Union Berlin verliert gegen Wolfsburg: New Kids unter Druck

Union Berlin verliert in der Männer-Bundesliga zum zweiten Mal in Folge. Trotz eisernem Ballflachhaltens sind die Ansprüche gestiegen.

Wolfsburger Patrick Wimmer zieht am Trikot von Unioner Diogo Leite

Hart gearbeitet wurde auf beiden Seiten: Diogo Leite gegen Patrick Wimmer Foto: Annegret Hilse/rtr

WOLFSBURG taz | In dieser Woche kann der Bundesliga-Mittelmaßclub VfL Wolfsburg schön im Fernsehen zuschauen, wenn die Großen in der Champions League antreten. Etwa Union Berlin bei Real Madrid. Deshalb muss man den 2:1-Sieg der Wolfsburger über den Köpenicker Selfmade-Club nicht gleich unter „Klein schlägt Groß“ einsortieren, aber eben auch nicht als erwartbar. Und völlig normal ist mittlerweile eine Niederlage des Hamburger SV in der Zweiten Liga. Das ist die reale Gegenwart des deutschen Fußballs, auch wenn die Norma­litätsgefühle vieler Leute noch stark in der Vergangenheit verankert sind, aber das gilt ja nicht nur für das Lieblingsspiel der Deutschen.

Die Klischeenarrative gehen ja so, dass bei Union „hart und ehrlich gearbeitet“ wird und „mit Herzblut“, während bei der VW-Tochter VfL die Identifikation hauptsächlich über das Gehalt funktioniert. Letzteres stimmt vermutlich manchmal, aber nicht generell, und Ersteres ist auch eine verkürzte Analyse. Jedenfalls wurde am Samstag auf beiden Seiten sehr hart gearbeitet und sicher jeweils auch für ordentliches Geld. Der Sieg des VfL, sagte Trainer Niko Kovac in erstaunlicher Offenheit, sei „sicherlich nicht verdient“, aber irgendwie war er es doch, weil sein Team am Ende beim Arbeiten einen Fehler weniger machte als Union.

Winds 1:0 (12.) entsprang einem ungewöhnlichen Abspielfehler von Unions Stürmer Behrens, bei Maehles 2:1 (30.) faustete ihm Keeper Rönnow eine Ecke direkt in den Fuß. Den zwischenzeitlichen Ausgleich hatte Unions Neuzugang Robin Gosens ohne nennenswerte Gegenwehr der Wolfsburger köpfen dürfen (28.). In der zweiten Hälfte wurde speziell vom VfL fast nur noch malocht, was das Wolfsburger Publikum aber durch den ansprechenden Spielstand zu ungewöhnlichen Beifallsstürmen hinriss. Am Ende war der grüne Block sogar lauter als der lange Zeit stimmlich dominierende rote, das war nun wirklich eine Sensation.

Wenn man nun wie der VfL in eine Bundesligasaison mit drei Siegen aus vier Spielen startet, dann träumen die Leute gern, dass nach einer tabellarisch und ästhetisch mauen Vorsaison diesmal vielleicht mal wieder was gehen könnte. Könnte es, aber Indizien dafür kann man noch nicht vorlegen, mal abgesehen davon, dass Mittelstürmer Jonas Wind mit bereits fünf Toren sogar eines mehr erzielt hat als Harry Kane. Mit dem für angeblich 25 Millionen Euro aus Rennes geholten ­Lovro Majer könnte man womöglich endlich einen adäquaten Ersatz für den früheren Mittelfelddominator Xaver Schlager gefunden haben. Ein, zwei, drei weitere Akteure mit Potenzial könnten richtig gut werden. Genaues weiß man eben leider oder Gott sei Dank in dieser Phase nicht, weshalb die Fantasien blühen dürfen.

Spiel mit Ball weiterentwickeln

Ähnlich unklar ist die nähere Zukunft von Union Berlin, wo Trainer Urs Fischer hofft, einen qualitativ erweiterten Kader zusammenzuhaben, der die Zusatzbelastung der Champions League verkraften kann und gleichzeitig in der Liga den kontinuierlichen Aufstieg der vier Bundesligajahre seit 2019 (Platzierungen 11, 7, 5, 4) stabilisiert. Fischers Kern ist und bleibt das Verteidigen und Laufen, aber er will für einen nachhaltigen Qualitätssprung schon auch das Spiel mit Ball weiterentwickeln, was in Wolfsburg deutlich zu sehen war, wenn auch noch nicht erfolgreich. „Das wirst du in Madrid brauchen“, sagte Fischer. „Da wird es Phasen geben, die müssen wir überstehen, indem wir uns bei Ballgewinn spielerisch aus dem Druck lösen.“

Selbstverständlich hält man bei Union – anders als auf dem Spielfeld – den Ball außerhalb eisern flach, aber für große Sprüche gab es in Berlin ja nie eine Marktlücke, sondern Hertha BSC. Die Verpflichtung von Nationalspieler Robin Gosens steht indes schon stellvertretend und am sichtbarsten dafür, dass Union klar ist, dass man das Underdog-Spiel nur noch begrenzt spielen kann. Gosens Treffer in Wolfsburg war bereits sein dritter. „Letzten Endes hat er nichts gebracht“, brummte er zwar, aber auch wenn er nicht fürs Toreschießen geholt wurde, ist das schon eine echte Duftmarke.

Nun hat Union zweimal in Folge verloren. Zweimal in Folge! Dass das erwähnenswert ist, zeigt auch, wie die Ansprüche steigen und die Normalitätsvorstellungen sich eben doch verschieben. Deshalb darf man nicht denken, dieses New Kid in Town könnte am Mittwoch bei der Champions-League-Premiere im Bernabeu „befreit“ aufspielen und das bis vor Kurzem noch fantastische Ereignis einfach genießen. Sie stehen jetzt unter Druck wie ein normaler Champions-Ligist. Und genau das markiert den Fortschritt.

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