Virtuelle In­flu­en­ce­r:in­nen: Simulacrum und Simulation

Künstliche Intelligenz tut so, als wäre sie ein echter Mensch, echte Menschen tun so, als wären sie computergeneriert. Wie soll man da noch nachkommen?

Frau vor rotem Hintergrund

Willkommen in der Wüste des Realen: die computeranimierte Influencerin Lil Miquela Foto: instagram.com/lilmiquela

Ein leerer Blick. Starr gerade ausgerichtet. Abgehackte Bewegungen. Manchmal laufen sie gegen Wände oder lassen Gegenstände fallen. Dieser kuriose Trend, bei dem sich echte Menschen wie Roboter verhalten, explodiert gerade auf Tiktok. Die Streamer reagieren auf Sticker, die ihnen von Zuschauenden live zugesandt werden. Mit jedem Aufkleber verdienen sie Geld und geben dabei seltsame Laute von sich. Die Videos wirken wie ein Glitch, eine Störung in einem Computerspiel, sind aber so gewollt. Echte Menschen tun so, als wären sie computergeniert.

Gerade eben gab es das nur andersrum. Sommersprossen, Zahnlücke, markantes Pony. Lil Miquela ist schlank und schön – die perfekte Influencerin eben. Wie ihre Kol­le­g:in­nen teilt sie Fotos von Fashion-Shows und aus dem Urlaub. Ich klicke auf ihr Profil. Es gibt sie noch. Gerade hält sie sich in Barcelona auf. Posiert vor bunten Häuserfassaden und futtert sich durch die Stände eines Street-Food-Markts. Zack, ein neues Foto: „An jeder Ecke gibt’s hier Süßes.“ In den Kommentaren unter dem Bild heißt es: „Liebe dein Leben, babe“ und „OMG, du bist in Barcelona?“

Andere Kommentare spotten: „Ihr wisst schon, dass sie nicht wirklich dort ist“ oder „Danke, KI“.

Lil Miquela ist tatsächlich nicht real. Sie ist eine virtuelle Influencerin, die vom einem Designstudio in LA mit dem Namen Brud erschaffen wurde. Zwei Jahre lang ließ Brud Social-Media-Nutzer:innen im Dunkeln tappen, bis sie das Geheimnis um ihre Kunstfigur lüfteten. Mit den Worten „19-year-old Robot living in LA“ wird nun in der Bio darauf hingewiesen, dass Lil Miquela eine CGI-Influencerin ist.

Künstliche Intelligenz führt uns ins unheimliche Tal

Seit dem Launch vor sieben Jahren hat Lil Miquela 2,7 Millionen Follower gesammelt. Sie ist Gesicht von großen Modelabels wie Prada und UGG und sorgte bereits für Furore. Beispielsweise als sie in einer Werbekampagne von Calvin Klein das (größtenteils) echte Supermodel Bella Hadid küsste. Alles in bester Influencer-Manier natürlich. Vielleicht spielt es keine Rolle, ob eine Influencerin real existiert oder ein Computerprogramm ist. Echte In­flu­en­ce­r:in­nen inszenieren sich genauso. Vielleicht ist es sogar leichter, den absurden Grad an Perfektionismus mit dem In­flu­en­ce­r:in­nen auf Instagram ihren angeblichen Alltag kuratieren, zu akzeptieren, wenn man weiß, dass kein realer Mensch dahintersteckt?

Bereits vor einigen Jahren priesen einschlägige Agenturen die virtuellen Influencer:innen: Sie werden nie krank, kriegen keine Kinder, stellen keine Forderungen und sind Tag und Nacht einsatzbereit. Eine echte Goldgrube für Unternehmen. Und der Untergang für das menschliche Influencer-Dasein.

Jedoch kam kein Untergang. Sondern Menschen, die so tun, als seien sie KI. Was absurd klingt, macht doch Sinn. Die Illusion wird nämlich erst perfekt, wenn die virtuelle Welt mit der realen Welt verschmilzt. Wenn Lil Miquela also auf Fashion-Shows oder sonst wo zu sehen ist, dann steckt sie im Körper einer realen Person, die später digital mit den Merkmalen des Avatars versehen wird. Sie ist also weder ein richtiger „robot“, wie in ihrer Bio steht, noch ist sie KI-generiert. Noch kann man virtuelle Menschen nicht als Hologramme im Raum projizieren. Auf technischer Seite sind wir scheinbar lange nicht so weit, wie wir gerne wären.

Dass Tiktok-Streamer auf den Zug aufspringen und sich als Roboter ausgeben, ist zwar gewöhnungsbedürftig, bei dem aktuellen KI-Hype aber nicht verwunderlich. Die menschliche Faszination gegenüber Virtual Reality fasste der japanische Robotiker Masahiro Mori bereits 1970 unter dem Begriff „Uncanny Valley“ zusammen. Er bezieht sich auf das Gefühl des Unbehagens, das wir empfinden, wenn etwas dem menschlichen Aussehen nahe genug kommt, wir uns aber gleichzeitig nicht komplett täuschen lassen. Zum Beispiel wenn sie zu perfekt sind.

Der Ursprung der KI-Faszination liegt also im Grusel. Diesen Gruselfaktor teilen sich die CGI-Influencer wohl noch so lange mit den Tiktok-Streamern, bis die perfekte Simulation menschlicher Imperfektion möglich ist.

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