Wilder Streik in Gräfenhausen: Lkw-Streik beendet

Die rund 80 streikenden Fahrer auf einer hessischen Raststätte haben Geld bekommen. Ihr Arbeitgeber hat seine Anzeigen zurückgezogen.

Jubelnde Männer

Trucker jubeln auf der Raststätte Gräfenhausen, nachdem sie sich mit dem Arbeitgeber geeinigt haben Foto: Boris Roessler/dpa

BERLIN taz | „Ab jetzt fängt das Leben für die Fahrer wieder an“, sagt Edwin Atema. Am Freitagabend haben die streikenden Lkw-Fahrer auf der Raststätte Gräfenhausen in Hessen ihren Streik beendet. Ihr Arbeitgeber, der polnische Spediteur Lukasz Mazur, hat seine Anzeigen gegen die Fahrer zurückgezogen. Außerdem wurde ihnen ein Großteil ihres ausstehenden Lohnes ausgezahlt. Viele Trucker haben die Raststätte bereits verlassen, sagte am Samstagmorgen Edwin Atema der taz. Der niederländische Gewerkschafter von der europäischen Transportarbeitergewerkschaft ist Sprecher und Verhandlungsführer für die Fahrer, die großenteils aus Zentralasien kommen.

Zeitweise waren bis zu 150 Trucker aus Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei auf dem Autobahnparkplatz auf der A5 zwischen Darmstadt und Frankfurt am Main. Zuletzt waren es noch etwa 80 gewesen. Eine Woche lang waren etwa 30 Fahrer sogar in einen Hungerstreik getreten, den sie am Montag aber aus gesundheitlichen Gründen abbrachen. Insgesamt hat der Streik mehr als zehn Wochen gedauert. Die Männer forderten ausstehende Löhne von zusammen etwa einer halben Million Euro ein. Lukasz Mazur bestritt die Forderungen stets.

Am Freitag ließ er sich dann offenbar doch auf Verhandlungen ein. Die dauerten bis in die Nacht hinein und wurden nach Angaben von Atema am frühen Samstagmorgen noch fortgeführt. Die Fahrer hätten selbst mit Mazur am Telefon gesprochen. Der Gewerkschafter unterstützte sie vor Ort in Gräfenhausen, wo sich Firmenvertreter von Mazur eingefunden hatten. Gegenstand der Verhandlungen war zum einen der Lohn, aber auch Anzeigen wegen vermeintlicher Erpressung, die Mazur gegen die Fahrer bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt eingereicht hatte.

„Wir haben schriftliche Zusagen, dass alle Anzeigen zurückgezogen werden“, sagte Atema der taz. Voraussetzung dafür sei, dass die Lastwagen – teils leer, teils mit Ware – zurück in die Hände der Firmengruppe Mazur gegeben werde. Ein Großteil der Fahrzeuge und Papiere sei inspiziert und übergeben worden, sagte Atema. Einige Fahrer seien bereits auf dem Weg nach Hause.

Zur Firmengruppe Mazur gehören die Speditionen Agmaz und Lukmaz. Die dritte Firma, Imperia, wurde vor ein paar Monaten offenbar an eine armenische Firma verkauft. Der Firmeninhaber war Anfang der Woche in Gräfenhausen und versprach den rund 20 Imperia-Fahrern, die Anzeigen zurückzunehmen.

Wie viel Geld die Fahrer bekommen haben und woher das Geld kam, wollte Atema am Samstagmorgen nicht sagen. „Die Fahrer hätten ihren Streik nicht beendet, wenn es keine substanzielle Summe gewesen wäre“, sagte er lediglich. Das Ergebnis bezeichnete er als „riesigen Schritt“. „Nachdem die Firma 100 Fahrer über zehn Wochen kriminalisiert hat, haben die Fahrer nicht mehr mit einem solchen Ergebnis gerechnet.“

Bereits im Frühjahr hatten Trucker der gleichen Firma in Gräfenhausen gestreikt. Auch sie forderten ausstehenden Lohn ein. Nach sechs Wochen Verweigerungshaltung und nachdem er einmal mit einem Schlägertrupp auf dem Rastplatz aufgetaucht war, zahlte Firmenchef Mazur dann doch 300.000 Euro – die komplette ausstehende Summe – aus. Entscheidend war offenbar der Druck eines Unternehmens, das auf seine Ware wartete und mit Vertragsstrafe drohte, sollten die entsprechenden Lkw nicht ihren Weg zum Ziel fortsetzen.

Möglicherweise war das auch jetzt wieder der Auslöser. Mitte September sprach Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf dem verdi-Bundeskongress von einer „beschissenen Situation“ für die Fahrer, nachdem einige in den Hungerstreik getreten waren. „Wir werden da nicht tatenlos zusehen“, sagte er weiter und kündigte an, dass das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) Sonderprüfungen bei Unternehmen vornehmen werde, die an der Lieferkette von Mazur beteiligt sein sollen. Nach dem deutschen Lieferkettengesetz müssen hiesige Firmen seit Januar für den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt in den Lieferketten sorgen – und zwar vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Für die Kontrolle ist das Bafa zuständig.

Am Montag war dann Bafa-Chef Torsten Safarik mit einem Team vor Ort. Das Bafa prüfte Frachtscheine und weitere Dokumente, auf denen verzeichnet war, für welche Firmen die Fahrer unterwegs waren. Zuvor waren schon entsprechende Namen kursiert: DHL, Obi, Bauhaus, Ikea, Redbull, Knauf und weitere. Sie alle erklärten zwar, keinen direkten Auftrag an Mazur vergeben zu haben, aber offenbar hatten dies Subunternehmen in einigen Fällen getan.

Dass Safarik vor Ort war und gesagt habe, dass „eindeutig Menschenrechte verletzt“ worden seien, sei für die Fahrer sehr wichtig gewesen. Sie hätten auch die Aussagen des Bundesarbeitsministers als „große Worte“ empfunden. „Lkw-Fahrer sind in der Lieferkette unsichtbar. Mit dem Streik haben sie sich sichtbar gemacht“, sagte Atema. Letztendlich hätten nicht nur sie Geld bekommen, sondern es auch geschafft, dass die schlechten Arbeitsbedingungen in der Transportbranche in der Öffentlichkeit diskutiert worden seien. „Nach zehn Wochen Gefängnis Gräfenhausen können die Fahrer endlich wieder Mensch sein“, sagte Atema der taz.

DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell schrieb auf X, früher Twitter: „Der Vorfall in Gräfenhausen erfordert politische Konsequenzen auf allen Ebenen. Die polnischen Behörden müssen der Mazur-Gruppe das Handwerk legen und ihr die Transportlizenz dauerhaft entziehen.“

Allerdings weisen Expert*innen, die sich mit der Branche auskennen, immer wieder darauf hin, dass Mazur kein Einzelfall ist, sondern die Arbeitsbedingungen in der gesamten Branche ähnlich seien. Dazu gehört neben schlechter Bezahlung, dass die Fahrer meist in den Führerkabinen schlafen müssen, obwohl die Arbeitgeber ihnen per Gesetz eine Unterkunft außerhalb bezahlen müssten. Zudem sind die Fahrer oft mehrere Monate bis zu einem Jahr unterwegs, obwohl sie nach EU-Recht alle vier Wochen nach Hause fahren können müssen und alle acht Wochen zurück zum Firmensitz kehren müssten, um eine Pause einzulegen.

Das Bafa will am 16. Oktober einen Krisengipfel ausrichten. Das Amt will mit Ver­tre­te­r*in­nen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften der Branche Lösungen diskutieren, um die Arbeitsbedingungen von Fahrern zu verbessern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.