Ungarische Autoren über Kulturbetrieb: „Staat kontrolliert Buchhandlungen“

Der ungarische Kulturbetrieb wird zentralisiert. Die Autoren Dénes Krusovszky und Ferenc Czinki über parallele Kulturministerien und gestrichene Fördermittel.

Zwei Männer in Mänteln stehen vor einer Betonwand

Die unga­rischen Schriftsteller Dénes Krusovszky und Ferenc Czinki in Berlin Foto: Wolfgang Borrs

wochentaz: Herr Czinki, Herr Krusovszky, dem unabhängigen Schriftstellerverband Ungarns, Szépírók Társasága, wurde die staatliche Förderung für 2024 gestrichen – als einziger Organisation dieser Art. Was war der Grund dafür?

Ferenc Czinki: Das ist schon das Problem, man muss uns keinen Grund nennen. Fast alle NGOs in Ungarn beantragen ihr Jahresbudget beim Nationalen Kulturfonds (Nemzeti Kulturális Alap, NKA), auch wir, seit über 25 Jahren. Das ist kein direkter staatlicher Fonds, er soll unabhängig sein – was er aber nicht ist, denn in Ungarn ist fast alles politisch beeinflusst. Der Kulturminister hat das Recht, Mitglieder in jeder Jury des Fonds einzusetzen. Als unser Jahresbudget komplett gestrichen wurde, war uns klar, dass politische Gründe dahinterstecken. Denn wir sind ganz offen gegen die Kulturpolitik der derzeitigen Regierung, gegen die Zentralisierung der ungarischen Kultur.

Dénes Krusovszky: In Ungarn gibt es von allem zwei Versionen und so eben auch zwei Schrift­stel­ler­ver­bände. Unseren, gegründet 1997, der die meisten Mitglieder hat, und den sogenannten traditionellen Verband, der in den 1950er Jahren gegründet wurde. Letzterer hatte immer gute Verbindungen zu Orbáns Regierung, die in diesem Jahr entschied, nur diesen Verband zu fördern, vorgeblich wegen geringerer zur Verfügung stehender Mittel.

Dénes Krusovszky und Ferenc Czinki wurden beide 1982 in Ungarn geboren. Krusovszky schreibt Lyrik und Prosa und arbeitet als Journalist für das unabhängige Magazin Magyar Narancs. Zuletzt erschien sein Erzählband „Das Land der Jungen“ (2024). Czinki ist Journalist, Schriftsteller und Präsident des unabhängigen Schriftstellerverbands Szépírók Társasága.

Von Ihrem ersten Jahr ohne Förderung sind nun drei Monate bereits herum. Wie werden Sie das Jahr überstehen?

Czinki: Es sieht so aus, als würden wir mithilfe von unabhängigen Spenden und EU-Projekten mindestens die nächsten ein bis anderthalb Jahre überleben. Das heißt aber nicht, dass wir keine Anträge mehr auf Fördermittel stellen werden, denn wir sind der Meinung, dass wir als größter Literaturverband das Recht haben, staatliche Förderung zu erhalten.

Glauben Sie, der nächste Antrag wird positiv beschieden?

Czinki: Nein.

Krusovszky: Zurzeit wird der gesamte Kulturbereich in Ungarn restrukturiert. Der Kulturminister hat beschlossen, das System der Kulturförderung noch mehr zu zentralisieren. Ein einziger Mann wird künftig für alle Ausgaben des Staates auf literarischem Gebiet verantwortlich sein: Szilárd Demeter. Er war früher der Redenschreiber von Orbán und ist heute der berüchtigte Präsident des Literaturmuseums. Demeter ist absolut regierungstreu. Er hat mehr als einmal die oppositionellen Schriftsteller als „Müll“ bezeichnet. Man kann also in Zukunft keine Unterstützung von seiner Seite erwarten.

Czinki: Vielleicht ist es aus dem Ausland nicht so einfach zu verstehen, warum das Literaturmuseum so wichtig ist. Es ist nämlich nicht nur ein Museum. Es umfasst eine riesige Struktur aus verschiedenen Institutionen, Stiftungen, es unterstützt die Übersetzung ungarischer Literatur in andere Sprachen und vieles mehr. Die Regierung gibt dieser Institution und damit auch Szilárd Demeter jedes Jahr mehr Macht. So wird das Museum langsam zu einer Art Kulturministerium außerhalb des eigentlichen Kulturministeriums.

Krusovszky: Szilárd Demeter ist seit Kurzem auch Leiter des Nationalmuseums und der neuen Stiftung für ungarische Kultur. Im Falle eines Regierungswechsel würden diese Stiftungen so bestehen bleiben, weil sie nicht Teil des staatlichen Systems sind. Dort würden weiterhin dieselben Leute arbeiten, die von der Partei Fidesz eingesetzt wurden. Und so ist es auch mit den Universitäten. Vor ein paar Jahren wurden Stiftungen für alle staatlichen Universitäten gegründet. Und jetzt kontrollieren und verwalten diese Stiftungen die Universitäten, die früher dem Staat angehörten.

Wie sieht es mit der kommerziellen literarischen Infrastruktur aus? Libri, der größte ungarische Verlag, wurde vor einem Jahr von der konservativen Stiftung Mathias Corvinus Collegium (MCC) übernommen.

Krusovszky: Bevor Libri gekauft wurde, konnte man den ungarischen Buchmarkt als unabhängig bezeichnen. Es gibt zwei große Verlagsgruppen in Ungarn. Die eine ist immer noch unabhängig, sie ist ein Familienunternehmen. Und die andere ist Libri, die jetzt zu 100 Prozent dem Staat gehört.

Czinki: Libri ist nicht nur ein Verlagshaus, sondern auch eine Buchladenkette. Der Staat kontrolliert jetzt also die meisten Buchhandlungen in Ungarn. Ich glaube nicht, dass die Regierung versuchen wird, den Verlagen vorzuschreiben, was sie veröffentlichen sollen und was nicht, aber sie kann kontrollieren, welche Bücher in die Regale und Schaufenster der Buchhandlungen kommen.

Lassen Sie uns über Zensur sprechen. Sind queere Themen die einzigen, die Zensur unterliegen?

Krusovszky: Bei uns gibt es keine Zensur. Ich veröffentliche meine Bücher in dem unabhängigen Verlag, ich kann schreiben, was ich will. Libri kann jedoch entscheiden, ob sie meine Bücher verkaufen oder nicht. Ich habe zwar das Gefühl, dass sie bei kritischen Autoren etwas vorsichtiger geworden sind, aber das ist noch keine Zensur. Von Zensur würde ich allerdings bei queeren Themen sprechen, also bei dem, was die Regierung als „homosexuelle Propaganda“ bezeichnet, die jetzt verboten ist oder zumindest verhüllt werden muss.

Die Bücher müssen in Plastik eingewickelt verkauft werden, sodass man in der Buchhandlung nicht hineinschauen kann.

Krusovszky: Es gibt jetzt eine staatliche Institution, die die Buchläden kontrolliert. Sie schicken Agenten aus, die versuchen, ein Buch mit homosexueller Thematik zu kaufen. Wenn es nicht verhüllt ist, zeigen sie ihre Ausweise und die Buchhandlung wird mit einer Geldstrafe belegt. Letzten Monat wurde jedoch eine Strafe für ein Buch verhängt, das nichts mit Homosexualität zu tun hat. Der Titel lautet übersetzt „Ich masturbiere, während ich stehe“. Ein humorvoller Titel.

Im ungarischen Kinderschutzgesetz, das wir bloß das homophobe Gesetz nennen, gibt es eine Passage, die untersagt, „für selbstbezogene Sexualität zu werben“. Dabei geht es nicht einmal mehr um queere Themen! Das Gesetz selbst ist absichtlich unscharf formuliert, sodass die Buchhändler fast gezwungen sind, sich selbst zu zensieren.

Sie sind beide gerade für einen Kongress in Berlin. Wie beeinflusst die aktuelle ungarische Kulturpolitik den kulturellen Austausch mit dem Ausland?

Krusovszky: Die meisten ungarischen Kultureinrichtungen im Ausland sind regierungsnah, die in New York zum Beispiel, in London auch. Die Direktorin der ungarischen Kultureinrichtung in Berlin hingegen nicht. Sie ist eine sehr offene Person und lädt kritische Künstler ein. Aber es ist manchmal schwer einzuschätzen. Wenn man Sie in eine ungarische Institution im Ausland einlädt und Sie bittet, zu einer Lesung zu kommen, dann müssen Sie Nachforschungen anstellen. Gab es in den letzten Jahren Probleme mit Freidenkern? Wer waren die früheren Träger des Preises, den ich erhalten soll?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Czinki: Das ist der Grund, warum die ungarische unabhängige Künstlerszene gespalten ist. Es gibt jene Künstler, die sehr streng sind und sich Institutionen, die dem Druck von Orbán nachgeben, kategorisch verweigern. Aber es gibt auch andere Künstler, die sagen, dass sie keine Zeit haben, sich die ganze Zeit mit diesen Untersuchungen zu beschäftigen. Es wird interessant sein, wie die junge ungarische Literaturszene damit umgehen wird. Unsere Generation hat ihre Karriere vor Orbán begonnen. Aber diese junge Generation wächst jetzt in diesem System auf, und das ist das Einzige, was sie kennt.

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