Videoüberwachung auf Weihnachtsmärkten: Wer muss sich den Mist ansehen?

In Hannover wird der Weihnachtsmarkt videoüberwacht. Das finden Bürgerrechtsaktivisten unverhältnismäßig.

Links im Vordergrund eine Überwachungskamera, die an ein Pfeiler hängt. Im Hintergrund ein Tannenbaum mit gelb leuchtender Lichterkette.

Videoüberwachung eines Weihnachtsmarktes – hier 2016 in Frankfurt am Main Foto: Arne Dedert/dpa

Seit Jahr und Tag führen die tapferen Kämpfer von freiheitsfoo einen einsamen Kampf gegen die Videoüberwachung im hannöverschen Straßenraum. Diese Woche muss mal wieder das Verwaltungsgericht eine Eilentscheidung treffen: Die Bürgerrechtsaktivisten finden die mobilen Kameras, die die Polizei rund um den Weihnachtsmarkt postiert hat, unzureichend beschildert und unverhältnismäßig – immerhin scheint es so, als hätte man damit in den vergangenen Jahren nicht mehr erwischt als ein paar Taschendiebe und Rangeleien.

Spannend wird jetzt, zu gucken, wer schneller ist: Das Verwaltungsgericht mit der Entscheidung im Eilantragsverfahren oder die Budenbetreiber beim Abbau. Der Weihnachtsmarkt geht nämlich nur noch bis Donnerstag.

Vom konkreten Anlass abgesehen ist der Kampf gegen die Videoüberwachung aber wohl eher einer dieser Sisyphos-Jobs für die Ewigkeit oder alle Jahre wieder. Egal wie viele Studien noch belegen, dass Kameras gar keine Kriminalität bekämpfen– zum Beispiel, weil Affekttaten einfach trotzdem passieren und „rationale“ Täter schlicht ausweichen: Sie bleiben das Lieblings-Placebo eines jeden Innenpolitikers. Unheilbar ist das Wunschdenken, dass es für alles doch eine möglichst einfache technische Lösung geben müsste. Und nichts verkündet so schön „Sieh her, ich unternehme ja was“ wie die Kamera auf irgendeinem Dach.

Angst im Land der XY-Gucker

Man könnte hier ja einmal versuchen, das Lieblingsargument der Polizei gegen Rassismus-Studien anzubringen: Generalverdacht gegen jeden Weihnachtsmarktbesucher! Unverschämtheit! Aber das zieht natürlich nicht. Weihnachtsmarktbesucher sind offenbar Leute, die am Anfang noch gar nicht wissen, dass sie nachher etwas zu verbergen haben werden. Und im Zweifel ist den meisten vielleicht auch informationelle Selbstbestimmung zu abstrakt und Privatsphäre nicht so viel wert. Jedenfalls, wenn man das gegen die Angst abwägt, zum Opfer einer Straftat zu werden. Und die ist in Deutschland, dem Land der Tatort- und Aktenzeichen-XY-Gucker, nun einmal groß. Das Ansehen der wackeren Kommissare auch.

Vielleicht sollten die Überwachungsbekämpfer die Strategie wechseln und versuchen, das Pferd andersrum aufzuzäumen. Kann man dem nicht arbeitsrechtlich beikommen? Welches arme Schwein muss sich den Mist denn ansehen? Das unbeholfene Paarungsverhalten, die zankenden Familien, die besoffenen Männer, die an Holzbuden pinkeln. Das ist ja wie Dschungelcamp, in noch schlechterer Bildqualität und ohne lustige Kommentare. Verstößt das denn gar nicht gegen irgendwas? Die deutsche Berufsbeamtenwürde? Und was ist mit der Verschwendung von Arbeitszeit, machen die nicht genug Überstunden? Wo sind diese Personalräte, Polizeigewerkschaften oder Steuerzahlervertreter, wenn man sie mal braucht?

Nach Auskunft von Freiheitsfoo machte die Polizeidirektion jedenfalls widersprüchliche Angaben dazu, ob diese Videoaufnahmen ständig live überwacht oder bloß anlassbezogen betrachtet werden. Das ist doch verdächtig. Die verbergen doch was. Am Ende guckt dieses Dschungelcamp gar keiner. Oder es nützt einfach nichts. Sonst hätte es doch längst eine Pressekonferenz zur Verkündung der grandiosen Erfolge gegeben.

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