Wirtschaftsberatung der Bundesregierung: 40 Jahre neoliberale Schlagseite

Eine neue Studie analysiert die wirtschaftspolitische Ausrichtung von Be­ra­te­r*innengremien der Politik. Das Ergebnis ist eindeutig.

Mehrere Männer präsentieren einen Bericht auf einer Pressekonferenz.

Da waren es ausschließlich Männer: Die Wirtschaftsweisen präsentieren das Herbstgutachten 2003 Foto: Thomas Koehler/photothek/imago

BERLIN taz | Christoph M. Schmidt war von 2013 bis 2020 Vorsitzender der sogenannten Wirtschaftsweisen. Auf dem Höhepunkt der Eurokrise 2015 fand er harte Worte über Griechenland. In dem Krisenland solle „der harte und sicher noch viele Jahre dauernde Anpassungsprozess“ fortgesetzt werden. Also die Fortführung der Sparpolitik.

Ein knappes Jahrzehnt später herrscht im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wie das einst von Schmidt geleitete Gremium offiziell heißt, in Bezug auf die hiesige Schuldendebatte ein anderer Geist. Das Beratergremium der Bundesregierung empfahl jüngst eine Reform der Schuldenbremse.

Langfristig gesehen haben Öko­no­m*in­nen vom Schlage Schmidts unter den Be­ra­te­r*in­nen der Bundesregierung jedoch eine Mehrheit. Zu diesem Ergebnis kommt ein neue Studie der IG-Metall-nahen Otto-Brenner-Stiftung. Die Zusammensetzung der Beratungsgremien der Bundesregierungen seit 1982 analysierte das Team um den Sozialwissenschaftler Dieter Plehwe, der am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin forscht. Neben den Wirtschaftsweisen gehören zu den Be­ra­te­r*in­nen auch Beiräte von Wirtschafts- und Finanzministerium.

„Im Zeitverlauf hat stets eine absolute Mehrheit der Gremienmitglieder austeritätspolitische Maßnahmen befürwortet, nur rund jedes zehnte Mitglied war und ist solchen Maßnahmen gegenüber kritisch eingestellt“, fasst Plehwe die Ergebnisse der Studie zusammen. Diese „intellektuelle Engführung“ sei durch die bisherigen Modi der Besetzung begründet.

Einfluss von akademischen Beziehungen

So zeigen „die Ergebnisse, dass akademische Beziehungen in Form von Promotionbetreuungen Einfluss auf die Berufung von Gremienmitgliedern haben“, führt Mitautor Moritz Neujeffski aus. Knapp jedes vierte Mitglied des Beirats des Wirtschaftsministeriums war zeitgleich mit dem oder der eigenen akademischen Leh­re­r*in im Gremium aktiv.

Dass die Diskussion um die Schuldenbremse offener geführt wird als frühere Debatten, liegt laut Plehwe daran, dass „die Dillemmata der rigiden Sparpolitik zunehmend akut“ würden. Mit der Schuldenbremse habe sich der deutsche Staat „ohne Not fiskalpolitisch so stark beschränkt, dass er die notwendigen Ausgaben für den Erhalt und Umbau der Infrastruktur und für die Finanzierung elementarer Aufgaben“ der Transformation nicht leisten könne, so der Wissenschaftler.

Eine Abkehr vom Neoliberalismus ist die aktuelle Debatte um die Schuldenbremse für ihn allerdings noch nicht. Denn die Schuldenbremse ist im Grundgesetz verankert und laut Plehwe sind „in absehbarer Zeit auch keine Mehrheiten für eine andere Steuerpolitik zu erwarten“.

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