Widerstand auf den Kanaren: Massenprotest gegen Touristenmassen

Die Kanaren gehören zu den beliebtesten Urlaubszielen. Demgegenüber stehen Armut und Naturzerstörung. Viele Einheimische gingen nun auf die Straße.

Protestierende gegen Massentourismus, im Hintergrund der Strand.

Viele auf den Kanaren profitieren vom Besucheransturm wenig: Protestaktion am Samstag auf Fuerteventura Foto: dpa

MADRID taz | Auf allen acht bewohnten Kanarischen Inseln gingen am Wochenende insgesamt mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. „Die Kanaren stoßen an ihre Grenze“, lautete das Motto. Die Forderung: ein Ende des Massentourismus in der bisherigen Art und ein Modell, das respektvoller mit Natur und Ressourcen umgeht.

Auf Gran Canaria und Teneriffa versammelten sich am Samstag laut Veranstalter jeweils 50.000 Menschen, 9.000 auf Lanzarote, 5.000 auf Fuerteventura und selbst auf den kleinen Inseln wie La Gomera, La Palma oder El Hierro, die vom Massentourismus weniger betroffen sind, waren es mehrere Hundert. Die Veranstalter, ein breites Bündnis aus Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen, sprachen von einem „historischen Tag“.

In Madrid, Barcelona, Palma de Mallorca und Málaga hielten die dort lebenden Menschen mit kanarischen Wurzeln Solidaritätskundgebungen ab. Allen Städten gemein ist der außer Kontrolle geratene Tourismus, der die Wohnungspreise in die Höhe schnellen ließ. Selbst in London und Berlin versammelten sich Immigranten von den Kanaren, um die Proteste in ihrer Heimat zu unterstützen.

„Coalición Canaria es una imobiliaria“, lautete eine der am meisten wiederholten Parolen auf den Protestveranstaltungen. Übersetzt: Die Regierungspartei auf den Kanaren sei ein Immobilienunternehmen. Einer der Auslöser, warum der Unmut sich gerade jetzt entlud, ist die Wiederaufnahme des Baus zweier umstrittener Tourismusprojekte in bislang unberührten Küstenabschnitten auf Teneriffa. Die konservativ-regionalistische Inselregierung, die seit vergangenen Sommer im Amt ist, hat die meisten Baubeschränkungen aufgehoben. Jetzt darf auch in einst ländlichem Raum und selbst in einigen geschützten Gebieten gebaut werden.

„Wir wollen Gastgeber sein und keine Sklaven“

Und das, obwohl die Inseln bereits jetzt doppelt so viele Touristen aufnehmen wie noch vor 15 Jahren. Für dieses Jahr werden 17 Millionen Besucher erwartet. Die Inseln werden – dank des Klimas – das ganze Jahr über von Touristen stark frequentiert. 150 Millionen Übernachtungen pro Jahr zählt das Hotelgewerbe – die Kanaren zählen damit zu den beliebtesten Touristenzielen weltweit.

Dieser Massentourismus führt zu Staus, zu überfüllten Stränden, Restaurants und sonstigen Einrichtungen. Wegen Langzeitvermietungen an Winterflüchtlinge aus Nord- und Mitteleuropa sind die Wohnungspreise in vielen Städten und Gemeinden auf den Inseln gestiegen. „Wo sollen wir wohnen?“, fragte sich so mancher der Demonstranten auf seinem Pappschild.

Wegen des Klimawandels werden die Kanaren immer trockener. Im Süden von Teneriffa wurde vergangenen Sommer das Wasser rationiert, während es den Touristen an nichts fehlte. Pools wurden weiter gefüllt, der Rasen der Golfplätze besprenkelt. Neben umstrittenen Bauvorhaben sind solche Maßnahmen mitverantwortlich für den Unmut der Bevölkerung. An immer mehr Urlaubsorten werden Parolen gegen Tourismus gesprüht.

Forderungen nach einem Baustopp

In Teneriffa, der Insel, die rund ein Drittel des Tourismus auf den Kanaren aufnimmt und von den anderen Inseln als so etwas wie ein Beispiel für Entwicklung angesehen wird (oder wurde), führten die Demonstranten das Bild einer Kuh mit sich: „Ich geb’ keine Milch für so viele Leute“, stand zu lesen. Es war die Antwort auf den Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbands, der im Vorfeld der Proteste forderte, man möge die Kuh, die Milch gibt, doch bitte in Ruhe lassen.

Die Tourismusbranche macht etwa ein Drittel der Wirtschaftsleistung der Kanaren aus. Nur: Bei der Bevölkerung kommt wenig vom Gewinn an. Zwar stellt das Geschäft mit Strand und Sonne 40 Prozent der Arbeitsplätze, doch sind die Löhne meist sehr niedrig, Überstunden werden oft nicht bezahlt. Die Kanaren sind trotz des Besucheransturms die ärmste Region Spaniens: 36 Prozent der Bevölkerung sind von Armut bedroht oder leben in Armut. „Wir wollen Gastgeber sein und keine Sklaven“, war auf einem Transparent zu lesen.

Unter den Teilnehmern auf der Kundgebung in Teneriffa befanden sich sechs Aktivisten der Gruppe „Die Kanaren gehen zu Ende“, die sich seit zehn Tagen im Hungerstreik befinden. Sie fordern einen Baustopp jener beiden umstrittenen Tourismusprojekte in La Tejita und Cuna del Alma. „Jetzt sind wir nicht mehr ein Handvoll Leute, sondern ein ganzes Volk, das verlangt, dass das Modell überdacht und geändert wird“, kommentierte deren Sprecher.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.