Stolpersteine für Schwarze NS-Opfer: Lücken füllen

In Berlin wurden Stolpersteine für zwei Schwarze Deutsche verlegt. Damit wird eine Opfergruppe gewürdigt, die sonst kaum Aufmerksamkeit bekommt.

Stolperstein für Ferdinand James Allen in der Berliner Torstraße 176-178

In Gedenken: Stolperstein für Ferdinand James Allen in der Berliner Torstraße 176-178 Foto: Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin

BERLIN taz | Ein sonniger Sonntag im Berliner Scheunenviertel: Tou­ris­t:in­nen mit Rollkoffern streiten vor Edelboutiquen, Teenager fahren mit E-Rollern. In der Max-Beer-Straße 24 ist es eher ruhig, obwohl sie in der Shopping-Gegend zwischen der Weinmeisterstraße und dem Rosenthaler Platz liegt.

Vor der Kita an dieser Adresse hat sich eine Menschentraube gebildet. Während manche Sound-Equipment aufbauen, plaudern andere. Mittig vor dem Eingang mit der Hausnummer 24 stehen mehrere Eimer, gefüllt mit Werkzeugen und Sand. Und etwas, das von Weitem wie ein vergoldeter Pflasterstein aussieht.

An diesem 29. August wird Martha Ndumbe und Ferdinand James Allen jeweils ein Denkmal gesetzt. Dort, wo die beiden Ber­li­ne­r:in­nen wohnten, werden zwei Stolpersteine verlegt. Ndumbe und Allen sind von den Nationalsozialisten ermordet worden. Sie gehören einer Gruppe von NS-Opfern an, die bisher in der Erinnerungskultur kaum Aufmerksamkeit erhalten hat: Schwarze Deutsche.

Mnyaka Sururu Mboro hält Schweigeminute ab

In Deutschland und Europa gibt es inzwischen über 75.000 Stolpersteine, die an Opfer der Nazis erinnern. Die Plaketten werden dort in den Gehweg eingelassen, wo Ermordete vor ihrer Deportation gelebt haben. Wenn man durch europäische Städte läuft, “stolpert“ man zufällig über sie, und so auch über die Schicksale der Opfer des Nationalsozialismus. Deshalb wird das Projekt des Künstlers Gunter Demnig auch das größte dezentrale Mahnmal der Welt genannt.

Bis zu diesem Tag gab es in Deutschland nur zwei Stolpersteine für Schwarze Deutsche: Einen in Frankfurt am Main für Hagar Martin Brown und einen in Berlin für Mohamed Husen. Dabei haben schätzungsweise 250 bis 500 Schwarze Menschen allein in Berlin gelebt, als die NSDAP gewählt wurde. Viele von ihnen sind der Politik der Nazis und den Rassengesetzen zum Opfer gefallen.

“In den 30er Jahren verschlechterte sich die soziale und wirtschaftliche Situation für die meisten Schwarzen Deutschen rapide“, sagt Robbie Aitken, britischer Historiker und Experte für die Geschichte Schwarzer Menschen in Deutschland. Er hat angestoßen, dass an Ndumbe und Allen erinnert wird. Die Vereine Dekoloniale Erinnerungskultur in der Stadt, Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin und der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin haben die Stolpersteinverlegung organisiert. Aitken erzählt heute aus den Leben von Ndumbe und Allen. Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial e.V. hält eine Schweigeminute ab.

Marthas Leben ist lückenhaft

Martha Ndumbe wird 1902 als die Tochter eines Kameruners und einer Hamburgerin geboren. Ihr Vater Jacob Ndumbe wurde bei der ersten Kolonialausstellung in Berlin 1896 zur Schau gestellt. Er entschied danach zu bleiben.

Seine Tochter Martha findet als Erwachsene keine Arbeit. Sie hält sich mit Prostitution und Kleinkriminalität über Wasser. 1943 zieht sie in die Dragonerstraße, die heutige Max-Beer-Straße. 1944 wird Ndumbe als “asoziale Berufsverbrecherin“ ins KZ Ravensbrück deportiert. 1945 wird sie dort im Alter von 42 Jahren ermordet.

Marthas Leben ist lückenhaft. Die wenigen bekannten Informationen stammen aus diskriminierenden Polizeiakten. “Es ist sehr schwierig, Marthas eigene Stimme zu hören“, sagt Aitken. “Trotzdem ist es wichtig, Marthas Lebensgeschichte zu rekonstruieren um die Geschichte Schwarzer Menschen in der NS-Zeit sichtbar zu machen.“

Von der Max-Beer-Straße 24 ist nur ein 15-minütiger Fußweg bis zur Torstraße 176-178, der letzten Adresse von Ferdinand James Allen. Heute steht hier ein 1960er-Bau mit grauem Putz. Daneben ist ein Sushi-Lokal. Bei der Stolpersteinverlegung lugen An­woh­ne­r:in­nen hinter ihren Gardinen hervor. Es beginnt zu regnen.

Pluralisierung der Erinnerungskultur

Aitken erzählt von Ferdinand Allen: Geboren wird Allen 1898 in Berlin. Sein Vater ist Musiker aus Liverpool mit karibischen Wurzeln. Nach einem epileptischen Anfall wird Allen mit 22 Jahren in eine Heilanstalt zwangseingeliefert. Dort bleibt er 20 Jahre.

Im Januar 1935 wird Allen aufgrund des neuen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ im Krankenhaus Neukölln zwangssterilisiert. 1941 liefert man ihn in die Euthanasieanstalt Bernburg ein. Noch am selben Tag wird Allen unter der “Aktion T4“, bei der mehr als 70.000 Menschen mit Behinderung von den Nazis vernichtet wurden, ermordet.

“Bis heute ist Rassismus fester Bestandteil der Lebensrealität Schwarzer Menschen in Deutschland“, sagt Anab Awale von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. “Der heutige Tag zeigt, wie eine Pluralisierung der Erinnerungskultur gelingen kann, ohne dabei die Singularität des Holocaust zu relativieren.“

Die Band Sauti é Haala spielt ein senegalesisches Lied, Gunter Demnig bringt Allens Stolperstein in den Boden ein, füllt die Fugen mit Erde und Spachtelmasse und poliert den fertigen Stein. Die Anwesenden legen bunte Dahlien und Rosen auf den Stolperstein und klatschen im Rhythmus.

Sängerin Zaida Horstmann rezitiert “grenzenlos und unverschämt“ von der afrodeutschen Dichterin May Ayim: “ich werde trotzdem afrikanisch sein auch wenn ihr mich gerne deutsch haben wollt / und werde trotzdem deutsch sein auch wenn euch meine schwärze nicht paßt / ich werde noch einen schritt weitergehen bis an den äußersten rand / wo meine schwestern sind wo meine brüder stehen / wo unsere FREIHEIT beginnt.“

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