Ukraine-Exporte über das Schwarze Meer: Der Seeweg ist wieder offen

Militärische Erfolge ermöglichen der Ukraine deutlich mehr Exporte über das Schwarze Meer. Dabei geht es auch um Getreidelieferungen.

Ein Frachtschiff fährt auf dem Meer

Getreide in Sicht: Die ukrainische Küstenwache kontrolliert die Zufahrt zum Schwarzmeerhafen Odessa Foto: Thomas Peter/reuters

ODESSA/KYJIW taz | Im Winterdunst ist zwar nicht viel zu sehen von der Bucht von Odessa, aber dass Passanten überhaupt wieder zu Fuß an das obere Ende der großen Treppe über dem Hafen dürfen, ist durchaus symbolisch: Der Weg übers Meer ist wieder offen. Weiter geht es an der Treppe jedoch nicht. Eine Polizistin wacht über das Flatterband. Ein Schild weist an, dass fotografieren verboten ist.

Der ukrainische Getreideexport über das Schwarze Meer hat im Januar 2024 wieder Vorkriegsniveau erreicht. Und auch im Februar wurden insgesamt „über 8 Millionen Tonnen verschiedener Produkte exportiert, davon mehr als 5 Millionen Tonnen Agrargüter“, sagte Denis Marchuk, stellvertretender Vorsitzender des ukrainischen Agrarverbands, Anfang März in Kyjiw.

Dies sei eine der stärksten Exportleistungen seit Beginn der russischen Invasion. „Wir beobachten einen erheblichen Aufschwung der Geschäftstätigkeit, der auf das Vertrauen und die Sicherheit zurückzuführen ist, die die Streitkräfte der Ukraine im Schwarzen Meer vermittelt haben.“

Inzwischen verschiffe die Ukraine wieder 80 Prozent ihrer Agrargüter über das Schwarze Meer. Rund 10 Prozent würden über die Donauhäfen abgewickelt. Nur noch etwa 3 bis 5 Prozent dieser Produkte würden über Polen transportiert. Das entspreche einer Menge von etwa 300.000 bis 350.000 Tonnen pro Monat. An den polnischen Grenzübergängen zur Ukraine gibt es seit Monaten Proteste polnischer Bauern gegen eine angebliche Überflutung des Marktes mit billigerem ukrainischem Getreide.

Russische Schwarzmeerflotte hat teils die Kontrolle verloren

Verglichen mit der Situation von 2022, als die Ausfuhr aus den ukrainischen Schwarzmeerhäfen praktisch blockiert war, ist das ein riesiger Unterschied. Seinerzeit war die Nahrungsmittelsicherheit von Hunderten Millionen Menschen direkt bedroht. Die Preise stiegen. Eine Zwischenlösung bot der unter türkischer Vermittlung vereinbarte Getreidedeal: Russland erlaubte eine begrenzte Zahl von Schiffen auf festgelegten Routen. Die Türkei sollte mit Inspektionen garantieren, dass nichts Kriegswichtiges transportiert wird. Doch im Juli 2023 kündigte der Kreml einseitig den Deal und drohte damit, alle Schiffe zu versenken, die ukrainische Häfen anlaufen.

Premierminister Denys Shmyhal:

„660 Schiffe haben 20 Millionen Tonnen Fracht transportiert“

Die russische Schwarzmeerflotte hat jedoch die Kontrolle über den westlichen Teil des Schwarzen Meeres verloren und gerät auch im zentralen Teil immer mehr unter Druck. Und das gegen einen Kriegsgegner, der praktisch keine Marine besitzt.

Verluste häufen sich. Schon zum Jahreswechsel waren nach ukrainischen Angaben rund 20 Prozent der russischen Schiffe außer Gefecht gesetzt. Seitdem sind weitere gesunken. Nun soll laut einem Bericht der kremlnahen Zeitung Iswjestija wohl der russische Marinechef Nikolai Jewmenow seinen Posten verlieren. Kremlsprecher Dmitri Peskow wollte das nicht kommentieren. Es gebe geheime Dekrete, sagte er.

Am 5. März versenkte die Ukraine die Korvette „Sergei Kotow“ vor Feodossija auf der Krim. Mitte Februar hatte es das Landungsschiff „Zesar Kunikow“ rund 17 Kilometer von Jalta entfernt erwischt. In beiden Fällen kamen wohl Überwasserdrohnen zum Einsatz. Auch in den Häfen sind die russischen Schiffe nicht sicher: So blieb vom Landungsschiff „Nowotscherkassk“ nicht viel übrig, nachdem es offenbar von einem Marschflugkörper im Hafen von Feodossija getroffen wurde. Videos von einer enormen Explosion deuteten darauf hin, dass das Schiff wohl Munition geladen hatte.

Die Exporte bringen dem Staat Steuern

Besonders schmerzhaft dürften auch die Angriffe auf Sewastopol gewesen sein: Dort wurden im Trockendock liegend das U-Boot „Rostow am Don“ und die „Minsk“ zerstört. Außerdem wurde das Hauptquartier der Flotte selbst getroffen. Anfang September hatte die Ukraine auch mehrere Gasförderplattformen im Schwarzen Meer südlich von Odessa wieder unter ihre Kontrolle gebracht, auf denen die Russen Radarsysteme installiert hatten.

In der ukrainischen Regierung ist man entsprechend positiv gestimmt. „Von Juli bis Januar haben mehr als 660 Schiffe den neuen Getreidekorridor bereits passiert und rund 20 Millionen Tonnen Fracht in 32 Länder der Welt transportiert“, so Premierminister Denys Shmyhal.

Im Januar beliefen sich die gesamten ukrainischen Exporte demnach auf einen Wert von 3,1 Milliarden Dollar, davon seien 1,9 Milliarden Dollar Exporte auf dem Seeweg gewesen. Das bringt dem Staat Steuern. „Für eine bessere Unterstützung des Militärs, für Drohnen und Munition, für innovative militärische Verteidigungsprodukte und vieles mehr“, so Shmyhal.

Auch in der Luft hat Russland Verluste

Auch die russische Luftwaffe erlebt derzeit schwierige Zeiten. Und das, obwohl die Ukraine noch keinen einzigen der versprochenen F16-Jets bekommen hat. Wie Präsident Selenskyj Anfang März in einer seiner Videobotschaften mitteilte, seien in der zweiten Februarhälfte allein 13 russische Flugzeuge abgeschossen worden.

Oft geschah das bei Einsätzen in Frontnähe, wo die russischen Streitkräfte ihre lokale Luftüberlegenheit für Bombenangriffe auf die Frontstellungen der Ukrainer nutzten. Das Kyjiwer Center for Defense Strategies geht davon aus, dass die russischen Piloten höhere Risiken eingehen mussten, weil Awdijiwka unbedingt eingenommen werden sollte.

Möglicherweise folgenreich dürfte für Russland auch der Verlust von inzwischen drei A50-Flugzeugen sein. Diese Maschinen sind das russische Äquivalent zu den amerikanischen Awacs und dienen der Luftraumüberwachung. Mit ihrem auf den Rumpf montierten Radarteller können die A50 Hunderte Kilometer weit sehen.

Das ist wichtig, um gegnerische Flugzeuge oder Raketen frühzeitig zu erkennen, aber auch, um die eigenen zu koordinieren. Die A50 sind nicht nur teuer, sondern auch selten, auch sind ihre Crews schwierig zu ersetzen. Beobachter gehen davon aus, dass die russische Luftwaffe nur eine niedrige zweistellige Anzahl besitzt und davon auch nicht alle einsatzfähig waren.

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