Umgang mit Geflüchteten: Toxische Prophezeiungen

Wenn eine neue Flüchtlingsunterkunft entsteht, dann möchten Anwohner, dass Familien mit Kindern einziehen. Statt dessen kommen junge Männer. Und nun?

Drei junge Männer holen sich im Kantinenbereich einer Notunterkunft jeweils einen Tee.

Zu alt, um niedlich zu sein: junge geflüchtete Männer in einer Notunterkunft in Offenburg Foto: dpa | Philipp von Ditfurth

Meine Freundin Christiane (die in Wirklichkeit anders heißt, aber ich habe bald nicht mehr viele Freunde, wenn ich die hier dauernd mit Klarnamen in meinen Kolumnen missbrauche) war schon vorfreudig in den Keller gestiefelt und hatte die alten Bobbycars und sonstigen Spielsachen entstaubt, als sie von der neuen Flüchtlingsunterkunft in der Nachbarschaft erfuhr. Sie war enttäuscht, als dort dann vor allem junge Männer einzogen.

Ich nehme an, dass sie mit dieser Enttäuschung nicht allein ist, jedenfalls höre ich das verdächtig oft in Orts- und Bezirksräten, wenn man über Gemeinschaftsunterkünfte redet: Da ziehen Familien ein, sagt man, um die Gemüter zu beruhigen.

Ich frage mich, woher man eigentlich all diese Familien nehmen möchte, wenn man gleichzeitig eine Migrationspolitik fährt, die den Weg hierher so schwierig und gefährlich macht, dass praktisch nur junge Männer durchkommen, während die Frauen, Kinder, Alten in den elenden Flüchtlingslagern der Anrainerstaaten zurück bleiben.

Irgendwie erinnert mich das ein bisschen an Tierdokumentationen: Da ist auch erst einmal das ganze Rudel in Aufruhr, wenn sich ein junges, ungebundenes Männchen blicken lässt.

Klar sind junge Männchen ein Problem – aber nicht nur

Und auch beim Menschen gibt es ja die eine oder andere Statistik, die darauf schließen lässt, dass die ihren Ruf als Unruhestifter möglicherweise nicht zu Unrecht haben: Unfälle, Ordnungswidrigkeiten, Verbrechen – überall liegen junge Männer weit vorn, ganz unabhängig von der Herkunftskultur.

Aber als Mutter zweier Söhne behagen mir solche plumpen Biologismen und all das Geschiele auf toxische Männlichkeit natürlich nicht sonderlich. Rein theoretisch wissen wir natürlich ja auch, was dagegen hilft: Soziale Einbindung, ein Ziel, ein Platz, eine Aufgabe.

Dann könnte das zum Tragen kommen, was Jungs (oder sagen wir mal männlich sozialisierte Personen) so hinreißend macht: die irre Energie und Kreativität, die sie mitbringen, oder die Nerdigkeit, mit der sie sich in Nischenthemen verbeißen und absurde Mengen an Detailwissen anhäufen können, zum Beispiel.

Oder im Fall vieler Geflüchteter: Der Mut, die Zielstrebigkeit, die Anpassungsfähigkeit und das Durchhaltevermögen, das sie bis hierher getragen hat. Aber wir sperren sie natürlich lieber auf einen Haufen, blockieren den Familiennachzug, verdammen sie zu Ungewissheit und Untätigkeit und warten dann darauf, dass es schief geht. Herrje.

Wer immer nur als Problem betrachtet wird, wird eines

Das erinnert fatal an die Art und Weise wie über Kinder mit Migrationsgeschichte an Schulen geredet wird: Die sind auch vor allem ein Problem, selten wird gesehen, was diese Kinder alles mitbringen und alles können.

Am Ende wird das Ganze dann zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wer immer nur als Problemfall betrachtet wird, der wird auch einer.

Aber vielleicht gibt es ja doch noch Hoffnung. Christiane ist jedenfalls am Ende grummelnd nochmal in den Keller gestiegen und hat die alten „Deutsch als Fremdsprache“-Bücher vorgekramt und abgestaubt. „Irgendwer muss ja“, meint sie achselzuckend.

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