Uni Kiel erforscht Steinzeit-Handel: Seit Urzeiten gut vernetzt

Globalisierung ist nicht neu. Die Uni Kiel wies nach, dass man in der Jungsteinzeit Kupferartefakte aus halb Europa nach Norddeutschland brachte.

Kupferringe und Feilen aus der Jungsteinzeit

Kupferne Beile, Dolche und Spiralen, gefunden in Mecklenburg-Vorpommern Foto: A. Heitmann/H.Skorna, Uni Kiel

KIEL taz | Es gibt Dinge, die würde jeder sofort unterschreiben. Zum Beispiel: Auf die Steinzeit folgt die Bronzezeit. Klar getrennte Phasen suggeriert das. Das eine endet, das andere beginnt. Schön einfach, das Ganze. Aber mit der Einfachheit ist das so eine Sache: Meist ist sie nur eine Vereinfachung. Das ist auch beim Wechsel vom Stein zur Bronze so. Denn schon gegen Ende der Steinzeit, die noch dazu je nach Region unterschiedlich lange dauerte, wurde Metall gewonnen und verwendet: Kupfer.

„Der Übergang war fließend“, sagt Jan Piet Brozio, Ur- und Frühgeschichtler am Sonderforschungsbereich 1266 „TransformationsDimensionen – Mensch-Umwelt Wechselwirkungen in Prähistorischen und Archaischen Gesellschaften“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). „Und er umfasst eine lange Zeitspanne. Das scharf zu trennen ist nicht möglich.“

Das Problem der Kupferzeit, als Zwischenphase: Sie ist nicht so namhaft wie die Zeit der Bronze, der Legierung aus Kupfer und Zinn. Ein wenig verwundert das, denn Ötzi, den Mann vom Tisenjoch, 1991 gefunden als Gletschermumie in den Ötztaler Alpen in Südtirol, kennt jeder. Vor 5.300 Jahren durch einen Pfeilschuss ermordet, war er ein Mensch der Kupferzeit – und trug ein Kupferbeil bei sich.

Auch im Norden Deutschlands und im Süden Skandinaviens war seit dem Neolithikum, seit der Jungsteinzeit, Kupfer im Gebrauch. Es wurde importiert, denn eigene Kupferminen gab es hier nicht. Und hier kommt Brozio ins Spiel. Mit seinem CAU-Team hat er nachgewiesen: Das in der Jungsteinzeit und frühen Bronzezeit importierte Kupfer hat von den Abbaugebieten bis zu den Endkunden weite Handelswege zurückgelegt, durch halb Europa.

Steinzeitliche Kupferobjekte akribisch untersucht

Forschende von „TransformationsDimensionen“ haben dazu Mitte Mai 2023 in der internationalen, multidisziplinären US-Fachzeitschrift PLOS ONE eine Studie veröffentlicht: „The origin of Neolithic copper on the central Northern European plain and in Southern Scandinavia: Connectivities on a European scale“. Jan Piet Brozio hat die Studie geleitet.

45 neolithische Kupferartefakte hat Brozios Team einer Bleiisotopenanalyse unterzogen, zumeist Flachbeile, aber auch Meißel und kleine Spiralen. „Die Methode zur Interpretation der analysierten Daten beruht auf dem Vergleich der Geochemie und der Bleiisotopenverhältnisse archäologischer Artefakte mit den analytischen Daten von Mineralien aus Kupfererzlagerstätten“, erklärt Brozio. Es war die bisher umfangreichste Beprobung jungsteinzeitlicher Kupferobjekte aus Dänemark, Südschweden und der nordeuropäischen Tiefebene.

Dass Kupferartefakte nach Nordeuropa und Südskandinavien importiert wurden, ist nichts Neues. Jetzt aber ist präzisiert, woher das Rohmaterial stammt – und dass der Handel weitgreifender war als bisher bekannt. Das Kupfer, gehandelt von ca. 4.100 bis 1.700 v. Chr., kam anfangs aus Serbien und Bulgarien, später auch aus der Slowakei und den österreichischen und italienischen Alpen, am Ende nicht zuletzt aus Wales. Die Annahme, vieles stamme aus den Alpen, ist hiermit widerlegt.

„Es wurden keine Barren transportiert, sondern Fertigprodukte“, sagt Brozio. „Und bis heute ist manches an diesem Handel rätselhaft. Etwa, was dafür als Gegenwert diente. Das wissen wir einfach nicht. Oder ob die Objekte im Zuge langer Reisen Einzelner transportiert wurden oder kleinräumig von Hand zu Hand gingen.“ Trotz dieser offenen Fragen füllt die Studie „eine Lücke“, ist Brozio überzeugt. Sie helfe, „einen blinden Fleck auf der Landkarte zu schließen“.

Rituelle Landschaft

An den archäologischen Artefakten, mit ihrer grünlichen, bläulichen oder bräunlichen Patina eher unscheinbar, lässt sich viel ablesen. „Interessant ist etwa, dass sie fast ausschließlich Depotfunde sind, oft in Mooren abgelegt, abseits der Siedlungen und Begräbnisorte“, sagt Brozio.

Sakrale, kultische Gründe liegen dafür nahe: „Die Landschaft wird dadurch zur rituellen Landschaft“, sagt Brozio. „Zugleich konnte man seinen Status unter Beweis stellen, indem man zeigte, dass man es sich ökonomisch leisten konnte, auf ein solches Kupferobjekt zu verzichten, einen ja sehr wertvollen Gegenstand.“

Für Brozio enthält seine Studie auch eine politische Botschaft. Netzwerke über Tausende von Kilometern hinweg? „Das führt auch vor Augen: Migration hat es schon immer gegeben, die Menschheitsgeschichte besteht daraus, und ein solcher Austausch kann zu Fortschritt führen.“ Für Brozio zeigt sich darin, wie bereichernd die „Vielfalt menschlichen Zusammenlebens“ ist.

Und die war schon vor Tausenden von Jahren ziemlich ausgeprägt: „Viele denken ja, die Menschen der Steinzeit haben einfach nur zu Hause gesessen, in ihrer kleinen Siedlung, ohne viel Kontakt zur Außenwelt“, sagt Brozio. „Aber so war es nicht! Man hatte intensiven Kontakt mit anderen, auch über weite Strecken.“

Uralte Zögerlichkeit des Nordens

Auch die damalige Zögerlichkeit der nordischen Regionen, sich dem Kupfer als neuem Rohstoff zu öffnen, die Kupfermetallurgie gesellschaftsverändernden Alltagseinfluss gewinnen zu lassen, eine materielle Transformation zu vollziehen, lässt sich auf die Jetztzeit übertragen.

„Man kann das Neue integrieren, aber man muss dies nicht tun. Das ist ja immer eine Wahl, eine Entscheidung. Unsere heutige Debatte, wie wir zur Entwicklung Künstlicher Intelligenz stehen, ist ein Beispiel dafür.“ Aber allein durch die Kommunikation mit Menschen anderer Regionen war der Kupferhandel für die nordischen Neolithiker von Vorteil.

Die Universität Kiel hat Brozios Studie zum Anlass genommen, die Frage zu stellen: „Begann die Globalisierung bereits in der Jungsteinzeit?“ Streng genommen: Ein nur innereuropäischer Handel ist kein globaler. Aber eines der Zauberworte unserer Zeit ins Feld zu führen kann zu mehr Aufmerksamkeit führen. Und mehr Aufmerksamkeit für Erkenntnisse der Wissenschaft tut in unseren Tagen zunehmender Wissenschaftsskepsis gut. Da ist ein kleine rhetorische Übertreibung erlaubt.

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