Vorstoß für Volksbefragungen – Contra: Ein billiges Täuschungsmanöver

Die SPD will, dass Volksabstimmungen künftig auch vom Abgeordnetenhaus angestoßen werden können. Die Kritik an der Idee ist absolut berechtigt.

Das Bild zeigt eine Protestaktion gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes

Der Volksentscheid zum Tempelhofer Feld von 2014 verhindert bislang eine Bebauung. Schnee von gestern, findet Schwarz-Rot Foto: Annette Riedl/dpa

„Vorsicht, Falle!“ – dieser Warnhinweis sollte groß und rot auf dem SPD-Vorschlag zu vom Parlament verordneten Volksbefragungen prangen. Denn der Plan, die Ber­li­ne­r*in­nen an die Urnen zu bitten, wenn die Koalition ein geltendes, durch einen Volksentscheid erkämpftes Gesetz umstoßen will, ist nichts anderes als ein billiges Täuschungsmanöver.

Auf den ersten Blick klingt es eigentlich ganz charmant: Die Bür­ge­r*in­nen sollen mitreden dürfen bei „Entscheidungen, die unmittelbar ihre Lebenswirklichkeit betreffen“, so die SPD-Fraktion. Es gehe um „Respekt“ vor der Volksgesetzgebung, „mehr Mitsprache und echte Entscheidungen“. Die Sozialdemokraten glauben gar, so der „Politikverdrossenheit“ begegnen zu können.

Die Logik dahinter ist verfänglich: Mehr Bür­ge­r*in­nen­be­tei­li­gung ist immer gut! Auf diesen Trugschluss setzt die schwarz-rote Koalition. Doch eine Volksbefragung von Gnaden der Herrschenden hat wenig bis gar nichts mit direkter Demokratie zu tun. Erst recht nicht, wenn sie dazu dient, direktdemokratisch herbeigeführte Entscheidungen wieder zu kassieren – und dem Ganzen einen schönen Anstrich zu verpassen.

Bislang gibt es in Berlin nur Volksentscheide, die in einem mehrstufigen, aufwändigen Beteiligungsverfahren von „unten“ – also aus der Stadtgesellschaft – herbeigeführt werden. Die Hürden für eine vom Abgeordnetenhaus verordnete Volksbefragung lägen wohl deutlich niedriger. Und so täuscht ein solches Verfahren den Bür­ge­r*in­nen Mitspracherechte und Handlungsmacht vor, während es den Regierenden noch mehr Macht verleiht.

Anmaßende Haltung der Regierenden

Nun entdecken SPD und CDU das Thema direkte Demokratie ausgerechnet in dem Moment für sich, in dem der Volksentscheid von 2014 ihren Bebauungsfantasien für das Tempelhofer Feld im Weg steht. Klar, eigentlich könnten sie das Gesetz zum Erhalt des Feldes wie jedes andere auch im parlamentarischen Verfahren ändern. Warum dann überhaupt der Vorstoß für eine Volksbefragung?

Ganz einfach: Die von oben verordnete Bürgerbeteiligung kaschiert die anmaßende Haltung der Regierenden, die als gewählte Volksvertreter nach dem Motto arbeiten: Wir wissen es eh besser und machen, was wir wollen! Wie blanker Hohn klingt da das Argument der SPD-Fraktion für die Volksbefragung: „Wir wissen, dass Teile der Bevölkerung sich nicht ernst genommen fühlen und mehr Mitsprache wollen.“

Um glaubwürdig für mehr und bessere Beteiligung einzutreten, sollte die Koalition sich besser nicht an von der Stadtgesellschaft erkämpftem Freiraum vergreifen – und dabei auch noch selbst bestimmen wollen, wann es ihr passt, dass die Ber­li­ne­r*in­nen mitreden.

Nicht ohne Grund gibt es Zweifel, ob die Einführung einer Volksbefragung ohne Zweidrittelmehrheit nicht gegen die Landesverfassung verstößt. In Bayern hat der Verfassungsgerichtshof 2016 einem ähnlichen Vorhaben den Riegel vorgeschoben. Außerdem besagt die Berliner Verfassung, dass jede Einführung neuer direktdemokratischer Instrumente einer Volksabstimmung bedarf.

In Hamburg hat man es besser gelöst: Will das Parlament dort ein per Volksentscheid beschlossenes Gesetz ändern oder aufheben, kann die Bevölkerung eine Abstimmung darüber anstoßen. Die Hürde dafür ist nur halb so hoch wie für einen Volksentscheid – und das Ergebnis rechtlich bindend. So bleibt die Handlungsmacht zumindest in Teilen dort, wo sie hingehört: bei den Be­woh­ne­r*in­nen der Stadt.

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Jahrgang 1995, Studium der Publizistik und Politikwissenschaft in Berlin und Maskat (Oman). Seit 2021 bei der taz, erst als Text-Chef in den Ressorts Inland und Wirtschaft+Umwelt. Seit Januar 2024 Redakteur für Innenpolitik im Berlinteil.

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