Unwetter in Norddeutschland: Flut im Osten, Ebbe im Westen

In Schleswig-Holstein gibt es extreme Wasserstände an der ganzen Küste. An der Ostsee droht eine Sturmflut, an der Nordsee ist Ebbe.

Feuerwehrleute tragen einen Strandkorb aus dem Wassser

So hoch steht das Wasser sonst selten: Feuerwehrleute retten einen Strandkorb vor der Ostsee Foto: Axel Heimken/dpa

RENDSBURG taz | In Flensburg hat die Ostsee mehrere Straßen überspült, in Kappeln und Schleswig ist der Ostseefjord Schlei über die Ufer gestiegen, Straßen stehen unter Wasser. In Kiel sind Straßen und Strände gesperrt, in Eckernförde wird davor gewarnt, das Hafengebiet und die Steilküsten zu betreten. In Lübeck überschwemmt die Obertrave die Innenstadt. An der gesamten Ostseeküste herrscht eine schwere Sturmflut mit Wasserständen, wie sie teils seit über einem Jahrhundert nicht gemessen wurden.

Das stürmische Wetter mit Orkanböen wird sich nach Vorhersage des Deutschen Wetterdienstes erst am Sonntag abschwächen. Die amtliche Unwetterwarnung gilt bis Samstag in den frühen Morgenstunden. Örtlich können Keller volllaufen, Straßen überspült werden und Gegenstände herumfliegen. Viele Gemeinde haben Sperrzonen eingerichtet.

Eine Sturmflut gilt als „schwer“, wenn die Wasserstände über 1,5 Meter über dem Durchschnittshochwasser liegen. Erwartet werden, etwa in Lübeck und in Flensburg, zwei Meter. Das wäre für die Stadt an der Förde der höchste Stand seit 1904.

Der Sturm tobt auch über der Westküste Schleswig-Holstein und Niedersachsens – hier allerdings verbunden mit extremem Niedrigwasser: Denn der Ostwind, der die Flut an der anderen Landesseite steigen lässt, treibt die Nordsee von der Küste weg. Teilweise fallen daher Fähren aus, etwa nach Norderney und Wangerooge. Die „Adler“-Fährlinie stellt wegen des Niedrigwassers mit Pegelständen von zwei Metern unter dem Normalwert den gesamten Beitrieb zu den nordfriesischen Halligen und Inseln bis einschließlich Samstag ein: „Windstärke, Windrichtung und Wasserstand lassen Fahrten für unserer Schiffe an der nordfriesischen Küste erst wieder ab Sonntag morgen zu“, heißt es auf der Homepage. Auch die Wyker Dampfschiffs-Reederei meldete am Donnerstag Verschiebungen und Ausfälle der Verbindungen von und nach Amrum und Föhr.

Lang anhaltende Wetterlagen werden häufiger

Schuld am Extremwetter sind Phänomene in höheren Lagen der Atmosphäre: Sturmtiefs namens „Wolfgang“ und „Viktor“ kommen aus Süden heran und treffen auf das Skandinavienhoch „Wibke“. Der Temperaturunterschied zwischen beiden ist beträchtlich. Der Süd-Sturm bringe Regen und fönartige Temperaturen bis 23 Grad, das Hoch im Norden sorgt für Winde mit nur sechs bis neun Grad, berichtet das Portal „Wetter.de“. Zwischen beiden entsteht eine starke südöstliche bis östliche Strömung, die den Wind noch verstärkt. Der Deutsche Wetterdienst prognostiziert, dass sich das Hoch am Sonntag allmählich abschwächt und nach Osten wandert. Das Tiefdruckgebiet verlagere sich und ziehe zu Wochenbeginn unter Abschwächung über die Nordsee nordwärts. Zur selben Zeit entwickelt sich über dem Nordatlantik ein Sturmtief, das zur Wochenmitte in Richtung Island zieht.

Auch wenn es sich um einzelne und zufällige Wetterphänomene handelt, sehen For­sche­r*in­nen hinter solchen extremen Lagen dennoch den Einfluss des Klimawandels. So hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Jahr 2021 eine Studie veröffentlicht, die sich mit der Dauer von Wetterlagen befasst. „Allein in Europa sind bereits rund 70 Prozent der Landfläche von länger an einer Stelle verharrenden Wetterlagen betroffen“, sagt Peter Hoffmann, Erstautor der Studie. Es lasse sich nachweisen, dass solche lang anhaltenden Wetterlagen – wie eben ein Hoch- oder ein Tiefdruckgebiet, das viele Tage stabil bleibt und damit für Wind aus einer Richtung sorgt – über dem Nordatlantik, Europa und Sibirien immer ähnlicher werden. „Sie begünstigen letztlich extreme Wetterereignisse“, so der Forscher.

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