Techno-Album von Speaker Music: Arbeitskräfte der Zukunft

Der US-Produzent Speaker Music veröffentlicht das neue Album „Techxodus“. Das überführt sein Buch „Assembling a Black Counter Culture“ in Musik.

"The Ancient and Rhythmanalyst", Illustration von AbuQadim Haqq für Speaker Music.

Illu „The Ancient and the Rhythmanalyst“ von AbuQadim Haqq für das Albumcover von Speaker Music Illustration: Planet Mu

„Workers of the Future Operating the Machinery of a New Rea­lity“ ist der Titel eines Gemäldes des US-Illustrators AbuQadim Haqq, das von Ferne an die Industrie­ästhetik der Neuen Sachlichkeit erinnert. Das Bild wurde digital erstellt und stammt von 2019. Bekannt wurde Haqq als Illustrator von Alben und 12inches des Detroiter Technoduos Drexciya.

Seine Bildsprache wirkte aktiv mit an der SciFi-Anmutung der elektronischen Musik und ihrer geheimnisvollen, oft in fiktionalen Unterwasserwelten angesiedelten Titeln. Sie spielen auf eine Sage an, wonach die Babys von schwangeren Sklavinnen, die bei ihrer Verschleppung aus Westafrika in die USA während der Überfahrt über Bord geworfen wurden, in der Tiefsee überlebt hätten und als Fabelwesen mit übersinnlichen Kräften weiterwirken.

2020 ist aus dieser Erzählung auch die erste von mehreren Graphic Novels geworden, in denen Haqq mit dem japanischen Anime-Autor Dai Satō die Drexciya-Vorstellungswelten zu Superheldengeschichten ausgearbeitet hat.

Im Bildvordergrund von „Workers of the Future“ sind vier Schwarze in dunkelgrünen Overalls zu sehen. Zwei tragen Kopfhörer. Alle vier machen sich an einer von dunklen Wolkenkratzern umgebenen Maschine zu schaffen. Von ihr zeigt ein Rohr in Richtung eines fernen, von gleißend hellen Ringen umkränzten Planeten. Haqqs Gemälde ziert das Cover von DeForrest Brown Jrs. Sachbuch „Assembling a Black Counter Culture“. Mit ihm erzählt der in Kanada lebende US-Musiker und Autor die Geschichte von Detroit Techno aus afroamerikanischer Perspektive.

Richtung Weltraum

DeForrest Brown Jr.: „Assembling a Black Counter Culture“, Primary Information, Brooklyn, 2022, 432 Seiten, ca. 21 Euro

Speaker Music: „Techxodus“ (Planet Mu/Rough Trade)

Sein Buch ist ein Steinbruch, manchmal etwas fußnotenlastig, bisweilen schlampig lektoriert, aber oft informativ. Es ist das Ergebnis einer großen Rechercheleistung. In den Tiefen des Netzes verstreut publizierte Essays und Interviews zum Thema Detroit Techno und seine internationale Rezeption hat der Autor in seine Forschung eingebettet.

DeForrest Brown Jr. aktualisiert damit nicht nur die Geschichte einer ökonomisch prekären Musikszene, sondern bereichert damit auch das kulturelle Wasteland des US-Musikdiskurses. Auslöser war der politische und juristische Backlash nach dem Abebben der Black-Lives-Matter-Proteste in den USA, erklärt Brown Jr. Mit seinem Buch wolle er dem Schulterzucken angesichts der Diskriminierung von Schwarzen etwas Positives entgegensetzen.

Divergierende Sichtweise

Sein Buch erzählt die Self-Em­po­werment-Geschichte von Detroit Techno, bislang fast ausschließlich von britischen und deutschen Au­to­r:In­nen geschildert. In Europa ist Detroit Techno umkultet, während die Musik in den USA ein Randphänomen geblieben ist. DeForrest Brown Jrs. Sichtweise ist divergierend. Anders als etwa der britische Autor Simon Reynolds, sieht er Detroit Techno nicht als Teil des „Hardcore Continuum“, der schnell ändernden Stile und Moden des britischen Dancefloors an. Ein ausführliches Kapitel hat Brown Jr. der Geschichte des Duos Drexciya gewidmet.

Unter seinem Künstlernamen Speaker Music veröffentlicht DeForrest Brown Jr. nun auch ein eigenes neues Soloalbum: „Techxodus“ setzt die Zusammenarbeit mit AbuQadim Haqq auf musikalischer Ebene fort. Musik und Illustrationen ergänzen sich und funktionieren wie ein Epilog zum Buch und dessen Thesen.

Der taz schreibt Speaker Music: „Haqqs Bild ist im Jahr 2100 angesiedelt, Maschine und Personal spiegeln die Hörerfahrung wider, also die Möglichkeit, durch Musik aus der tristen Gegenwart in eine bessere Zukunft katapultiert zu werden, ohne dass man sofort Assoziationen hat, wie diese Musik klingt.“

"Focus Pont" Illustration von AbuQadim Haqq für das Cover von Speaker Music. Ein Mann steuert einen Hebel. Der andere Mann hat Schläuche an seinem Kopf und in seiner Kleidung.

Cover-Illu „Focus Point“ von AbuQadim Haqq für Speaker Music Illustration: Planet Mu

Bereichernd für Körper und Geist

Der Albumtitel „Techxodus“ setzt sich aus den Worten Technologie und Exodus zusammen. „Besondere Aufmerksamkeit lege ich auf den positiven Effekt, den Technologie auf Körper und Geist ausüben kann. Ich beziehe mich hierbei auf ein Konzept von Rayvon Fouché und Nettrice Gaskins, die in diesem Zusammenhang von ‚Black vernacular technological creativity‘ gesprochen haben.“ Speaker Music bezeichnet damit den Einfallsreichtum und den D-i-Y-Geist, der am Anfang der Detroiter Technoszene zwangsläufig entstand: Den Pro­du­zen­t:In­nen sei es gelungen, einer kulturellen, segregierten und ökonomischen Wüste mit moderner Technik zu entfliehen.

In den mittleren Achtzigern lag Detroit wirtschaftlich und sozial am Boden. Weiße Mittelklasse zog in Scharen in Vorstädte, während innerstädtische Bezirke verödeten und ihre schwarze Bevölkerung zunehmend verarmte. Die Autoindustrie entließ massenhaft Personal, auch die Plattenfirma Motown, einst von Schwarzen in Detroit gegründet und längst in Kalifornien ansässig, wurde von einem Investor gekauft und an die Wand gefahren. Die lokale Musikszene darbte.

Technopioniere wie der Produzent Juan Atkins machten aus Mangel an Labelunterstützung im rudimentär ausgestatteten Homestudio mit wenigen Analogsynthesizern und einem Sequenzer Musik, nahmen diese mit Kassettenrekorder auf und arrangierten die Tapes auf Vierspur-Mischpulten. Ihre Musik brachten sie auf Kleinstlabels heraus. „Detroit Techno lieferte damit eine Antwort auf die Automatisierung der Großindustrie und Massenentlassungen in der Stadt.“ Die Musiker benutzten moderne Technik lieber selbst, als dass ihre Arbeitskraft von der Technik überflüssig gemacht wurde.

Letzte Station vor der Freiheit

Detroit ist nicht nur von der Autoindustrie, den Migrationsbewegungen aus dem Süden und den ökonomischen Verwerfungen des 20. Jahrhunderts geprägt. Im 19. Jahrhundert hatte es bis weit nach Ende des US-Bürgerkriegs eine besondere Bedeutung als letzte Station auf der Fluchtroute der Schleuserorganisation Underground Railroad. Von Detroit aus wurden entflohene Sklaven und Schutzsuchende Schwarze über den Fluss Detroit River nach Kanada gebracht, wo sie sicher vor Verfolgung und rassistischer Gewalt waren.

Das stilbildende Detroiter Technolabel Underground Resistance hat seinen Namen daran angelehnt. „Die Stadt hat große Bedeutung für die Geschichte des Schwarzen Amerika, Detroit Techno ist Teil davon. Auch meine Musik spricht aus einem Verständnis, wie Black Music durch meine Familie von Süden nach Norden gewandert ist. Meine Verwandtschaft stammt aus Birmingham in Alabama. Und von dort sind sie nach dem Abebben der Civil-Rights-Bewegung nach Detroit, Chicago und New York migriert.“

Als Kind hat Brown Jr. Trompete in einer Blaskapelle gespielt. Er habe mit dem ­Schreiben begonnen, weil er nicht einverstanden damit war, wie wenig sinnlich vielerorts über Musik geschrieben wurde.

Auftritt Dr. Blowfin

In den beiden Illustrationen vom Speaker-Music-Albumcover hat AbuQuadim Haqq die Figur des Drexciya-Wissenschaftlers „Dr. Blowfin“ an die Seite eines jungen Mannes gestellt, der DeForrest Brown Jr. ähnlich sieht. Vielleicht auch eine Anspielung auf den britischen Autor Kodwo Eshun, dessen Buch „Heller als die Sonne“ Blaupause für das Schreiben von DeForrest Brown Jr. ist. Auf der Frontseite des Albums ist eine kreishafte Timeline zu sehen, die Speaker Music wiederum der Drexciya-Mythologie entlehnt hat und das Überleben der Unterwasser-Wesen in einer subaquatischen Stadt verortet.

Auch die Track­titel erinnern an Drexciya und andere Tropen des Afrofuturismus und heißen etwa „Holosonic Rebellion“, „Techno-Vernacular ­Phreak“ oder „Futurhythmic Bop“. Wo das Duo Drexciya in seiner Musik an Funk, Bionic-Boogie und Electrosound anknüpfte, klingt Speaker Music tumultuös und rumorend. Statt der uptempo Straightness von Detroit Techno, channelt Speaker Music einerseits Jazz und zeitgenössische Dance­floor­stile wie Footwork. Andererseits läuft auf inspirierende Weise in seinem Sound wie in einem Mikado-Ausgangswurf alles durcheinander.

Momente, die an Freejazz-Energy-Drumming erinnern, werden von geisterhaften Hallfahnen und Noise-Ausbrüchen abgelöst. Aber forcierte Rhythmus-Exerzitien, Samples von afrikanischen Chants, stehende Töne und zischelnde Hihats rühren die geisterhafte Atmosphäre zu etwas sehr Eigenständigem an.

Musik mit Technologie zum Sprechen bringen

„Meine Musik bringe ich durch die Technologie zwar zum Sprechen, aber es geht mir nicht darum, auf Geräte als Fetische abzuheben. Ich kreiere Sound mit der digitalen Klangsphäre der Musiksoftware Ableton und abstrahiere damit nichtquantisierten Touchpad-Audio-Input von meinem iPad. Alle Tracks wurden mehrfach aufgenommen und bei Auftritten im Livekontext weiterentwickelt. Durch das Zwischenspeichern hat sich allmählich eine unheimliche Latenz im Beatdesign ergeben.“

Besonders drastisch und verzerrt klingt die Klangästhetik beim Körperfresser-Track „Dr. Rock’s PowerNomics Vision“. Aus ihm wehen Stimmfetzen von scheinbar fernen Galaxien herüber, Drucklufthupen-Stabs werden durch 1.000 Echokammern gejagt und wirblige Drums sorgen quer zum melodiösen Geschehen für maximale Unruhe. Und trotzdem klingt „Techxodus“ nie zu schwer oder zu ausgedacht. Die Musik mag in erhöhter Alarmbereitschaft sein, DeForrest Brown Jr. klingt trotzdem gechillt. „Musik interessiert mich, wenn sie jenseits von stereotypen Genrebegriffen existiert.“

Speaker Music veranschaulich mit „Techxodus“ und seiner vitalen Ernsthaftigkeit den Titel zum Gemälde „Arbeitskräfte der Zukunft bedienen Geräte einer neuen Realität“. Keine geringe Leistung.

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