Volksentscheid in Berlin am Sonntag: Endspurt für das Klima

Drei Tage vor dem Entscheid werben 300 Kulturschaffende für ein „Ja“. Derweil gibt es Anzeichen, dass bei den Briefwahlunterlagen größere Pannen passiert sind.

Kuchen mit Fähnen für den Volksentscheid Klima stehen auf einem Tisch

Süße Sache mit Zukunft Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | Der Aufruf ist unmissverständlich und drängend: „Wir verlangen hiermit, als Bür­ge­r*in­nen und als Künstler*innen, den Hebel für schnelle Klimaneutralität umzulegen“, schreiben rund 300 Kulturschaffende in einer am Donnerstag veröffentlichten gemeinsamen Erklärung. Und fügen hinzu: „Jetzt! Weil es bald zu spät für alles ist.“

Anlass für den Appell ist der Volksentscheid am Sonntag. Bekommt der vorgelegte Gesetzentwurf eine Mehrheit, muss Berlin bis 2030 klimaneutral werden. Bisher hat der Senat dieses Ziel für 2045 angepeilt. „Der schnelle Weg in die Klimaneutralität wird nicht einfach“, geben auch die 300 Kulturschaffenden zu. Aber: „Wir haben viel zu lange hingenommen, dass die Politik mit offenen Augen zögert, zaudert und allerhöchstens schlafwandelt.“

Mit einem Ja würde Druck ausgeübt, damit sich das ändere. Zu den Un­ter­stüt­ze­r*in­nen des Aufrufs gehören Musiker*innen, Schau­spie­le­r*in­nen und Künst­le­r*in­nen wie Jasmin Tabatabai, Sasha Waltz, Tanja Dückers und Olafur Eliasson.

Auch die Initiative selbst warb noch einmal eindringlich für ein „Ja“. „Der Sonntag ist der Tag, an dem Berlin eine einmalige Chance hat, Klimahauptstadt zu werden“, sagte Jessamine Davis vom Bündnis Klimaneustart Berlin; die Initiative hat mehr als zwei Jahre auf den Volksentscheid hingearbeitet. Mit einer schnelleren Klimaneutralität könnten die Menschen nur gewinnen, etwa an Lebensqualität und zukunftsfähigen Jobs, so Davis weiter.

Jessamine Davis, Initiative

„Wir werden nicht klagen, wenn wir merken, dass der Senat alles in seiner Macht stehende tut für mehr Klimaschutz“

Seit Ausgabe der Briefabstimmungsunterlagen am 13. Februar haben mehr als 400.000 Ber­li­ne­r*in­nen diese beantragt. Da es keine Gegenkampagne etwa von SPD oder CDU für ein „Nein“ gibt, wurde diese Zahl bisher als Zeichen dafür gesehen, dass die Mobilisierung der Un­ter­stüt­ze­r*in­nen gut funktioniere. Das ist wichtig, denn damit der Entscheid gültig ist, muss nicht nur eine Mehrheit mit „Ja“ stimmen; diese Mehrheit muss auch aus einem Viertel der Abstimmungsberechtigten bestehen, also rund 609.000 Personen.

Briefwahlunterlagen nicht zugestellt

Offenbar gibt es aber größere Probleme bei der Zustellung der Briefabstimmungsunterlagen, wie Davis berichtete. „Wir erhalten viele Hilferufe, dass Unterlagen zwar beantragt wurden, aber nicht angekommen sind.“ Auch gebe es Rückmeldungen aus den Bezirken, dass vergleichsweise wenige Abstimmungszettel zurückgekommen seien. Die genaue Ursache dafür und der Umfang der möglichen Pannen blieb unklar.

Die Initiative appellierte an jene, die trotz Antrag bisher keine Unterlagen bekommen haben, sich bis Freitag im Bezirkswahlamt zu melden und wieder in die Wahllisten eintragen zu lassen. Wer bereits Unterlagen habe, sie aber noch nicht verschicken konnte, sollte am Sonntag damit in Präsenz abstimmen gehen.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD), der das Landeswahlamt untersteht, erklärte hingegen, keine Hinweise darauf zu haben, dass es spürbare Verzögerungen bei der Postzustellung gebe. „Wir sind sehr, sehr eng mit der Post und auch mit der Pin AG in Verbindung, fast täglich“, sagte Spranger der dpa. „Es ist jetzt nicht bekannt, dass dort irgendwelche Fehler unterlaufen.“ Sie sei deshalb zuversichtlich, dass das von den Zustellern ordentlich gehandhabt werde.

Der Volksentscheid war am Donnerstag auch Thema im Abgeordnetenhaus. Die nötigen Maßnahmen zum Erreichen einer Klimaneutralität bis 2030 würden mindestens einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag kosten, erklärte Klimaschutzsenatorin Bettina Jarasch (Grüne). Diese müssten aber nicht automatisch nur vom Land übernommen werden. Unter anderem gehe es bei der Gebäudesanierung auch um Investitionen, die von der privaten Wohnungswirtschaft erbracht werden müssten.

Samstag Zum Abschluss der Kampagne für ein Ja beim Volksentscheid ist eine Demo und ein Konzert mit vielen prominenten Künst­le­r*in­nen am Brandenburger Tor geplant: Angekündigt sind unter anderem Annett Louisan, die Beatsteaks, Element of Crime, Igor Levit und Kat Frankie. Laut Polizei werden 35.000 Menschen erwartet. Beginn ist um 14 Uhr, Ende gegen 20 Uhr.

Sonntag Die rund 2.200 Abstimmungslokale sind von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Zeitumstellung in der Nacht auf Sonntag beachten! Erste Ergebnisse werden gegen 19 Uhr erwartet. Da ein Erfolg des Entscheids aber vor allem vom Erreichen des Quorums von rund 609.000 Ja-Stimmen abhängen dürfte, könnte es eine lange Nacht werden. Alle Ergebnisse dann auf taz.de/berlin (taz)

Im zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf sind keine konkreten Maßnahmen vorgeschrieben, wie die Klimaneutralität bis 2030 erreicht werden soll. Klar ist indes, dass in den Bereichen Verkehr, Wärmeversorgung und Gebäudedämmung viel mehr getan werden muss als bisher. Die Politik tue daher gut daran, mögliche Maßnahmen wie ein Verbot von Fahrzeugen mit Verbrennermotoren in der (Innen-)Stadt früh zu kommunizieren, betonte Davis. „Die Menschen brauchen Planungssicherheit.“

Bereits bis 2025 müsste laut Gesetz eine Reduktion der CO2-Emissionen um 70 Prozent gegenüber 1990 erfolgen. Eine enorm hohe Hürde, wie auch die Initiative weiß, und damit eine Möglichkeit für juristische Schritte, wenn das Ziel verfehlt wird. Doch: „Wir werden nicht klagen, wenn wir merken, dass der Senat alles in seiner Macht Stehende tut für mehr Klimaschutz“, kündigte Davis an.

Die absehbar nächste Regierung aus CDU und SPD hat sich in Koalitionsgesprächen auf ein kreditfinanziertes Sondervermögen von bis zu 10 Milliarden Euro geeinigt. CDU-Generalsekretär Stefan Evers sprach daher im Parlament von einem „Klimaturbo“. „Wir haben höchste Ambitionen. Dazu gehört: Ziele müssen erreichbar bleiben. Deswegen ist unsere Haltung: Ja zu mehr Klimaschutz, aber Nein zu einem Volksentscheid der falschen Versprechen.“

Anders argumentierte Stefan Taschner (Grüne). Dass das Ziel sehr ambitioniert sei, dürfe kein Grund für eine Ablehnung sein, sondern viel mehr Ansporn, noch eine Schippe draufzulegen. „Technisch wissen wir doch, wie wir die Klimaneutralität erreichen können.“

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