit Freun­d:in­nen und drückt auch seine Frustration aus: „Hätte die Politik mal früher und schneller auf erneuerbare Energien umgestellt, wie vor allem wir – die junge Generation – es seit Jahren fordern, dann wären wir jetzt gar nicht in der Situation.“

Für Felix wird jetzt sichtbar, wie schlecht die Energiepolitik der Bundesregierung in den letzten Jahren war. „Und die verheerenden Konsequenzen müssen wieder die Menschen ertragen, die vorher auch schon wenig Geld hatten“, kommentiert Felix frustriert.

„Wie soll ich mir eine Hose leisten?“

Sami ist 21 Jahre alt. Im August fängt er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann an. Sein Nettogehalt im ersten Ausbildungsjahr wird sich auf rund 750 Euro belaufen. „Das reicht einfach nicht“, betont der angehende Kaufmann.

Miet- und Nebenkosten für seine Wohnung in Norden schlucken 500 Euro im Monat. Den Anstieg der Preise für Lebensmittel spürt Sami sehr. „Wenn ich aus dem Supermarkt komme, ist die Tüte fast leer, obwohl ich 50 Euro ausgegeben habe.“ Eigentlich sollten Lebensmittel im Wert von 50 Euro für eine Woche genügen. Aufgrund der steigenden Preise reicht es oft nicht mehr. „Manchmal esse ich nur Brot und Butter und trinke Tee“, berichtet der 21-Jährige.

Dann kommen für Sami noch teure Medikamente hinzu. Er leidet unter Neurodermitis. 100 Gramm einer Creme gegen seine rissige und ­juckende Haut kostet 15 Euro. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten nicht.

Neue Kleidung hat Sami seit 2020 nicht mehr gekauft. „Wenn ich im Monat knapp 400 Euro zur freien Verfügung habe und mindestens 200 davon allein für Essen ausgeben muss, wie soll ich mir da eine Hose leisten?“ Sami wird versuchen, sich mit Wochenendjobs etwas zu seinem Azubigehalt dazuzuverdienen.

„Tag für Tag wird es schlimmer“, beobachtet er. „Es kann sein, dass ich im Winter von der Arbeit nach Hause komme und es kalt in meiner Wohnung ist.“

Die Vorstellung, im Winter nicht mehr heizen und warm duschen zu können, macht Sami Angst. Samis Stundenlohn wird trotz steigender Preise nicht erhöht. Hilfe vom Sozialamt oder anderweitige Unterstützung vom Staat bekommt er auch nicht. „Das kann doch eigentlich nicht sein“, empört sich Sami.

„Einfach traurig, dass zwei Jobs nicht reichen“

Vollzeitstudium und zwei Nebenjobs. So sieht der Alltag von Lara (Name von der Redaktion geändert) aus. Die 25-Jährige studiert Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Nebenher arbeitet sie auf 450-Euro-Basis beim Studienkreis. Darüber hinaus ist sie sechs Stunden pro Woche als Buchhalterin tätig. Den zweiten Job macht sie „schwarz“, um die vorgeschriebene Minijob-Grenze nicht zu überschreiten. Andernfalls müsste Lara Sozialabgaben und Steuern zahlen und hätte trotz mehr Arbeit weniger Geld im Portemonnaie.

Von 8 bis 19 Uhr ist Lara jeden Tag unterwegs, um Uni und Arbeit zu bewältigen. Sport machen und Freun­d:in­nen treffen müssen hinten anstehen. Das wird sich auch in den kommenden Semesterferien nicht ändern. Die vorlesungsfreie Zeit ist für viele Studierende eine Zeit für Entspannung, Spaß und Urlaub. Lara freut sich, dass sie in den Semesterferien Vollzeit arbeiten kann. Eine weitere Erleichterung ist, dass sie nächstes Semester weniger Kurse belegen muss – und so mehr Zeit für Arbeit hat.

Mit Unterhaltszahlungen ihrer Eltern und den zwei Jobs hat die Studentin monatlich 800 Euro zur Verfügung. Etwas mehr als die Hälfte davon verschluckt die Miete. „Ich merke die Inflation auf jeden Fall sehr“, berichtet Lara. Seit sie 25 Jahre alt ist, muss sie die Krankenversicherung selbst zahlen und bekommt auch kein Kindergeld mehr.

„Da wird das Geld sowieso knapp und dann merkt man es echt dolle, wenn Sprit- und Lebensmittelpreise steigen. Am Monatsende komme ich meistens bei null raus. Manchmal muss ich in den Dispo gehen“, erzählt Lara.

In den letzten Monaten konnte sie 200 bis 300 Euro für den Notfall zurücklegen. „Falls die Waschmaschine mal kaputt geht.“ Ansonsten hat Lara kein Erspartes.

Ihre prekäre finanzielle Lage ist ein Auslöser für die depressive Verstimmung, unter der Lara leidet. „Es ist einfach so belastend und stressig und ich sehe auch keinen Ausweg.“ Lara ist wütend und frustriert. „Es ist einfach traurig, dass zwei Jobs und Unterhalt der Eltern nicht ausreichen.“

Sie hat das Gefühl, dass Studierende immer übersehen und vergessen werden. Coronazuschüsse zum Beispiel gab es nur für Arbeitende, und auch jetzt, während der Gaskrise und Inflation, lässt finanzielle Unterstützung für Studierende auf sich warten. „Ich würde mir wünschen, dass es mal jemanden interessiert, wie es uns finanziell und mental geht“, sagt die Studentin.

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