Wangerooge entzieht das Vertrauen: Insulaner sind schwer zu regieren

Der Gemeinderat der ostfriesischen Insel will den Bürgermeister abwählen. Er wird vor allem für schlechte Personalführung und Kommunikation kritisiert.

Spaziergänger gehen im Sturm auf der Insel Wangerooge am Strand entlang, im Vordergrund ist ein Schild zu sehen, auf dem steht: Flutschäden, betreten auf eigene Gefahr.

Die Wangerooger werfen ihrem Bürgermeister vor, beim Thema Küstenschutz nicht geliefert zu haben Foto: Peter Kuchenbuch-Hanken

OSNABRÜCK taz | Auf den ersten Blick wirkt Wangerooge beschaulich: autofreies Dörfchen, historischer Leuchtturm, spielzeughafte Schmalspurbahn und Richtung Nordosten, wenn der öde Küstenschutz-Beton zu Ende ist, ein schöner Sandstrand.

Sie könnten zufrieden sein, die knapp 1.300 BewohnerInnen des niedersächsischen Inselchens im Watt vor Harlesiel. Aber sie sind es nicht, jedenfalls nicht alle. Und das hängt mit Bürgermeister Marcel Fangohr (parteilos) zusammen. Dem hauptamtlichen Kommunalrepräsentanten, zugleich Leiter der Verwaltung, fehlt das Vertrauen vieler Insulaner.

Der zehnköpfige Gemeinderat will Fangohr, Mitte 2018 gewählt als Gemeinschaftskandidat von CDU und Grünen, schnellstmöglich loswerden. Am 25. August kommt er zu einer Sondersitzung zusammen. Der einzige Tagesordnungspunkt ist die Einleitung von Fangohrs Abwahl, nach Paragraf 82 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NkomVG).

Dass die erforderlichen drei Viertel der Abgeordneten zusammenkommen, sei „absolut sicher“, sagt Rüdiger Mann der taz, SPD-Ratsherr und einer von Fangohrs drei ehrenamtlichen Stellvertretern. Schließlich war der Beschluss, Fangohr loszuwerden, interfraktionell – und einstimmig. Mann: „Das war die klare Meinung aller.“

Wangerooge will Bürgermeister abwählen

Die Misere habe eine lange Vorgeschichte, sagt Mann und erzählt von Beschwerden aus der Bürgerschaft. Der Grund der Abwahl sei „kein großer Schockfehler“. Die Unzufriedenheit habe sich aufgeschaukelt.

Fangohr habe Personalführung „nicht in die Wiege gelegt bekommen“, sagt Mann. „Mitarbeiter sind gegangen!“ Fangohr sei schwach in interner wie externer Kommunikation: „Das ist natürlich schlecht, wenn man immer wieder Leute hört, die sagen: Der hat sich nie zurückgemeldet!“ Beim Thema Küstenschutz habe er nicht geliefert, auch nicht beim bezahlbaren Wohnraum. Das Verwaltungsgebäude sei eine unzumutbare Ruine, beim Kurzentrum sogar ein Komplettabriss im Gespräch.

Wenn die Einleitung der Abwahl am 25. August beschlossen wird, hat Fangohr eine Woche Zeit, von sich aus zurückzutreten. Täte er es nicht, hätten vier Monate später die BürgerInnen das letzte Wort. Würden die Fangohr im Amt lassen, müsste statt seiner der Gemeinderat an Rücktritt denken.

Aber so weit kommt es nicht. „Auch das wäre dann ja ein Stillstand“, sagt Fangohr der taz. „Und Stillstand ist immer das Schlechteste.“ Fangohr wird gehen, will sich danach „mit sozialen Projekten befassen“, nicht gleich wieder ins Tagesgeschäft einer Verwaltung einsteigen.

Der Abwahl-Vorstoß habe ihn überrascht, sagt er. „Aber ich habe ihn sehr gefasst aufgenommen, sehr ruhig.“ Schon lange habe es gebrodelt. Zwischen ihm und dem Rat habe es sehr unterschiedliche Auffassungen gegeben. Vom Rat sei starker Druck ausgegangen.

Bürgermeister räumt Fehler ein

Ja, Kommunikation sei nicht seine Stärke: „Ich bin kein Rhetoriker. Mir ist es wichtiger, dass Sachen getan werden als eine Besprechung nach der anderen drüber abzuhalten.“ Und, ja, Personal sei gegangen, aber nicht wegen ihm. Die Insel habe viele Hausaufgaben vor sich, räumt der Noch-Bürgermeister ein. „Aber es ist ja nicht so, dass nichts getan wurde. Außerdem ist das ja auch immer eine Frage der Finanzen.“ Gerade in Wohnraum sei viel investiert worden.

Fangohr bezeichnet sich als nicht nachtragend, er werde der Insel verbunden bleiben. Jetzt müsse in alles „erst mal Ruhe reinkommen“.

Die ungewöhnliche Personalie bremst Wangerooge derzeit massiv aus. „Wir fallen da gerade in ein Loch“, gibt Ratsherr Mann zu. „Aber so wie bisher geht es einfach nicht weiter.“

Bürgermeister kommt vom Festland

Dass Fangohr, 2018 vom Festland auf die Insel gekommen, von den Insulanern nicht akzeptiert wird, weil er kein Insulaner ist, hält Mann für unwahrscheinlich. „Gerade eine Insel wie die unsere, mit ihrem besonders hohen Anteil Älterer, braucht ja Zuzug.“

Auch Fangohr selbst sieht das nicht als Problem. Er hat auf Wangerooge seine Schul- und Berufsausbildung absolviert. Teile seiner Familie leben hier. Allerdings stammt er aus Neubrandenburg. „Der Insulaner an sich ist schwierig“, räumt Mann ein. „Es ist ein hartes Stück Arbeit, ihn zufrieden zu stellen.“

Wie es für Fangohr sein wird, wenn er seinen Job verliert, drei Jahre vor Ablauf seiner Amtszeit? Schließlich ist die Insel klein; jeder kennt hier jeden. „Wir sind gut auseinander“, findet Mann. Fangohr sagt, dass es um ihn einsam werde. Aber das Leben gehe weiter. Außerdem war er über fünf Jahre im Amt, hat also Pensionsansprüche.

Der Fall Fangohr erinnert an den Fall des Baltrumer Bürgermeisters Berthold Tuitjer. Mitte des Jahres 2020 hatten die Ratsmitglieder der Gemeinde ­Baltrum den Paragrafen 82 gegen ihn angewandt. Tuitjer, mit dem Fangohr sich „ausgetauscht hat“, als ihn das gleiche Schicksal traf, trat daraufhin zurück. Er ist jetzt Liedermacher.

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