Weitere Hamas-Geiseln frei: Freude, Enttäuschung und eine Frage

Die Hamas hat 58 Geiseln freigelassen, auch die vereinbarte Feuerpause wird bisher eingehalten. Doch wie geht es weiter?

Ein Mann umarmt ein Mädchen

Hila Rotem Shoshani in den Armen ihres Onkels Foto: ap

JERUSALEM taz | Es sind Szenen voller Freude und Enttäuschung, die seit diesem Wochenende in Israel über die Fernsehbildschirme flimmern und in sozialen Medien geteilt werden. Da ist das Video des neunjährigen Ohad Mundar, der nach Wochen der Geiselhaft in Gaza auf den Gängen eines israelischen Krankenhauses seinem Vater in die Arme stürmt. Da sind aber auch die Bilder der 13-jährigen Hila Rotem Shoshani, die 50 Tage nach ihrer Entführung durch die Hamas von ihrem Onkel begrüßt wird – ihre Mutter gehörte nicht zu den israelischen Geiseln, die am Samstagabend freigelassen wurden. Gleichzeitig stellen sich viele in Gaza wie in Israel die Frage, wie es weitergeht, wenn am Dienstagmorgen die ursprünglich vereinbarte viertägige Kampfpause endet – falls sie bis dahin überhaupt hält.

Sowohl die Hamas als auch die israelische Armee halten sich bisher weitgehend an die seit Freitag geltende Waffenruhe. Am Sonntagnachmittag erklärte die israelische Armee, dass die Terrororganisation weitere 17 Geiseln dem Roten Kreuz übergeben hat. Bisher kamen damit 58 von insgesamt rund 240 Geiseln frei, darunter 40 Israelis sowie 18 Ausländer, darunter aus Thailand und den Philippinen. Unter den Freigelassenen waren auch acht Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft. Im Gegenzug ließ Israel am Freitag und Samstag je 39 palästinensische Gefangene frei, ebenfalls Frauen und Kinder. Am Sonntagabend sollten weitere 39 Palästinenser freikommen.

Wie fragil die Vereinbarung zwischen beiden Seiten ist, wurde am Samstag deutlich, als die Hamas die Freilassung der Geiseln um Stunden hinauszögerte. Die militante Islamistengruppe warf der Armee unter anderem vor, nicht die vereinbarte Zahl an Hilfslieferungen in den Norden des Küstenstreifens zu lassen und auf Menschen zu schießen, die während der Feuerpause versuchten, zurück in den Norden zu gelangen. Israel drohte laut Medienberichten mit einer Aufhebung der Waffenruhe, wenn die vereinbarte Zahl an Geiseln nicht bis Mitternacht freigelassen sei.

Wie Israel den Kampf fortsetzen will? Unklar

Nach Vermittlung durch Katar lenkte die Hamas am späten Abend schließlich ein. Bis Sonntagmorgen waren laut UN-Angaben 61 Lastwagen in den bis zur Feuerpause heftig umkämpften nördlichen Teil des Küstenstreifens gelangt. An vier Verteilungspunkten im Norden sollen die Menschen damit unter anderem Wasser, Arzneimittel und medizinische Ausrüstung erhalten. Ob eine Lieferung in den Norden Teil der ebenfalls von Doha vermittelten Waffenruhe ist, war zunächst nicht bekannt. In Berichten war bisher von Hilfslieferungen über den ägyptischen Grenzübergang Rafah in den Süden des Gaza­streifens die Rede. Laut dem UN-Nothilfebüro OCHA fuhren am Samstag 187 Lastwagen mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten über die Grenze. Unter den Hilfslieferungen seien auch Diesel und Gas zum Kochen gewesen. Bis Sonntagnachmittag überquerten laut der ägyptischen Regierung weitere 120 Lastwagen den Grenzübergang.

Trotz der Spannungen gab es am Wochenende bereits Gespräche über eine mögliche Verlängerung der Kampfpause über die vereinbarten vier Tage hinaus. Das Abkommen sieht vor, dass die Hamas die Pause gegen die Freilassung von je zehn weiteren Geiseln um einen Tag bis zu maximal zehn Tagen verlängern kann. So könnten bis zu einhundert Entführte gegen bis zu 300 palästinensische Gefangene getauscht werden.

Bei Angehörigen in Israel und Zivilisten in Gaza sorgt das für einen Hoffnungsschimmer. Ein längerer Waffenstillstand ist jedoch kaum wahrscheinlich. Israel hat wiederholt die Zerschlagung der Hamas als Kriegsziel ausgegeben. Armeechef Herzl Halewi schrieb in einer Mitteilung nach dem Beginn der Kampfpause, das Militär werde den Kampf gegen die Hamas „mit Entschlossenheit“ wieder aufnehmen, sobald die Waffenruhe ende.

Wie Israel den Kampf gegen die Hamas angesichts der katastrophalen humanitären Situation im Gazastreifen fortsetzen will, ist derzeit unklar. Die Vereinten Nationen zählen rund 1,7 Millionen der gut zwei Millionen Bewohner des Küstenstreifens als Binnenvertriebene. Die überwiegende Mehrheit hält sich derzeit auf engstem Raum im Süden und in der Mitte des Gebiets auf. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffith bezeichnete die Lage gegenüber dem US-Sender CNN als „schlimmste humanitäre Krise“, die er je gesehen habe.

Der Sprecher des US-Sicherheitsrats, John Kirby, mahnte die israelische Führung vergangene Woche, keine Operation im Süden zu starten, solange es keinen Plan zum Schutz der Zivilbevölkerung gebe.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.